Clara Momoko Geber, Japanologin und Slawistin, begab sich in der ersten Jahreshälfte auf die Suche nach InformantInnen zum Thema „Japanische Kriegsgefangene in Kasachstan und ihre Hinterlassenschaften“. Die stärkste Korrelation zwischen Kasachstan und Japan bestand im Zweiten Weltkrieg, als japanische Soldaten in sowjetischen Gefangenenlagern festgehalten wurden. Diesem Recherchethema ging sie in Kasachstan in Archiven, Expertengesprächen und Ortsbesichtigungen nach. Ihre Ergebnisse fasst sie in Form von einer Artikel-Serie für die DAZ zusammen. Hierbei handelt es sich um eine Fortsetzung der geschichtlichen Einleitung.

Potsdamer Erklärung

[…] Am 26. Juli 1945 wurde die Potsdamer Erklärung der Alliierten verkündet, der sich die Sowjetunion am 8. August anschloss. In Artikel 9 der Potsdamer Erklärung verzichtet Japan auf den Unterhalt eines Militärs und auf das Recht auf Kriegsführung. Des Weiteren wird direkt Bezug auf japanische Kriegsgefangene genommen und besagt, dass alle in ihre Heimat zu entlassen sind. In Artikel 10 werden jedoch jene ausgenommen, die schwere Kriegsverbrechen begangen haben: Das japanische Volk würde weder versklavt noch als Nation zerstört werden, doch würden Kriegsverbrecher hart bestraft werden. Demokratie und Menschenrechte müssten eingeführt werden.

Die japanischen Truppen wurden nicht auf sowjetischem Gebiet gefangen genommen, da sie sich außerhalb des sowjetischen Territoriums in einem Abwehrkampf befanden. Trotz des Beschlusses von Artikel 9 ordnete die sowjetische Regierung an, 500.000 Männer der japanischen Armee als Zwangsarbeiter in die Sowjetunion zu bringen. Allerdings werden auf japanischer und sowjetischer Seite unterschiedliche Zahlen genannt, die zwischen 500.000 und 600.000 Männern variieren.

Anfangs wurde die Weigerung der Freilassung von Gefangenen mit Transportproblemen begründet. Später stellte sich heraus, dass unter den Kriegsgefangenen der japanischen Armee von Anfang an vorrangig Männer ausgewählt wurden, die physisch fähig waren, unter den Bedingungen des Fernen Ostens und Sibiriens Zwangsarbeit zu verrichten. Die meisten wurden nach Jahren der Zwangsarbeit bis Ende 1949 entlassen, die letzten durften jedoch erst 1956 zurückkehren.

Von den im August 1945 gefangen genommenen 609.448 Japanern kehrten etwa 548.380 in ihr Heimatland zurück. Die Sterblichkeitsrate liegt somit bei etwa 10%. Im Artikel „Surviving the postwar Soviet detention camps“ von Masami Ito der The Japan Times steht geschrieben, dass der japanische Staat in den letzten 20 Jahren weitere 18.101 japanische Soldaten erfolgreich aus der ehemaligen Sowjetunion zurückführen konnte und noch etwa 33.100 Japaner als vermisst gelten.

Gründe für die Gefangennahme

Als Grund, welcher der Sowjetunion Anlass gegeben haben könnte, sich der Potsdamer Erklärung zu widersetzen und japanische Soldaten als Zwangsarbeiter gefangen zu nehmen, nennt Historiker Shunsuke Ajikata unter anderem die Interpretation folgender Beschlüsse: Im Ausland gefangen genommene japanische Soldaten werden aus dem Kriegsdienst entlassen und sollen in ihr Heimatland zurückkehren dürfen. Falls dies jedoch aus unerfindlichen Gründen nicht möglich sein sollte, werden die Kriegsgefangenen dort zurückgelassen. Es wird zugestimmt, dass als Entschädigung ein Teil der japanischen Soldaten in diesen Ländern Arbeit verrichten sollen.

Eine weitere mögliche Ursache ist die Verärgerung Stalins. Unter Stalin forderte die Sowjetunion am 16. August 1945 die nördliche Insel Japans, Hokkaidō ein. In Amerika wurde dieser Antrag jedoch am 18. August abgelehnt. Die Gefangennahme der japanischen Soldaten wurde deshalb primär als Reaktion Stalins interpretiert, die aus Wut über den Verlust von japanischem Land zustande kam. Später stellte sich jedoch heraus, dass nur fünf Tage später eine geheime Anweisung erfolgte, japanische Kriegsgefangene in bestimmte Lager als Zwangsarbeiter in die Sowjetunion zu überführen.

Da eine konkrete Planung von Lagerstätten und Systemen für Kriegsgefangene in solch einer kurzen Zeit nicht möglich ist, gibt es Theorien, dass die dauerhafte Gefangennahme von Japanern in der Sowjetunion schon früher geplant gewesen sein müsste. Überdies wurden am 26. August 1945 im „Bericht über die Inkraftsetzung des Waffenstillstands mit der Kwantung-Armee und in dem Bericht an den sowjetischen Offizier Aleksandr Mikhaylovich Vasilevsky (1895-1977) aus Japan folgende Sätze formuliert: Die kriegsgefangenen Japaner, welche sich dem Waffenstillstand hingeben, sollen das Recht bekommen, ihre Staatsbürgerschaft abzulegen und in der Mandschurei leben zu können. Falls es bei der Rückkehr japanischer Soldaten zu Verzögerungen kommen sollte, dürfen diese vom sowjetischen Militär als Arbeitskräfte eingesetzt werden.

Im Zuge der Kämpfe im August 1945 wurden 30.328 Japaner von der Roten Armee gefangen genommen. 609.448 Personen stammen von anderen Nationen, die auf japanischer Seite kämpften. Bis zum Oktober 1956 kehrten insgesamt 576.859 in ihr Heimatland zurück. In Gefangenschaft starben etwa 62.917 Menschen.

Transport japanischer Gefangener

Der Transport der Soldaten erfolgte nicht in Personenzügen, sondern in gedeckten Güterwagen, in die ein zweiter oder gar dritter Boden eingezogen wurde. In jede dieser Etagen wurden an die hundert Soldaten zusammengedrängt. Als die Gefangenen in die Züge einstiegen, wurden immer wieder auf ihre Frage nach dem Ziel der Reise die russischen Worte „skoro domoj!“ „ско́ро домой“ [„bald nach Hause!“] gerufen.

All die Jahre während des Zwangsaufenthaltes wurde diese Aussage auf sowjetischer Seite gezielt benutzt, um die Hoffnung der Gefangenen nicht erlöschen zu lassen. Als sie jedoch erkannten, dass sie in die Sowjetunion gebracht werden, machte sich Verzweiflung breit. Noch bevor die Japaner an ihrer Destination ankamen, starben viele an Anstrengung und Unterversorgung während der Reise. Ein Großteil der japanischen Kriegsgefangenen wurde nach Russland gebracht. Ein weiterer Teil in die Mongolei, Kasachstan sowie Usbekistan. […]

Die Fortsetzung dieses Beitrags lesen Sie in der nachfolgenden Ausgabe.

Clara Momoko Geber

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