Der Geruch von gedämpftem Fleisch liegt in der Luft. Auf den Herdplatten stapeln sich die Kochtöpfe. Darin dünsten Manty, eine Art kasachischer Tortellini, vor sich hin. Tatjana Potoschowa schaut zufrieden in die Runde. Gerade rührt sie die Soßen an, die später zu den Manty gereicht werden sollen: eine mit Knoblauch und eine etwas schärfere, rote. Potoschowa ist mit ihren 61 Jahren bereits Rentnerin. Früher hat sie als Architektin gearbeitet, heute gibt sie Kochseminare. Anderen zu zeigen, wie kasachische Gerichte zubereitet werden, macht ihr Freude, hat allerdings einen ernsten Hintergrund. Ihre Rente ist so niedrig, dass es kaum zum Leben reicht.

Deshalb veranstaltet das soziale Projekt Petelka regelmäßig Workshops, bei denen den Teilnehmern genau gezeigt wird, wie etwas hergestellt wird. Dabei führt jeweils ein Senior eine kleine Gruppe von etwa fünf Personen in die spezielle Handwerkstechnik ein. Die Workshops finden entweder bei den Senioren zuhause, in einem Café oder an einem anderen öffentlichen Ort statt. Zumeist sind die Teilnehmer zwischen 20 und Mitte 30, die sich bewusst dafür entscheiden, etwas selbst zu gestalten. Die Workshops sind kostenpflichtig, das Geld geht jedoch direkt an die Senioren.

Onlineverkauf, Märkte und Workshops

Petelka
Selbstgemachte Manty. | Foto: British Council

Das Petelka-Projekt stützt sich jedoch nicht nur auf die Workshops, bei welchen die Rentnerinnen ihre handwerklichen Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln. In einem Onlineshop werden zudem selbsthergestellte Produkte verkauft, wobei der Erlös direkt an die Senioren geht. Adisa Keen, die sich gegenwärtig für die Koordination der Workshops engagiert, erklärt, warum die Pensionierten gefördert werden: „Die kasachische Durchschnittsrente ist sehr niedrig und reicht oft für vieles nicht. Viele Rentner wollen außerdem aktiv im Leben stehen. Es gibt zwar einige Seniorenzentren, allerdings sind nur die wenigsten darüber informiert. Gleichzeitig können sie immer noch viele Dinge tun und gerade der jungen Generation Fähigkeiten weitergeben, die diese noch nicht kennt, wie zum Beispiel Nähen, Sticken, Marmelade einkochen und vieles mehr.“

Die Leiterin einer Sprachschule ist seit letztem Jahr Teil des Projekts. Im Februar 2017 wurde der Onlineshop eröffnet. Der erste Workshop fand hingegen erst Ende April statt, bei welchem Rucksäcke genäht wurden. Außerdem werden die selbsthergestellten Kunstwerke und Produkte regelmäßig auf Märkten ausgestellt.

Getrocknete Blumen der Großmutter als Ideengeber

Die Idee für das Projekt entstand bereits 2015, als die Mitbegründerin des Projekts Asja Tulesowa das kreative Talent ihrer Großmutter bemerkte. Die Großmutter gestaltete Wandbilder aus getrockneten Blumen, die Asja und ihre Freundin Lena Posdnjakowa sehr beeindruckten. Gemeinsam entwickelten sie so das Grundkonzept, da sie feststellten, dass viele Rentner ohnehin selbstgemachte, kreative Produkte herstellen. „Es ist das Projekt unserer Großmütter und Großväter. Das Besondere ist dabei, dass die verschiedenen Generationen sich direkt austauschen. Junge und alte Menschen treten in Kontakt miteinander, gleichzeitig wird die ältere Generation unmittelbar durch das Projekt unterstützt“, erzählt Posdnjakowa.

Durch die Teilnahme an einem Wettbewerb für die Förderung sozialer Projekte weckten die jungen Frauen mit ihrem Projekt das öffentliche Interesse, obwohl sie selbst beim Wettbewerb erfolglos waren. Ebenso schnell fanden sich viele freiwillige Helfer aus Familien- und Freundeskreisen. Darunter waren auch Adisa Keen und Saltanat Kairalapowa, die jetzt für das Projekt vollen Einsatz zeigen und als Leiterinnen agieren. Posdnjakowa arbeitet mittlerweile als freie Künstlerin in Los Angeles.

Ob die Projektleiterinnen gutes Feedback bekommen? „Momentan erhalten wir sehr viele positive Rückmeldungen von unseren betreuten Senioren, aber das war nicht immer so. Zu Beginn des Projekts waren viele ältere Frauen skeptisch. Es gibt viele Senioren, die, um ihre Rente aufzubessern, auf dem Grünen Basar ihre Sachen verkaufen. Warum sollten die Projektleiter nicht dafür sorgen, dass sie ihre Sachen zwar immer noch herstellen, allerdings nicht mehr auf den Markt müssen?“, erzählt Adisa Keen. Nach den ersten Monaten und einer intensiveren Zusammenarbeit verlief sich die anfängliche Skepsis.

Nichts geht ohne soziale Medien

Petelka
Adisa Keen (r.) organisiert die Petelka-Workshops. | Foto: British Council

Auch der Geschmack der jungen Generation spielt für die hergestellten Produkte eine Rolle. Für die Senioren sind die Hinweise zu ihrer Arbeit richtungsweisend, da das ästhetische Empfinden zwischen den Generationen doch auseinandergeht. „Wir versuchen, die Produkte modern zu halten und orientieren uns auch daran, welchen Stil die jüngere Generation, die auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und Pinterest unterwegs ist, gut findet. Die Senioren freuen sich über diese Hinweise sehr, weil sie zwar ihr ursprüngliches Hobby ausüben, aber gleichzeitig etwas Neues ausprobieren. Das Schöne ist dann aber auch die Einzigartigkeit der Produkte“, erzählt Adisa Keen.

Handtaschen, Schürzen, Spiegel, Wandbilder, Teppiche, Töpferwaren, Makramee – die Bandbreite der selbstgemachten Waren ist groß. Das Petelka-Projekt ist aufgrund dieser Zielgruppe nicht nur durch ihren Shop im Internet präsent, sondern auch auf Instagram und Facebook tätig. Die Präsenz in den sozialen Medien scheint für den Kontakt zur jüngeren Generation unabdingbar.

Soziale Arbeit in schicken Cafés

Am gegenwärtigen Projekt sind 20 Pensionierte beteiligt, wovon nur drei Männer sind. Die älteste Seniorin unter ihnen ist 84 Jahre alt. Die Projektleiter besuchen die Teilnehmer regelmäßig und besprechen sich, was diese produzieren möchten und können. Oft gehen solche Treffen über ganze Nachmittage. Nicht nur Themen über kreatives Handwerk werden besprochen, sondern auch Persönliches. Lächelnd schildert Keen, dass die Rentner die Treffen voll und ganz genießen.

Die Gesellschaft und das Gefühl, gebraucht zu werden, mache sich schnell bemerkbar. Zumeist finden die Treffen bei den Rentnern zuhause statt. Allerdings gebe es aber auch die ein oder andere Seniorin, die sich gerne in der Stadt treffe. „Einige Seniorinnen wollen raus und sich in schicken, modernen Cafés treffen“, schmunzelt Keen. „Oft möchten die Senioren zu solchen Treffen laufen und verzichten auf das Taxi, das wir ihnen anbieten. Sie freuen sich sehr, in etwas involviert zu sein und so trotz Pension mitten im Leben zu stehen.“

Altersarmut bekämpfen und Lokales unterstützen

Das Leben nach der Pensionierung solle eigentlich entspannend sein, was mit einer kleinen Rente jedoch schlecht möglich sei. „Wenn Leute unser Projekt durch den Kauf eines Produkts unterstützen, besteht dabei der Gedanke, dass die Produzentin vielleicht dafür ins Kino gehen oder etwas anderes Schönes machen kann. Die finanzielle Unterstützung kann hier sehr viel bedeuten, mehr als man vielleicht erwartet“, meint Keen.

Anstatt Geld in europäische oder amerikanische Waren zu stecken, sollte man die Leute auf einer lokalen Ebenen unterstützen. Für die Zukunft haben sich Keen und Kairalapowa das Ziel gesetzt, das Projekt in Almaty bekannt zu machen, um mehr Senioren einbinden zu können. Von großer Bedeutung ist dabei die Unterstützung der Initiative WeAlmaty, durch die das Petelka-Projekt eine Fördergeldsumme von 5.000 Euro erhielt. Um die langfristigen Ziele zu verwirklichen, sind die Projektleiterinnen nun auf der Suche nach freiwilligen Helfern. Auf weite Sicht besteht zudem der Gedanke, das Projekt auch auf andere Städte in Kasachstan auszuweiten.

Nicht nur Altersarmut wird mit den Ansätzen des Projekts bekämpft. Durch die sozialen Aspekte verbinden sich alte und junge Bewohner aus unterschiedlichen Milieus. Zumal ist es in digitalen Zeiten schwieriger geworden, sich kreativ auszuleben. Mit den Workshop-Angeboten entsteht für eine jüngere Generation die Möglichkeit zum Erlernen neuer Fähigkeiten, gleichzeitig werden alte traditionelle Techniken und Fertigkeiten weitergegeben und für die Zukunft bewahrt.

Mayely Müller

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