Früher, als Kind, kokettierte ich manchmal gern damit, unsympathisch zu sein: Mich mögen keine Pflanzen, keine Hunde und keine Kinder. Wann die Koketterie oder die Kindheit endet, ist nicht eindeutig festzulegen.

Meine endete zwanzigjährig, markiert von den ersten schwangeren Freundinnen. Auf den Babypartys war nur ich es, die nicht aus Freude weinte, sondern weil ich nun meine klugen Freundinnen für immer verloren zu haben glaubte. Ich nannte ihre Kinder lange Jahre nur „das Baby“, als wäre es eine klitzeklein bleibende singuläre Erscheinung. „Das Baby“ priesen die jungen Mütter stets als „so klug“, und nahmen es mir spätestens dann weg, wenn ich versuchte ihm beizubringen, „Hegels Phänomenologie des Geistes“ auszusprechen: „Sag ´Hegels Phänomenologie des Geistes´, sag ´Hegels…´.“ Ich weiß ehrlich nicht, worüber ich mich mit Kindern unterhalten soll, aber meine mütterlichen Freundinnen prophezeien mir, spätestens meinem eigenen Kind werde ich wohl etwas Vernünftiges zu sagen haben. Da ich nichts von Kindern weiß, können sie mich jederzeit positiv überraschen: „Ach, das Baby kann schon laufen? Ein Steak kauen? Sagen, dass es nicht mehr gestillt werden möchte?“

Kleine Kinder in mir fremden Ländern finde ich besonders schön. Sie bestaune ich am liebsten: „So klein bist Du und sprichst schon so gut Russisch!“ Eltern und Kinder verstehen meine Witze nicht. Trotzdem habe ich meine Scheu vor kleinen Menschen abgelegt, trete mutig vor Schulklassen und unterrichte Grundschüler in Deutsch. Meine Mädchen überliste ich, indem ich ihre Kleinemädcheneitelkeit kitzele und mir von allem erzählen lasse, was sie täglich erleben. „Ach, in der Schule gibt es einen süßen Jungen? Aber ein anderer ist noch süßer? Und welcher ist am süßesten?“ Das ist präpubertäre Adjektivkomparation.

Mit kleinen Jungen habe ich noch keine Erfahrungen, seit ein dreijähriges Kerlchen anlässlich meines Besuchs plötzlich nicht mehr unter dem Teppich hervorkrabbeln wollte, obwohl seine Mutter fand, in diesem Alter eine dritte Sprache zu lernen, sei doch eine großartige Idee. Am liebsten besuche ich die dreißig deutschlernenden Siebtklässler einer kasachischen Schule hier in Astana. Das deutsche Auge hat so viele Kinder wie auf dem Spielplatz vor der Schule seit Jahren nicht gesehen. Sie sind nicht einmal dort, um illegal kopierte Musik auszutauschen, mit Drogen zu handeln oder sich gegenseitig um ihre Markenturnschuhe zu erpressen, wie auf manchem deutschen Großstadtspielplatz. Nein, sie spielen! Es ist wie 1988 vor dem DDR-Wohnblock, in dem ich aufgewachsen bin. Meine kleinen Deutschlerner sehen entzückend aus und sind sehr gut erzogen. Sie tragen Halstücher, springen für ihre Wortmeldung auf und antworten auf Kommando laut und deutlich. Auch ein bißchen wie 1988.

Doch diese kleinen Mäuse haben tatsächlich viel zu fragen: Das Dilemma, keinen Kindergesprächsstoff zu haben, löst sich sofort, wenn ich ihnen die Details einer Harry-Potter-Bücherparty erläutern muss oder noch einen und noch einen Kinderroman nacherzähle. Bei meinem letzten Besuch drückte mir die Lehrerin (Politische Bildung!) je ein Fotoporträt von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Horst Köhler in die Hand. Den Job der Kanzlerin fanden die Kinder ganz gut. Aber die Aufgaben des Bundespräsidenten waren ihnen suspekt. „Wozu braucht man ihn denn dann?“ fragte eines der zwölfjährigen Mädchen. „Vielleicht, damit nicht einer alles alleine machen muss“, antwortete ein anderes. Kinder sind so klug.

Maria Reinhardt

18/04/08

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