Zwei Radio-Essays von Michel Foucault mit beiliegender CD geben Einblick in die sprachgenaue Arbeitsweise des französischen Philosophen – und führen in einen sorgenfreien Schallschutzraum des Denkens

Die Foucault-Renaissance hat etwas Paradoxes an sich: Ausgerechnet derjenige Theoretiker, der den „Tod des Autors“ ausrief, wird nun mit allen Mitteln der Kanonisierung zu einem Klassiker ersten Ranges erhoben, zu einem Genie der Theorie und Prosastilisten des Gedankens. Der „Tod des Autors“ – dies sollte bei Foucault bedeuten, dass das romantische Schema des einsamen, aus dem Nichts erschaffenen und gottgleich-genialen Autors an sein Ende gekommen sei. Wo bereits alles gesagt ist, könne es nur noch um die gelungene Neu-Arrangierung von Zitaten gehen. Die emphatische Konzeption des Subjekts der Neuzeit würde daher ebenso verschwinden, wie sie aufgetaucht sei. Nun scheint Foucault ausgerechnet das eigene Beispiel zu widerlegen: Autorenkult um Foucault allerorten. Zu Recht, kein Zweifel: Die enorme Übersetzungs- und Editionsarbeit, die der Suhrkamp Verlag mit der deutschen Herausgabe der „Dits et Ecrits“, der „Schriften“, auf sich genommen hat, eröffnet dem Leser neue Dimensionen dieses riesigen Werkes. Und diese Veröffentlichung steht nicht allein da. Immer neue Aspekte, Theoreme und Begriffe fördert die Beschäftigung mit Foucault zu Tage.

Der zeitliche Abstand und die Distanz zur politischen Konstellation seiner Entstehungszeit ermöglichen heute offenbar einen viel freieren, gelasseneren und daher genaueren Umgang mit diesem riesigen Werk. Denn Foucault wurde in Deutschland in den achtziger Jahren von der dominierenden Frankfurter Schule geradezu blockiert. „Neokonservativ“ lautete der Bannspruch, den Jürgen Habermas über die ausgefeilte Macht- und Wissenstheorie aus Paris verhängte. In seinen Augen verabschiedete Foucault nämlich den Anspruch auf Rationalität, indem er Wissen als immer schon machtförmig und vermachtet beschrieb.

Dieser Bannspruch ist heute aufgehoben. Seit einer großen Foucault-Konferenz in Frankfurt 2001 ist Foucault rehabilitiert, die Frankfurter Schule mit der Diskurstheorie ausgesöhnt. Der klarere Blick auf Foucault hat denn auch erstmals den geradezu literarisch arbeitenden Foucault zum Vorschein gebracht, der in bester Tradition zu den philosophes der französischen Revolution steht: Ausgestattet mit einer an den Eliteschulen antrainierten Sprachgenauigkeit, einem Stilbewusstsein und Rhythmusgefühl, das es im deutschen Sprachraum so nicht gibt. Hier schlingen sich die Sätze zu wohlkomponierten Passagen wie die Taue eines Segelbootes ineinander.

Dies wird besonders deutlich in der nun vom Suhrkamp Verlag veröffentlichten zweisprachigen Sonderausgabe zweier kleiner Radio-Essays. Ihr liegt zusätzlich eine CD mit den Original-Radiosendungen bei, sodass den Käufer das doppelte Vergnügen von zweisprachigem Text und Stimme erwartet. „Die Heterotopien“ heißt einer der beiden Texte, in der uns Foucault eine „heterotopische Wissenschaft“ vorstellt, die sich den „Gegenräumen“ widmen soll, die offenbar alle Gesellschaften in irgendeiner Form aufbauen. „Gegenräume“ – das sind all jene Orte, die wie Sonderblasen in den sozialen Raum eingestülpt sind, Räume, in denen eine andere Zeitlichkeit gilt, in denen Muse und Erholung aber auch Strafe und Versöhnung möglich sind. Man spürt diesen Eintritt in einen Gegenraum, sobald man eine Kirche oder einen Friedhof betritt: Hier gelten andere Regeln, hier herrscht ein anderes Zeitgefühl. Ein solcher Gegenraum ist wie durch eine Schutzhülle von den Ansprüchen der äußeren Gesellschaft geschützt, ist sozusagen ein eigener sozialer Raum in der Gesellschaft. In den modernen Gesellschaften nehmen diese Gegenräume nun andere Formen an. Aus den heiligen Grotten und Gärten sind die Theater, Kinos und Freizeitparks geworden; auch hier herrscht eine „Heterochronie“, eine andere Zeit.

Dem Hörer drängt sich der Eindruck auf, dass auch das Tonstudio eine Heterotopie ist, ein Ort, an dem der Mensch von allen Sorgen entlastet reflektieren darf über die Gesellschaft, die im Schallschutzraum so wunderbar auf Distanz gehalten wird. Vielleicht ist dieser heitere, gelassene Foucault der Radioessays der beste Türöffner in die Heterotopie seines Werkkosmos.

Foucault, Michel, Die Heterotopien. Der utopische Körper, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005.

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