Claus Storm ist Fachberater für Deutsch der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen. In der DAZ schreibt und kommentiert er regelmäßig zu Entwicklungen im Bildungswesen Kasachstans.

Am 19. Juni fanden abends – und oft auch die ganze Nacht hindurch – die Entlassungsfeiern für die Schüler der 11. Klassen statt. Für viele Lehrerinnen beginnen danach einige ruhigere Wochen ohne Planungsimprovisationen, Listen, Tabellen, Kommissionsängste usw. Ich wünsche es ihnen sehr, denn sie haben es verdient. Immer noch ist die Arbeit der Lehrerinnen in Kasachstan nämlich oft mit geringem Ansehen, hoher Belastung und niedrigem Einkommen verbunden. Es ist leider zu befürchten, dass das auch im nächsten Schuljahr so bleiben wird.
Ein Grund für die hohe Stressbelastung ist die immer noch sehr verbreitete „top-down“-Einstellung. Die funktioniert so: Von oben wird angeordnet, und unten wird das dann ausgeführt, oft allerdings ohne wirkliches inneres Engagement und manchmal eben auch nur auf dem Papier. So entstehen viele Listen und Tabellen. Die gelangen dann wieder nach oben, und alles ist scheinbar in Ordnung. Und daneben entstehen auch die Ängste: Die Angst der Lehrerin vor der Direktorin. Die Angst der Direktorin vor dem Schulamt. Die Angst der Schulamtsleitung vor den politischen Entscheidungsträgern. Und parallel dazu gibt es auch noch die Angst auf allen unteren Ebenen vor Eltern, die vielleicht Beziehungen nach oben haben und sie benutzen könnten.

Im Kern wird das Bildungswesen dadurch nicht gerade positiv berührt, die Modernisierungsversuche im Bildungswesen stehen nicht auf einem breiten Fundament und werden nicht von aktiven, begeisterten, erwartungsfrohen Menschen getragen. Wirkliche, zukunftsweisende Veränderungen finden daher nur sehr langsam, selten und isoliert statt.

Alle wissen, dass die Schulreform in den nächsten Jahren kommen wird – und kaum jemand tut etwas dafür; vorsichtshalber wartet man ab, bis irgendwelche Aufforderungen vom Schulamt kommen. Alle wissen, dass methodisch moderne und anspruchsvolle Deutschbücher noch immer fehlen – kaum jemand findet jedoch den Mut, die Kraft und die Zeit, solche modernen Unterrichtsmaterialien für den vertieften Deutschunterricht zu entwerfen. Alle wissen, dass aktiv für Deutsch geworben werden muss – und doch verharren zu viele abwartend in der Defensive. In den methodischen Zeitschriften für den Fremdsprachenunterricht in Kasachstan findet keine offene und breite und oft sogar gar keine Diskussion statt. Die Fremdsprachenlehrer-Verbände treten noch zu wenig an die Öffentlichkeit, stellen ihre Kompetenz und ihr Modernisierungspotenzial zu wenig dar.
Ein chinesischer Philosoph hat einmal gesagt, dass die längste Reise mit dem ersten Schritt beginnt. Das zumindest wurde in Kasachstan getan. Weitere Schritte werden folgen müssen. Und sie müssen von den Menschen tatsächlich gegangen werden, mit frohem Mut und klarem Kopf.

Der Deutschunterricht an den Schulen kann sicherlich nicht wieder, wie es früher war, als flächendeckender primärer Fremdsprachenunterricht etabliert werden. Der Deutschunterricht in Kasachstan hat aber dennoch zwei Chancen:

Chance A: als spezialisierter, kompetenter, vertiefter, intensiver Unterricht in einzelnen, ausgewählten Schulen: Das wäre an linguistischen Gymnasien denkbar, die sich als Kompetenz-Zentren für eine moderne Fremdsprache entwickeln könnten, auf die später an der Universität Englisch folgen sollte. Und Chance B: Das Deutsche als moderne zweite Fremdsprache nach der Weltsprache Englisch: Die Schulen würden dann als Vermittler von Mehrsprachigkeit, auf abgestuftem Niveau, mit der Möglickeit, Deutsch als Fremdsprache später im Studium ausbauen zu können, auftreten.

Die Entscheidung für diese Wege liegt einerseits bei der Administration. Dankbar und mit großer Zufriedenheit habe ich in diesem Schuljahr zur Kenntnis genommen, dass in den neuen Lehrplänen wieder intensives Deutschlernen ab Klasse 1 vorgesehen ist und dass in der Mittelstufe der erweiterte Fremdsprachenunterricht weiterhin stattfinden kann. Die Schulen haben damit die Möglichkeit, weiterhin und sogar verstärkt Deutsch als Fremdsprachenunterricht anzubieten.

Es liegt nun andererseits bei den Eltern, dass sie sich im neuen Schuljahr bei den Schulanmeldungen für diese Schulen mit solch einem Spe-zialprofil entscheiden. Die herausragende methodische Qualifikation vieler Deutschlehrerinnen kann den Eltern bei diesem Schritt sicherlich helfen. Schließlich geht es um die Zukunft der Kinder. Und was diese Zukunft angeht, so ist die Entscheidung für Deutsch in der Schule sicherlich eine gute Entscheidung.

Von Claus Storm

23/06/06

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