Ein Katholik gründete 1996 im nordkasachstanischen Dorf Kornejewka eine Schule. Die ersten Schulabgänger der Privatschule „Kornejewka-Schulkomplex Sankt Lorenz“ machten durch überdurchschnittliche Prüfungsresultate von sich reden. Die DAZ sprach mit Schulleiter Pater Peter Eichenhüller.

/Bild: Ulrich Steffen Eck. ‚Seit 2000 leitet Pater Peter Eichenhüller den „Kornejewka Schulkomplex Sankt Lorenz“.’/

Wie kam es zur Gründung der Schule?

Mein Vorgänger hieß Pater Lorenz Gawol, er war Priester in Berlin und wurde von Bischof Lenger aus Karaganda nach Kasachstan geholt. Bischof Lenger brauchte Priester für seine deutschsprachigen Dörfer in der Diözese.

Pater Lorenz Gawol kam 1991 nach Tonkoschurowka, das ist etwa 130 Kilometer südwestlich von Petropawlowsk. Als er zu arbeiten begann, war das natürlich eine Sensation; direkt nach der Wende ein Priester. Er wurde von Dorf zu Dorf herumgereicht und hat dort ziemlich große Pfarreien aufgebaut. So kam er ins damalige Kreiszentrum Kornejewka mit etwa 5.000 Einwohnern, wo er ebenfalls eine kleine Filialkirche aufbaute und mit Mitteln aus einer Erbschaft eine allgemeinbildende christliche Schule gründete. Pater Lorenz leitete die Schule selbst, bis er 1999 als Generalvikar nach Astana ging und ich 2000 sein Nachfolger wurde.

Wie war die Reaktion der staatlichen Schule in Kornejewka auf ihre Neugründung?

Der Direktor der örtlichen staatlichen Schule, Wladimir Gorelik hat damals Pater Lorenz in administrativen Fragen unterstützt. Mittlerweile stehen wir in Konkurrenz zur staatlichen Schule. Im Jahr werden in Kornejewka etwa 20 Kinder geboren, von denen die Hälfte in die staatliche Schule geht. Für uns bleiben also etwa zehn Kinder. Und die staatliche Schule bedient sich nicht gerade feiner Methoden, wenn es um die Abwerbung von Schülern geht. Daher ist es nahe liegend, an unserer Schule auch das Deutsche Sprachdiplom anzubieten. Es ist ein zusätzliches Plus, mit dem wir unser Profil schärfen können. Wir wollen unsere Kinder ja ohnehin mit guten Deutschkenntnissen ausstatten, damit sie später in Deutschland studieren können. Das wäre für unsere Schüler eine wünschenswerte Perspektive. Schüler in den ländlichen Gebieten Kasachstans haben generell schlechtere Zukunftsaussichten als die in den Städten. Die Bildung in den Landschulen ist einfach unterdurchschnittlich.

Wie ist ihre Schule untergebracht?

Pater Lorenz hatte die Schule 1996 zunächst in einem kleinen Wohnhaus mit 17 Schülern gegründet. Später hat er einen Kindergarten dazugekauft. 1997 wurde der Kreis Kornejewka mit einem anderen zusammengelegt, und im Ort standen sämtliche öffentliche Gebäude leer. Über die Hälfte der Bevölkerung wanderte ab. Schlussendlich haben wir das ehemalige Kreisparteigebäude der Kommunistischen Partei, die ehemalige Polyklinik und ein altes Bankgebäude gekauft und alles aufwendig renoviert. Mittlerweile gibt es in Kornejewka noch reichlich 2.000 Einwohner, früher waren es um die 5.000.

Welche ethnischen Gruppen leben in Kornejewka?

Kornejewka war und ist überwiegend russisch. Daneben gibt es ein paar wenige Ukrainer, Deutsche, Polen und Kasachen. Der russische Bevölkerungsanteil beträgt etwa 80 Prozent. Das ist ein großer Unterschied zu den anderen Dörfern, in denen wir katholische Pfarreien unterhalten: Das sind Orte mit überwiegend polnischsprachiger Bevölkerung.

Wie reagierte der kasachische Staat auf die Gründung einer christlichen Schule?

1998 schloss der Vatikan mit Kasachstan ein Konkordat. Damit bekam die Kirche die Möglichkeit, eigene Schulen aufzubauen, deren Status allerdings bis heute nicht eindeutig definiert ist. Es ist unklar, ob es sich um allgemeinbildende Schulen oder rein religiöse Schulen handeln darf. Der Staat besteht in diesem Fall bis heute auf rein religiösen, die Kirche will natürlich allgemeinbildende Schulen. Das muss noch ausgehandelt werden. Als ich kam, mussten wir uns zunächst mit dem Staatsanwalt herumärgern. Mittlerweile hatte man Wind davon bekommen, dass wir keine rein religiöse christliche Schule betrieben.

Aber es kam zu einer Einigung?

Wir haben die Schule in die Privatschule „Kornejewka-Schulkomplex Sankt Lorenz“ mit Kindergarten, Vorbereitungsklasse, Grundschule, Mittel- und Oberstufe bis zur elften Klasse umgewandelt und das zusätzliche Unterrichtsfach Ethik eingeführt. Das wird in den unteren Klassen als Ethik – Religion – Geschichte und ab der achten Klasse aufwärts als Ethik – Ehe- und Familienleben mit Schwerpunkt auf Geschlechtlichkeit und Aufklärung gelehrt. Die größten Probleme in diesem Land haben wir in den Bereichen Ehe und Familie. Es ist ein offenes Geheimnis, dass – nicht anders als bei uns – fast jede zweite, dritte Ehe geschieden wird. Dazu kommen hier Alkohol, alle möglichen Liebschaften, Prostitution, infolgedessen natürlich AIDS und andere einschlägige Krankheiten. Das alles ist eine riesige Zeitbombe in diesem Land, über die zum Glück auch schon offen gesprochen wird.

Bekommen Sie von diesen Problemen in ihrer Schule etwas mit?

Wir leben in einem kleinen Dorf, in dem Drogen, Raub, Mord und Totschlag in regelmäßigen Abständen an der Tagesordnung sind. Das widerspiegelte sich sowohl im Verhältnis Lehrer – Schüler, als auch in der Hackordnung der Schüler untereinander.

In den Jahren, in denen unsere Schule besteht, haben wir allerdings aus meiner Sicht ein kleines Wunder erlebt. Unser Haus ist seit vier Jahren Tag und Nacht offen, es kommen regelmäßig Schüler der staatlichen Schule abends oder nachts vorbei. In diesen Jahren ist nicht auch nur eine Kleinigkeit gestohlen worden. Das glaubt mir hier keiner.

Die älteren Schüler gehen normal mit den jüngeren um. Die Lehrer sind bei uns nicht die kleinen Halbgötter oder umgekehrt, wie oft bei uns auf dem Lande, wo der Lehrer nichts zählt; bei uns herrscht ein gleichberechtigtes, sehr wohltuendes Klima.

Was spricht aus Schüler- und Elternsicht noch für Ihre Schule?

Die Schule wächst weiter. 2007 hatten wir die ersten Schulabgänger, die die staatliche Hochschulzugangsprüfung ENT abgelegt haben. Die guten Ergebnisse sind im Kreis eingeschlagen wie eine Bombe. Fast alle haben ein Stipendium bekommen und konnten ohne Bezahlung an der Universität studieren. Im letzten Jahr hat sich das wiederholt, und wir hoffen natürlich auch bei den kommenden Abgängern auf sehr gute Ergebnisse. Wir machen im Grunde die in den Dörfern übliche Mittelschulenausbildung – Lyzeen gibt es nur in den Städten – plus einige Zusatzfächer. Zum Beispiel bieten wir jetzt Englisch und Deutsch an. Daneben gibt es Fächer wie Volkstanzchoreographie. Wir haben eine Ganztagsschule von neun Uhr morgens bis nachmittags halb sechs. Das zwingt uns dazu, die Kinder mit Essen zu versorgen. Es gibt Frühstück, Mittag und Tee am Nachmittag. Samstag ist bei uns im Unterschied zu staatlichen Schulen unterrichtsfrei. Infolgedessen ist das Programm natürlich etwas gedrängter.

Betreiben Sie Marketing oder sind Sie einfach nur da?

Wir sind zunächst einmal da. Die Jahre bis hierher waren Aufbaujahre. Es musste erst einmal darum gehen, die Klassen in hoher Qualität auszubilden. Kein Marketing hätte irgend etwas genützt, wenn die Ergebnisse der Abgänger unterdurchschnittlich gewesen wären. Dann hätten wir zumachen können. Denn die staatlichen Behörden sagen: „Schlechte Schulen haben wir genug, wozu brauchen wir da noch schlechte Privatschulen?“ Leistung ist unsere einzige Existenzberechtigung. Wir arbeiten derzeit an einem Internetauftritt. Jetzt als DSD-Schule werden wir uns sicher auch den Politikern im Kreis vorstellen, denn ohne das politische Wohlwollen vom Akimat geht hier nichts.

Natürlich schwingen da auch immer Misstrauen und der geheime Hintergedanke mit, wie dumm ein Deutscher sein muss, hier einen Haufen Geld zu investieren, ohne nicht doch irgendetwas damit zu beabsichtigen. Dass man aus rein humanitären Gründen etwas macht, das will einigen Leuten schlichtweg nicht in den Kopf gehen. Die kasachstanische Gesellschaft ist so absolut auf Nutzen ausgerichtet, dass man darüber nur schockiert sein kann.

Muss eine Privatschule nicht auch nutzenorientiert denken?

Das alles ist natürlich auch eine Frage des Geldes. Unsere Schule ist insofern wohltätig, als dass sie nur einen symbolischen Betrag von den Eltern verlangen kann. Der bewegt sich zwischen 500 und 1.500 Tenge im Monat. Selbst diese Beträge zu bezahlen, fällt den Eltern schwer. Dagegen verlangen die billigsten Privatschulen in Almaty monatlich 30.000 Tenge, die teuren 60.000. Es ist nicht gerecht, dass Geld und Beziehungen über die Chancen von Kindern entscheiden. Wir versuchen unseren Kindern die Chance zu geben, aus diesem Teufelskreis herauszukommen.

Gibt es Sponsoren?

Wir haben keine großen Sponsoren, sondern sind auf Spenden aus Deutschland angewiesen. Geldgeber müssen mit sehr viel Aufwand überzeugt werden. Ich gehe in Deutschland in verschiedene Pfarreien und bitte darum, Vorträge über unser Schulprojekt halten zu dürfen, oder ich halte mal eine Predigt in der Messe. Oder meine Mitbrüder vermitteln Schülerpatenschaften, die einzelne Schüler unterstützen. Gezielte Einzelförderungen vermeiden wir, denn die würden zu Ungerechtigkeiten führen. Allerdings steigen die Kosten, so dass wir ohne größere Sponsoren in Zukunft nur schwer überleben können.

Wie würden sie das Credo Ihrer Schule in wenigen Worten zusammenfassen?

Bildung und Erziehung sind gleich wichtig. Was nützt beispielsweise ein gut ausgebildeter Mensch, wenn er sich als Dieb entpuppt, der die Gesellschaft intelligent ausplündert? Und was nützt ein gut erzogener Junge, der nichts zustande bringt? Wir wollen charakterfeste Persönlichkeiten heranbilden, die einer modernen Leistungsgesellschaft gewachsen sind.

Wie lange werden Sie noch in Kasachstan arbeiten?

Als ich herkam, bin ich von einem Jahr ausgegangen. Nie hätte ich gedacht, dass ich mal acht Jahre hier verbringen würde. Und ich habe noch viel vor, es gibt jede Menge zu tun, und die Arbeit in Kasachstan macht mir großen Spaß. Also, ich selbst habe mir da keine Grenzen gesetzt

Das Interview führte Ulrich Steffen Eck.

21/11/08

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