Während meiner vier Monate als Austauschstudentin in Almaty letztes Jahr sowie meines jetzigen Sommerpraktikums bei der Deutschen Allgemeinen Zeitung habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, mir aus einem interkulturellen Blickwinkel ein Bild über Kasachstan zu machen. Das Land der ewigen Steppe: Ein für uns in Europa noch weitergehend unbeschriebenes Blatt – dabei jedoch so vielseitig, dass es Bücher füllen könnte.

Am meisten fasziniert mich an Kasachstan die Religions– und Nationalitätenvielfalt sowie das zumeist harmonische und konfliktfreie Zusammenleben dieser bunten ethnischen Zusammensetzung – ein Beispiel für Europa, das in Toleranzfragen im Moment in einer Krise steckt. Dabei erstaunt mich vor allem eine Tatsache: Obwohl hier viel Wert auf die eigene Nationalität und Herkunft gelegt wird, scheint dieses Zugehörigkeitsbewusstsein dennoch etwas zu sein, das verbindet – und nicht etwas, das trennt. In den kasachstanischen Personalausweis wird neben der Staatsbürgerschaft auch die davon unabhängige Nationalität eingetragen. Und sich mit den Worten „Ich komme aus Österreich“ vorzustellen reicht nicht aus, denn hier herrscht ein völlig differenziertes Verständnis von «Staatsbürgerschaft» und Nationalität»: So wird mir auf mein „Ich bin aus Österreich“ (was meinem Verständnis nach deutlich genug ist) dennoch häufig die Frage „Кто вы по национальности?» („Welcher Nationalität gehören Sie an?“) gestellt. Denn im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft zu sein muss hier nicht automatisch heißen, dass man Österreicher ist. Bei uns in Europa gibt es dieses Trennen von Staatsbürgerschaft und Nationalität nicht: Hat man die österreichische Staatsbürgerschaft, ist man Österreicher – auch wenn die Eltern vielleicht aus dem ehemaligen Jugoslawien oder aus der Türkei kommen.

Zwischen Sowjetvergangenheit und Shoppingtempeln

Kasachstan ist ein aufstrebendes Land, und das spiegelt sich nicht nur in Kunst, Politik und Wirtschaft wider, sondern auch in der Gesellschaft, und das vor allem in den Metropolen Almaty und Astana. Die Leute hier streben nach einem höheren Lebensstandard, sind der farblosen Sowjetidentität überdrüssig geworden und orientieren sich nach ausländischen Lebensstilen und Statussymbolen. Und auch wenn man hier gerne alles und jedem sein „fachmännisches“ weltpolitischen Wissen aufdrängt (allen voran die Taxifahrer) und lang und breit darüber berichtet, Europa habe seinen Platz auf der internationalen politischen Agenda verschlafen, wird dann aber doch oft die „westliche“ Kultur als gesellschaftliches Vorbild herangezogen. Denn der europäische Lebensstil wird hier mit Wohlstand und Fortschrittlichkeit assoziiert. Die Orientierung gen Westen lässt sich unter anderem daran beobachten, dass in vielen kasachischen Einkaufszentren massenhaft Geld in europäischen Modegeschäften wie „Zara“ oder „motivi“ ausgegeben wird oder man seinen Kaffee beim für zentralasiatische Verhältnisse überteuerten „Starbucks“ holt. Wohlstand ist hier noch kein so allgegenwärtiges Phänomen wie in Europa – und muss daher vorgeführt werden. Nicht selten leben viele unter diesem gesellschaftlichen Druck daher über ihre Verhältnisse und verstricken sich in tiefe Schulden.

Imagepflege und Oberfläche

Generell kommt es mir vor, alles drehe sich in Kasachstan ums Prestige – und um die Darstellung Kasachstans im Ausland. Es sind nicht nur Politiker oder Tourismusbeauftragte, die versuchen, Kasachstan als reichen Ölstaat zu präsentieren, der mit seiner sowjetischen Vergangenheit abgeschlossen hat und sich von den anderen, ärmeren zentralasiatischen „-Stan“-Staaten abhebt: Jeder macht sich Sorgen um das Image Kasachstans im Ausland. Wenn ich Fotos von rudimentär wirkenden, an die Sowjetunion erinnernde Gebäude oder Orten mache, werde ich von Freunden entgeistert gefragt, warum ich das tue, und darauf hingewiesen, dass dies doch hässlich sei und ich das nicht zu Hause in Europa zeigen solle, sondern besser dieses oder jenes Gebäude. Und bei jeder etwas skurrilen Situation, die sich mir präsentiert, bekomme ich stets ein „Ja, ich weiß, so etwas gibt es in Europa nicht. Erzähl es dort lieber nicht“ zu hören. Dabei bin ich überzeugt, dass Kasachstan viele Europäer – mich eingeschlossen – gerade wegen seiner Vielseitigkeit, Gegensätze und Widersprüchlichkeit anzieht. Es ist auch verständlich, dass ein so junger Staat mit einer derart vielschichtigen Geschichte und ethnischen Zusammensetzung erst seinen Platz in der Welt finden muss. Das braucht seine Zeit, und die muss man ihm auch geben, denn jedes Land muss seine eigene Geschichte schreiben. Es ist wichtig, sich nach in gewissen Bereichen weiter entwickelten Staaten zu orientieren, um deren Fehler nicht zu wiederholen und somit in die Irre führende Entwicklungsphasen zu überspringen. Aber: Entwicklung kann man nicht von heute auf morgen erzwingen, genauso wenig wie man sie oberflächlich simulieren kann – denn Probleme werden nicht gelöst, wenn man sie einfach hinter glitzernden Fassaden versteckt.

Sabrina Kaschowitz ist Dolmetscherin für vier Sprachen (Deutsch, Russisch, Italienisch und Englisch) und bisher in vielen verschiedenen Kulturkreisen herumgekommen. 

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