„Die Leute von Barzowa.“ So hat Gottlieb Jekel aus Künzelsau sein Buch genannt. Akribisch hat der 76-Jährige das Schicksal der Menschen verfolgt, die in den 30er und 40er-Jahren in diesem deutschen Dorf in Sibirien lebten.

Herausgekommen ist bei Gottlieb Jekels Nachforschungen ein fast 200 Seiten dickes Buch. Es ist prall gefüllt mit mündlich überlieferten Schicksalen und haarklein aufgelisteten Verwandtschaftsverhältnissen im Dorf Barzowa in Sibirien. Eine Fleißarbeit, wie Walter Häberle, der Jekel bei der Ausarbeitung unterstützt hat, findet. „Sehr viel Arbeit, und sehr fundiert“, sagt Häberle, der das Büchlein jetzt in einer Auflage von 120 Stück herausgegeben hat. Jekels Arbeit wurde, wie er selbst im Nachwort beschreibt, vor allem von der Frage angetrieben: Warum haben die Deutschen in Russland die deutsche Sprache und Kultur verloren? Eine Antwort findet der Leser in den einfachen, manchmal etwas ungelenken Sätzen, die das Buch kennzeichnen. Die Menschen im Dorf wurden von den kommunistischen Machthabern zu Gegnern erklärt. Spätestens seit der Machtübernahme Josef Stalins galten die Deutschen und ihre Dörfer als Hort des „Kulakentums“, also des von Stalin gehassten Großbauerntums. Somit wurden die Deutschen zu politischen Feinden. Dass die Erzählungen vom ärmlichen, bescheidenen Leben im Dorf Barzowa jeden Vorwurf des „Kulakentums“ als Hirngespinst Stalins entlarven, war von Jekel vielleicht so nicht beabsichtigt.

Die eigentliche Wirkung des Buches besteht jedoch genau darin. „Die Leute von Barzowa“ wurden während Stalins „Säuberungen“ systematisch verfolgt. Eindrucksvoll ist die Liste am Ende des Buches. Hier zählt Jekel auf, was aus einzelnen Bewohnern wurde. Das liest sich dann so: August Ring junior: 1937 Gefängnis, 1939 weggezogen. August Ring senior: 1939 weggezogen. Philipp Mohr 1937 erschossen. Johannes Jost 1936 erschossen, Heinrich Kranz 1938 erschossen, Reinhold Krieger 1937 erschossen, Wilhelm Pfaff 1938 erschossen. So geht es über vier Seiten weiter. Und die Frage, warum die Deutschen ihre Kultur nicht weiterpflegen konnten, wird beantwortet. Erzwungene Wegzüge in russisch dominierte Dörfer und Wegzüge wegen Hungersnöten kamen hinzu.

Jekel zog 1934 nach Barzowa, damals standen von einst 100 Häusern noch 62. Ausgehend von der Hauptstraße und dem Schulhaus schildert Jekel in seinem Buch die dort lebenden Familien. „Ich wusste ja auch vieles selber“, sagt er über seine Quellen. Darüber hinaus hat er viel telefoniert und auch vor Ort in Sibirien recherchiert. Aber dort, wo Barzowa einst stand, gibt es heute nur noch Grasland und Reste des alten Friedhofs. „Ich wusste noch: Von dort musste ich geradeaus gehen, dann kam die Schule“, erinnert er sich an einen Besuch in der heute so unwirklichen Szenerie.

Recherche vor Ort in Sibirien

Gottlieb Jekel kam 1992 nach Deutschland und 1995 nach Künzelsau. Auf die Idee, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, brachte ihn seine Tocher. Im Mai 2005 hat Gottlieb Jekel Russland mit dem ehemaligen Künzelsauer Lehrer Walter Häberle besucht. Häberle selbst wird die Eindrücke in seinem Buch „Die weite Reise“ beschreiben. Es ist noch nicht erschienen, Verhandlungen mit Verlagen laufen.

Gottlieb Jekel: Die Leute von Barzowa. Das Schicksal eines deutschen Dorfes in Sibirien. Herausgegeben von Walter Häberle, Künzelsau, Dezember 2005.

Von Henry Doll

20/01/06

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