Martin Cichon, ein deutscher Lehrer in Polen erzählt über die Wichtigkeit der Identität für die deutsche Minderheit. Um dieses Thema geht es auch in seinem Seminar „Deutsch als Identitätssprache“.

Herr Cichon, bitte erzählen Sie doch einmal etwas über sich und über Ihr Seminar.

Mein Name ist Martin Cichon, ich bin gebürtig aus Köln, habe in Köln studiert, bin dort zur Schule gegangen. Ich habe auch meine Lehrerausbildung in der Nähe von Köln gemacht, und nach meinem zweiten Staatsexamen habe ich mich entschieden, nach Polen zu gehen. Dort bin ich seit 15 Jahren in der Deutschlehrerausbildung tätig und seit etwa der gleichen Zeit unterrichte ich auch an ganz normalen Schulen. Seit diesem Jahr bin ich stellvertretender Vorsitzender der deutschen Bildungsgesellschaft in Polen.

Neben dieser „ehrenamtlichen“ Tätigkeit, bin ich Direktor des Lehrerfortbildungs Zentrums der deutschen Minderheit im Oppelner Schlesien. Das Thema Identitätssprache ist für mich eigentlich nichts  Neues, weil ich mich seit 15 Jahren mit der deutschen Minderheit in Polen beschäftige, und ich könnte mir vorstellen, dass es hier durchaus Anknüpfungspunkte gibt. Über 40 Jahre lang war in der Region, in der ich jetzt lebe die deutsche Sprache komplett verboten. Das hat natürlich dazu geführt, dass es ein oder zwei Generationen gibt, die nicht mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind. Es ist ein Bestreben der deutschen Minderheit in Polen, diese zwei Generationen zu überspringen und den Deutschunterricht attraktiv zu gestalten, so dass nicht nur Deutschstämmige, sondern eigentlich alle die deutsche Sprache wieder möglichst gut lernen können. Ich denke, dass es auf Grund dieser zwei fehlenden Generationen durchaus ein bisschen schwierig ist.

An der Mittelschule ist es ganz extrem, da man im Unterricht sehr viele Kinder hat, die teilweise überhaupt kein Deutsch können, obwohl sie schon seit sechs Jahren Deutsch in der Grundschule hatten und vielen ist es vielleicht auch keine Herzensangelegenheit Deutsch zu lernen. Viele sagen: „Warum muss ich Deutsch lernen? Englisch ist viel einfacher…“ Und so ist es ein Bestreben bei der deutschen Minderheit in Polen in gewisser Weise auch Identität zu bilden. Identität heißt nicht unbedingt nur deutsch sein. Am Anfang hat man versucht den Kindern zu sagen, dass sie doch deutsch seien.

Aber die Kinder hatten mittlerweile für sich eine völlig andere, neue, eine „Schlesische Identität“ entwickelt. Und wenn ich an meine Studenten denke, gibt es eine sehr große Skala von verschiedenen Aussagen zur Identität. Die einen sagen: „Ich bin polnischer Staatsbürger, aber ich habe deutsche Vorfahren.“ Es gibt ganz wenige die sagen: „Ich bin Deutscher. Ich fühle deutsch. Deutsch ist die Sprache in der ich träume.“ Die meisten aber sagen: „Ich bin Schlesier, weil meine Mundart schlesisch ist.“ Es ist eine slawische Sprache, die sie sprechen, und ihre Sozialisation hat in Polen stattgefunden. Und deswegen fühlen sie sich auch so stark mit der polnischen Gesellschaft, vielleicht nicht mit der polnischen Geschichte, aber mit der Gesellschaft verbunden. Und so ist, glaube ich, das Thema Identität in den letzten Jahren ein sehr intensives Thema geworden, über das man innerhalb der deutschen Minderheit viel diskutiert, aber selten eine klare Antwort darauf gefunden wird.

Mittlerweile überlässt man es den Menschen selber zu entscheiden, wer sie sein möchten, und versucht besonders den Deutschunterricht zu fördern, aber nicht nur den. Eine ganz neue Entscheidung geht da in eine Richtung, die auch das polnische Ministerium für nationale Bildung vorgegeben hat. Man fördert den bilingualen Unterricht. Und ich persönlich glaube, dass das der richtige Weg ist. Der Deutschunterricht oder der bilinguale Unterricht, sofern das möglich ist, kann sicherlich helfen, indirekt so etwas wie Identität zu schaffen. Aber vorgeben kann man so etwas nicht, das muss jeder für sich entscheiden.

Also konkret versuchen Sie den deutschstämmigen Bürgern die Möglichkeit zu geben, sich mittles der deutschen Sprache mit ihrer Abstammung zu identifizieren?

Ich weiß nach 15 Jahren nicht ob es mir gelungen ist, die deutsche Identität zu fördern. Das ist eine sehr individuelle und teilweise auch eine sehr intime Sache.

Seit diesem Schuljahr gibt es das Unterrichtsfach Deutsche Geographie und Deutsche Kultur und Geschichte. Dieses Fach erfährt zunächst eine sehr große Abneigung der Schüler und auch der Eltern, weil sie sich fragen warum man Kultur und Geschichte unterrichtet. Aber ich glaube, dass man genau über ein solches Fach, Geschichte, Kultur und Geographie ein etwas positiveres Deutschlandbild vermitteln kann. Vielleicht kann man darüber sogar so etwas wie Identität schaffen.

Und wie sind Sie darauf gekommen, Ihr Seminar gerade in Zentralasien abzuhalten?

Das war, ehrlich gesagt, eine große Überraschung für mich. Ich bin empfohlen worden von Werner Jost, der beim Goethe-Institut in München für Minderheitenförderung zuständig ist. Seit zwei Jahren arbeiten wir sehr intensiv im Oppelner Schlesien mit dem Goethe-Institut in Krakau zusammen, und wir haben es geschafft in den letzten zwei Jahren ein Netzwerk zu bilden. Diesem Runden Tisch, der alle zwei Monate tagt, ist es gelungen, ein Netzwerk von Fortbildungs- und Weiterbildungsträgern zu schaffen. Und ich glaube, dass es sehr wichtig ist, ein Netzwerk zu schaffen, dass nachhaltig etwas erreicht. Ich glaube, darin liegt die Zukunft. Man darf sich nicht nur aus dem Augenwinkel angucken, wie bisher, sondern man muss einfach mal anfangen und versuchen, etwas auf die Beine zu stellen.

Welche Idee suchen Sie durch Ihre Seminare zu vermitteln? Es geht ja mit Sicherheit nicht nur darum deutsche Geschichte und deutsche Kultur beizubringen, sondern es steckt noch etwas mehr dahinter.

Ich persönlich erhoffe mir, den Leuten zeigen zu können, dass Identitätsbildung ein langer Prozess ist und es dafür unterschiedliche Ansätze geben muss, da es keine Lehrweise für deutsche Identität gibt. Ich glaube, sogar wir in Deutschland haben häufig Probleme mit unserer Identität. Wenn man zum Beispiel mich fragen würde, wer ich bin, dann würde ich an erster Stelle sagen, dass ich deutscher Staatsbürger bin, aber wenn ich in Deutschland wäre, würde ich immer sagen: „Ich bin Rheinländer.“ Wenn ich in den 15 Jahren etwas gelernt habe, dann sagen zu können: Man ist stolz, Deutscher zu sein. Stolz auf das heutige vielschichtige Deutschland, das wir haben. Und das gilt es zu vermitteln.

Wir sind in den letzten 30 Jahren auch sehr gut mit unserer Geschichte umgegangen. Niemand muss mehr Angst haben, auf Grund seiner Herkunft, seiner Sprache, seiner Religion oder ähnlichem wohlmöglich verprügelt zu werden. Deutschland ist ein sehr friedliebendes Land und hat der Welt gezeigt, dass man durchaus aus seiner Geschichte lernen kann.
Die Deutschen haben zwei oder drei Mal nicht aufgepasst, weil sie sich auch eben nicht mit Identität beschäftigt haben, nicht über den Tellerrand hinaus geschaut und nur sich gesehen haben. Und ich glaube, dass es ganz wichtig ist, sich auch als Minderheit nicht abzukapseln. Man muss aus sich heraus gehen und zu dieser Geschichte stehen und Verantwortung ihr gegenüber zeigen. Man muss aber auch nach vorne schauen und das Beste aus seiner Anwesenheit machen. Das bedeutet zum einen, dass man sich Identität schafft, aber zum anderen auch, dass man sich integrieren muss, denn man wird immer eine Minderheit bleiben.

Was wäre für Sie persönlich das Beste, was Sie durch Ihr Seminar erreichen könnten?

Ein Netzwerk aufzubauen, so dass man sich, egal wie man zu seiner deutschen Identität steht, gemeinsam an einen Tisch setzen, ein Programm entwickeln und zusammenarbeiten kann. Wenn man so etwas anregen kann, ist meiner Meinung nach schon viel erreicht. Allein die Tatsache, dass ich eingeladen worden bin, zeigt ja, dass eine gewisse Motivation vorhanden ist. Und wenn man es schafft, sich auf einer Augenhöhe zu begegnen und voneinander zu lernen und eventuell sogar ein Kontinente übergreifendes Netzwerk aufzubauen, das wäre natürlich das Nonplusultra.

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