Welche Aufgabe haben eigentlich Literaturkritiker? Das frage ich mich schon, seit ich weiß, dass es Literaturkritiker gibt. Die analytische Auseinandersetzung mit Literatur habe ich immer gemocht. In der Schule war Deutsch stets mein Lieblingsfach. Einerseits. Andererseits konnte ich nie die Zweifel ablegen, dass wir Wunder weiß was in die Texte hineininterpretieren, was uns der Autor angeblich sagen will. Und uns wie die Elstern freuen, wenn wir meinen, Autobiographisches und Gesellschaftskritisches in und zwischen den Zeilen zu finden; notfalls zerren wir es aus dem Versteck hinter einem Punkt oder Komma hervor.

Ja, aber vielleicht hat er das alles gar nicht sagen wollen, sondern einfach nur so vor sich hin geschrieben, der Autor. Es floss und floss aus seiner Feder, und er war dann selbst ganz erstaunt, was am Ende dabei herauskam. Oder so ähnlich. Jedenfalls bleibt es vollkommen ungewiss, so lange er sich nicht selbst dazu äußert. Die Autoren, die schon im Grabe liegen, drehen sich sicherlich ständig darin herum und finden keine Ruhe, wenn sie hören, was wir meinen, was sie meinen.

Denn außer Deutsch hatten wir schließlich noch Philosophie, und da haben wir viel über den Konstruktivismus gelernt und dass das mit der Wahrnehmung so eine Sache ist. Dass das, was wir sehen, vor allem das ist, was in unseren eigenen Köpfen entsteht. In Pädagogik haben wir erfahren, dass das mit der Kommunikation gar nicht so einfach ist und man fast ständig Missverständnisse produziert. Ergo: Interpretiere nichts in Erscheinungen und schon gar nicht in anderer Leute Köpfe hinein. Oder aus ihren Büchern heraus, könnte man erweitern.

Nach einer langen Zeit des Bockens und Zickens will ich der Literaturkritik noch mal eine Chance geben und knöpfe mir die Beiträge in der ZEIT-Reihe zu der Frage vor, wo die deutsche Literatur steht; lese offen und aufmerksam die ersten beiden Beiträge und gebe nach wenigen Seiten schon wieder auf. Wie kann man denn bitteschön annehmen, dass man die heutige deutsche Literatur beschreiben kann in Anbetracht der Unzahl und Vielfalt an Neuerscheinungen, die ständig herauskommen? Eben! Wie kommt man dazu, nur das zu analysieren, was auf den Bestsellerlisten landet und es durch die Verlagsflaschenhälse geschafft hat? Genau! Und wie kommen einzelne Personen dazu, stellvertretend für uns alle Bücher zu bewerten? Gut, so ist wahrscheinlich Kritik. Und so muss sie sein und bleiben. Aber trotzdem.

Da haben fleißige Autoren jahrelang ihre Romane Wort für Wort mühevoll zusammengesetzt, über Formulierungen, Text- und Satzstruktur getüftelt und gebrütet. Ganze Abschnitte entworfen, wieder umgeworfen. Noch mal von vorn angefangen. Sinn-, Schaffens- und Ehekrisen überwunden. Sport, Ernährung und soziale Kontakte vernachlässigt. Nicht aufgegeben. Weitergemacht. Zu Ende gebracht. Und dann – kommt so ein strenger Literaturkritiker daher und nimmt den Roman wieder Wort für Wort auseinander. Zieht sich einen einzelnen Satz aus dem Kontext, isoliert ihn, stellt ihn auf die Bühne und ins Rampenlicht, wo er dann nackt und wehrlos steht. Und dann wird er mit gewetzten Messern seziert. Grausam!

Da kann ich nur sagen: Lass doch die Leute schreiben, wie sie schreiben. Was es Wert ist, entscheidet der Markt, also auch ich. Wer will denn feststellen, wie die Literatur zu sein hat? Eben! Hauptsache, es gefällt. Wenn irgendwer irgendwas an einem Buch findet, ist es prima. Es werden Herzen gerührt, Gemüter bewegt, Gedanken angeregt. Es wird so viel geschrieben. Und das ist gut so. Es wird nach wie vor so viel gelesen. Das ist noch viel besser. Und es ist wirklich gute Literatur darunter, wenn ich mir diese kurze schnelle Bewertung erlauben darf. Die deutsche Literatur ist in bester Ordnung, wie ich finde. Und damit sollte man sie in Ruhe entstehen lassen. Falls ich auch mal ein Wörtchen mitreden darf. Das wollte ich mal gesagt haben.

Julia Siebert

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