Zuletzt löste ich das Versprechen ein, das ich einem Freund gab, einen Hörtest zu machen, weil ich angeblich schlecht höre. Ich hingegen fand, die meisten Menschen nuscheln und gehören zum Logopäden. Ich höre ja schließlich alles, was ich höre. Aber Versprechen gehören eingelöst, und so ging ich frohen Mutes zum Test.

Da saß ich nun mit gespitzten Öhrchen in der Hörkabine, die Augen geschlossen, um dem Hörsinn jedwede Energie zukommen zu lassen und den Klingelknopf fest umklammert, um sofort zuzurücken, wenn der Ton kommt. Ich wollte unbedingt gut abschneiden, mir eine Medaille für mein außergewöhnlich gutes Hörvermögen und am liebsten noch den Ehrendoktor für die Bestimmung der Tonlagen verdienen: dreifach gestrichenes C, B-Moll, Quinte C-G.

„Ja, so schnell hat hier noch keiner das Knöpfchen gedrückt“, hörte ich den Arzt mich loben. Doch es kam anders. Statt der Medaille mit ausschweifendem Lobgesang bekam ich: Hörgeräte. Peng! Wie bitte?! Ich dachte, ich hör nicht recht. Das musste ich mir dann doch zwei Mal sagen lassen. Es ist, als ginge man aufrecht zum Orthopäden und bekommt einen Rollstuhl verschrieben.

Bestimmte Tonlagen kämen kaum oder gar nicht erst in meinem Ohr an. Nach dem ersten Schock war ich nun gespannt wie ein Flitzebogen, welche ungeahnten Klänge und Geräusche es für mich zu entdecken gilt. Manche Dinge muss man selbst erleben und so dauerte mir das theorielastige Beratungsgespräch mit der Hörakustikerin viel zu lang, da Hörakustiker von Berufs wegen sehr langsam und deutlich artikulieren und lange Pausen zwischen den Sätzen machen. Ich wollte nicht theoretisch eingeführt werden, sondern dass sie mir möglichst schnell mein neues Lebensgefühl ins Ohr einführt, um endlich zu hören, was ich nicht höre.
Nachdem ich noch einige Tage ausharren musste, war es dann gestern so weit. Natürlich erst wieder die lang – at – mi – gen Er –klä – rung – en (Folter! Ja doch, rein damit!), doch dann ging alles ganz schnell. Die Dinger ins Ohr und mit einem Knopfdruck rückte mir die Welt jäh auf die Pelle. Der Verkehr toste durch meinen Kopf, ein brachiales ohrenbetäubendes Klappern, Knistern, Rascheln und Rauschen überflutete in Orchesterlautstärke Ohren und Hirn. Das Vogelgeschrei, Menschengetratsche und Tatütata schien direkt hinter mir stattzufinden. Wow! Und Hilfe! Besonders arg sei für die meisten Hörgeräteneulinge die Klospülung. Nach dem ersten Hörschock weiß ich die lautstarke Ausdrucksform einer Brötchentüte, eines Reißverschlusses und einer Hummel, die ich zunächst für ein Waldarbeitergerät hielt, zu schätzen. Wahnsinn!

Doch der Wahnsinn hat erst angefangen. Zur Eingewöhnung bin ich noch lange nicht auf die eigentliche Lautstärke eingestellt, und auch an den Feinheiten lässt sich noch tüfteln. Das birgt ein großes Potenzial für ganz neue Berufstätigkeiten. Ornithologin will ich werden und am allerliebsten Geräuschdesignerin. Da ich jetzt das Gras wachsen höre, könnte ich auch Gärtnerin werden oder Geheimagentin, die beim Abhören und Bespitzeln gänzlich ohne Technik auskommt. Ich komme mir vor, als hätte ich die ganze Zeit mit dem Kopf unter Wasser gelebt. Höchste Zeit aufzutauchen und in neue Tonlagen einzutauchen. Klangwelt – ich komme!

Julia Siebert

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