Nun liegen die Zahlen für das vergangene Jahr vor, und man kann sich ein Bild machen, wie die Wirtschaft im Jahr nach der Krise gelaufen ist. Natürlich fällt das Bild differenziert aus. Licht und Schatten liegen dicht beieinander. Zuerst einmal ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – immer noch der Gott unter den makroökonomischen Kennziffern – wieder kräftig gestiegen. In Dollar gerechnet betrug es Ende 2010 146 Milliarden. In anderen Ländern müsste man noch hinzufügen, dass dies mehr oder weniger als vor der Krise ist. Für Kasachstan ist das nicht nötig, schließlich hat das BIP auch im Krisenjahr 2009 zugenommen, allerdings nur um 1,2 Prozent. Das ist auch eine Krise, wenn auch nur eine relative.

Die Ursache ist altbekannt: Die Öl- und Rohstoffpreise sind wieder gestiegen. Das Außenhandelssaldo ist positiv ausgefallen, was nur auf den ersten Blick pure Freude auslöst, weil sich dadurch die Nationalbank genötigt sieht, den Wechselkurs der Tenge zum Dollar durch Dollaraufkäufe zu stützen. In den beiden ersten Monaten dieses Jahres hat die Nationalbank schon um 60 Prozent mehr Dollar auf dem Devisenmarkt aufgekauft als im ganzen Jahr 2010. Das ist zwar gut für das Aufstocken der Devisenreserven, doch die sich im Umlauf befindende Geldmenge (das ist nur die Tenge-Menge) steigt dadurch so stark an, das die Inflation keinesfalls im gewünschten Sektor von unter acht Prozent gehalten werden kann. Zwei Hasen (niedriges Inflationsniveau und zugleich Sicherung stabiler Wechselkurse) kann man nun einmal nicht auf einmal erfolgreich hinterherjagen.

Auch einer Lösung der bekannten Probleme des Bankensektors jagt man im Moment hinterher. In dynamischer Wechselbeziehung dazu stehen die finanziellen Kennziffern vieler Unternehmen, die im Moment ziemlich trübe aussehen. Zwar hat sich der Stand der Außenschulden Kasachstans (das sind zu 90 Prozent Schulden von Unternehmen und nicht des Staates) von etwa 100 Prozent des BIP auf nun etwa 80 Prozent reduziert, doch das nicht vorwiegend als Ergebnis der absoluten Reduzierung der Außenschulden, sondern durch die Steigerung des BIP. Dadurch sinkt die Relation der Außenschuld zum BIP, absolut können sich die Schulden dabei aber sogar noch erhöht haben. Doch erst einmal ist die Alarmgrenze wieder erreicht, von oben nach unten. Das sollte sich nun tendenziell positiv auf das Rating Kasachstans auswirken, das infolge der Bankenkrise und der Außenschulden heftig gelitten hat.

Anderen wichtigen Finanzkennziffern geht es allerdings bei Weitem nicht so gut. Zuerst fällt die große Zahl von Unternehmen auf, die Verluste ausweisen. Das waren am Ende des Krisenjahres 2009 43 Prozent aller Unternehmen, Ende 2010 ist diese Größe auf 36 Prozent gesunken, also jedes dritte Unternehmen schreibt rote Zahlen. Eine bestimmte Zeit lang ist das durchaus hinnehmbar, man muss „nur“ eine Finanzierung der – hoffentlich zeitweiligen – Verluste finden. Mittel- und umso mehr langfristig sind solche Unternehmen natürlich in ihrem Bestand gefährdet. Verlustunternehmen – das bedeutet gefährdete Arbeitsplätze, negative Wirkungen auf den Bankensektor infolge ausfallender Kreditrückzahlungen, fehlende oder geringere Steuerzahlungen, Finanzprobleme bei den Zulieferern und unregelmäßige oder gar ausfallende Lohnzahlungen.

Letztere betrugen im zweiten Halbjahr 2010 nicht weniger als 1,2 Milliarden Dollar oder 176 Milliarden Tenge. Bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von etwa 70.000 Tenge kann man sich leicht ausrechnen, wie viele Familien davon betroffen sind und welcher Rattenschwanz an Zahlungsproblemen so entsteht. Verbal drückt sich die Problematik im Ansteigen der Zahlungsrückstände der Kunden der Unternehmen zum Jahresende 2010 auf etwa 50 Milliarden Dollar aus. Das ist etwa dieselbe Größe, wie im Jahr zuvor. Entsprechend mussten auch die Zahlungsrückstände der Unternehmen gegenüber ihren Geschäftspartner wachsen. Diese liegen mit 142 Milliarden Dollar Ende 2010 etwa in der gleichen Höhe wie in 2009. Von einer Entspannung der Problematik ist also weit und breit keine Spur.

Nun sind die Zahlungsprobleme von Unternehmen erst einmal deren Probleme. Doch wenn diese Probleme eine kritische Größe überschreiten (was in Kasachstan zweifelsfrei der Fall ist), dann kann sich der Staat nicht mehr heraushalten, will er keine Kettenreaktion negativer Art riskieren.

Diese Gefahr dürfte der Premierminister wohl gemeint haben, als er kürzlich davon sprach, dass Kasachstan die Finanzkrise noch lange nicht überwunden habe. Der Diagnose muss nun ein Heilungsprozess folgen, für dessen Erfolg allerdings Sonntagsreden kaum taugen.

Bodo Lochmann

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