Das Auge isst mit, so sagt man. Und Produkte, die schön klingen, kauft man gleich viel lieber, so weiß man. Und wenn ein Kerl einen tollen Namen trägt, der Leidenschaft oder Intellekt verspricht, drückt man beim Rest auch ein Äuglein zu. Und auch sonst kann man sich unliebsame Dinge schönreden. Das haben aber alle anderen Völker sehr viel besser raus als wir Deutschen.

Das Beispiel Gymnastik. In Deutschland macht man Beckenbodengymnastik und Wirbelsäulengymnastik, da fühlt man sich schon im Ansatz krank. Und man soll ganz pragmatisch-technisch den Oberkörper um 20 Grad nach rechts beugen, während man den Arm hinter den Kopf streckt. Das fühlt sich dann so öd und nüchtern an, wie es klingt. Die moderne Gymnastik für Aufgeklärte lockt mit schönen Bezeichnungen. Yoga, Qi Gong und Tai Chi klingen nach Philosophie und Morgentau, nicht nach Rückenschmerzen. Und da darf man den Panther, die Kriegerin, die Kiefer, den Adler oder Drachen darstellen. Na, bitte! Das klingt doch schon ganz anders, da macht die Gymnastik auf Anhieb gleich viel mehr Spaß. Wichtig ist allerdings, dass man tatsächlich die Augen schließt, da man schon viel Fantasie braucht, um sich ältere Herrschaften mit Bauchansatz in Trainingshosen und dicken Wollstrümpfen als Adler vorzustellen.

Da aber trotz aller wohlklingenden Namen Gruppenangebote mit fixen Terminen nichts für mich sind, suche ich nach der passenden Gymnastik für daheim. Yoga und Qi Gong sind zu kompliziert für mich. Da muss jede klitzekleine Bewegung exakt sitzen, und ohne Abgucken und Anleitung kriege ich das nicht hin, schon gar nicht entspannt. Jetzt habe ich mir Zilgrei empfehlen lassen. Das scheint ideal für so Gymnastikschwänzer ohne Selbstdisziplin wie mich. Dauert nur ein paar Minuten, das Grundprinzip beruht auf nur wenigen Elementen und knappen Bewegungen. Man kann also fast gar nichts falsch machen. Und dazu gibt es zig Varianten, aus denen man frei nach Schmerz und Geschmack wählen kann.

Zilgrei nimmt sich auch Tierbilder zu Hilfe, bewegt sich aber ausschließlich in der Gattung Vögel. Womit nur ein paar Stellungen wirklich attraktiv sind. Während ich mich bestens mit Adler, Schwan, Eistaucher oder Kranich anfreunden kann, verspüre ich wenig Lust, mich als Stockente zu fühlen. Interessant ist, wie tief Zilgrei in die Artenvielfalt eintaucht. Es gibt nämlich nicht einfach die Taube, sondern die Türkentaube. Sicherlich gibt es einen Riesenunterschied zwischen diesen Artgenossen, der immens wichtig ist und den man sofort erkennt, wenn man es leibhaftig mit echten Tauben bzw. Türkentauben zu tun hat. Nur wie zeige ich diesen Unterschied auf, wenn ich mich als Mensch in die Stellung einer Taube einfinde? Ich wäre froh, wenn jemand meine Pantomime als Vogel erkennt und mit viel Glück den Unterschied zwischen einem Adler und einer Taube. Aber dann haben wir noch die Uferschwalbe, die Rauchschwalbe, die Sumpfohreule oder das Tüpfelsumpfhuhn. Donnerwetter! Wenn ich mir die dazugehörigen Körperbewegungen anschaue, erkenne ich darin leider nicht im Ansatz die entsprechenden Vögel.

Am Ende bleibt, nüchtern betrachtet und Tüpfelsumpfhuhn hin oder her, die Gymnastik doch nur eine öde Übung zur Entkrampfung von Verspannungen: Knie leicht anbeugen. Oberkörper nach hinten strecken. Beine grätschen. Da lässt sich nichts schönreden!

Julia Siebert

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