Unsere „schöne “ Krise deckt eine ganze Reihe von Dingen auf oder gibt zumindest Anlass, über manches nachzudenken, auf das man in normalen Zeiten gar nicht kommt. So ist unter Wirtschaftsleuten und Politikern derzeit eine durchaus heftige Diskussion im Gange, ob nun die Krisenprozesse das komplette Marktversagen dokumentieren oder ob es bloß die Auswüchse eines übertriebenen Liberalismus sind. Diskutiert werden die Managergehälter hinsichtlich ihrer Relation zur Leistung, unterschiedlich bewertet werden die staatlichen Aktivitäten zur Rettung des Bankensektors, die Folgen der sich abzeichnenden hohen Staatsverschuldung und viele andere Dinge.

Weniger im Blickfeld aber ist ein Faktor, der eigentlich erst in Krisenzeiten richtig bemerkbar wird, auch wenn seine Rolle insgesamt bekannt ist. Es geht um Familienbetriebe, also Unternehmen, in denen keine bezahlten Manager oder Aktionäre das Sagen haben, sondern der oder die Eigentümer zugleich auch die Geschäfte selbst managen. Solche Unternehmen gehören meist zu den klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU), die ungeachtet der Unternehmensgröße auf ihrem Spezialgebiet Marktführer, manchmal sogar Weltmarktführer sein können.

Die Wirtschaft Deutschlands und deren weltweite Erfolge basieren überwiegend auf solchen Unternehmen, auch wenn sie einem breiten Publikum meist gar nicht bekannt sind. Die aktuelle Wirtschaftspraxis zeigt, dass die Unternehmen der Kategorie KMU zwar auch von den Problemen der Krise erfasst sind, ihr aber insgesamt stabiler gegenüberstehen als Großkonzerne. Das hat verschiedene Gründe. Auf den ersten Blick ist da die Struktur der Unternehmensfinanzierung. Der Anteil von Krediten ist bei vielen KMU geringer als bei Großbetrieben. Kredite aber bedeuten einerseits höhere Kosten (oder geringeren Gewinn) und andererseits Abhängigkeiten vom Kreditgeber, beispielsweise dessen Einfluss auf die Geschäfte.

Der Grund für die geringere Kreditabhängigkeit liegt in der Strategie der KMU. Die Geschäftsbasis ist meist die Idee eines Familienmitgliedes, die von ihm selbst – mit oder ohne Hilfe der Familie – praktisch umgesetzt wird. Der Ideengeber identifiziert sich mit seiner Idee und dem Unternehmen daher meist deutlich mehr als Mitarbeiter von Großunternehmen. Hinter dem Aufstieg kleiner Firmen stehen in der Regel Unternehmer im besten Sinne des Wortes, die vom Wunsch nach Selbständigkeit, vom Streben nach Selbstverwirklichung getrieben werden. Auch sie sind gierig, aber nicht nach Geld, sondern nach Erfolg und Selbstbestätigung. Die Firma ist für sie kein „Business“, sondern Lebenszweck. Deshalb führen sie die Unternehmen auch nicht wie eine Sammlung von Finanzanlagen, die möglichst schnell möglichst viel einbringen müssen, sondern sie denken langfristig, oft gar in Generationen. Meist meiden sie die Börsen, weil sie sich nicht dem Druck der Aktionäre nach schnellem Geld ausgesetzt sehen wollen. Auch folgen die KMU meist nicht irgendwelchen modischen Trends, sondern verfolgen hartnäckig eine durchdachte Idee, auch wenn mal für lange Zeit der Erfolg ausbleibt. Das klingt alles natürlich stark idealistisch, ist aber deswegen keinesfalls falsch.
KMU sind auch deshalb stabiler, weil der Anonymitätsgrad in der Belegschaft deutlich geringer ist als in Großunternehmen, oder weil er gar vollständig fehlt. Man kennt einander – möglicherweise gar den Chef – zum Beispiel aus der Fußballmannschaft, in der man sonntags gemeinsam kickt. Das macht es dann wieder leichter, mit kritisch-konstruktiven Meinungen im Unternehmen „anzukommen“. Genau das aber ist außerordentlich wichtig für die Schaffung eines offenen Betriebsklimas, das man wiederum für eine erfolgreiche Innovationspolitik braucht. Zwar sind die Unternehmenschefs von KMU mitunter  selbstgefällig und in ihrem Führungsstil patriarchalisch, gleichwohl aber auch in väterlicher Weise offen für kritische Bemerkungen der Mitarbeiter, zumal, wenn die in derselben Fußballmannschaft spielen.

Die KMU haben den weiteren Vorteil, dass sie stark regional verankert sind. Sie sind zentraler Arbeitgeber in der „Provinz“, und das Wohl und Wehe der Region hängt nicht unwesentlich von ihnen ab. Das befördert meist auch den Zusammenhalt und den Grad des Engagements der Mitarbeiter. Eine Trennung des Besitzers von seinem Unternehmen oder das Aufgeben des angestammten Standorts kommt bei derartigen Unternehmen ziemlich selten vor und ist immer auch eine Art kleine Tragödie. Schließlich stirbt mit dem Unternehmen auch ein ganz persönlicher Traum.

Einige Fakten: KMU in Deutschland erbringen etwa die Hälfte des Bruttoinlandproduktes (BIP) und schaffen etwa 70 Prozent aller Arbeitsplätze. Zwei Drittel aller Erfindungen werden in KMU gemacht, sie sind also die eigentlichen Träger des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts.

Deutsche Strukturen können und sollen nicht kopiert werden, aber ein Leitfaden auch für Kasachstan können sie allemal sein.

Bodo Lochmann

03/07/09

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