Bildung, Kunst, Sport, Handarbeit, Business, Freizeit passen nicht zusammen? In Almaty hat ein Haus seine Türen für Aktive aus all diesen Bereichen geöffnet und beweist das Gegenteil.

L.E.S. – das bedeutet Local Experimental Society. Und tatsächlich scheint es wie ein Experiment, wenn man die vielen unterschiedlichen Interessensgebiete, die sich in dem Haus in der Almatyer Furmanow-Straße zusammenfinden, betrachtet: Auf 650 Quadratmetern befinden sich Räume zum Arbeiten, für Vorträge, Filmvorführungen, für Werkstätten, für Ausstellungen, ein Coworking-Bereich, ein Fitnessraum. „Man kann kreative Felder nicht voneinander trennen“, erklärt Alim Sailybajew, einer der Gründer und jetziger Berater des L.E.S. „Alle Orte, an denen etwas Großes entsteht, sind umgeben von einer Vielfalt an anderen kreativen Bereichen.“

Bürokraten und Business Angels

Alim Sailybajew weiß, wovon er spricht: 2008 haben er und seine Kollegen ein anderes Projekt gestartet. Es handelte sich dabei um eine private Beratungsfirma für die Nationale Stiftung für Innovation, die einen „Techno-Park“ errichten wollte. Das ist ein Gelände, auf dem unterschiedliche Firmen an ihren Projekten arbeiten können und wegen der örtlichen Nähe gute Möglichkeiten haben, sich miteinander auszutauschen. Eigentlich sei es ein gutes Konzept gewesen, findet Alim Sailybajew, das Problem sei jedoch der Kunde gewesen: Da es eine Regierungsstiftung ist, seien die Angestellten eingefleischte Bürokraten gewesen, ein Faktor der es schaffe, jegliche Innovation auszubremsen. Für diese Techno-Parks brauche man motivierte Leute, wie es nur Privatinvestoren seien. Deswegen haben sie vor einem Jahr das Projekt „L.E.S.“ ins Leben gerufen. Seitdem es dann im Oktober 2012 in Betrieb genommen wurde, finden sich dort immer mehr kreative Leute aus allen Sektoren ein. Private Investoren, sogenannte „Business Angels“, finanzieren das Ganze. Neben wirtschaftlich-technischen Projekten wird der Schwerpunkt auf künstlerische Entwürfe gesetzt.

In einem kleinen Raum arbeiten Timur und Julia. Sie entwerfen Notizbücher und Mappen aus Leder. Sowohl Design, als auch Umsetzung stammen von ihnen. Dabei sei Timur der kreative Geist und sie die handwerklich Begabte, erklärt Julia. Sie haben im L.E.S. einen Ort, an dem sie nicht nur Platz für eine Werkstatt haben und von wo aus sie Bestellungen verwalten, sie haben dort auch Kontakt zu anderen Künstlern. Der ständige Austausch fördere die Kreativität, erklären sie und zeigen die Arbeiten eines befreundeten Lampendesigners, der zwar eigentlich zu Hause arbeitet, aber jeden Tag vorbeikommt.

Es gibt im L.E.S. außerdem eine Kunstgalerie, allerdings nicht im herkömmlichen Sinne. Es gehe nur eine bestimmte Art von Leuten in Galerien und Museen, wo ausschließlich Kunst zu finden ist. Deswegen müsse man die Kunst zu den Leuten bringen, findet Alim Sailybajew. Ausstellungen finden im L.E.S. also in einem Café statt. Die Menschen kämen so im täglichen Leben mit Kunst in Kontakt und würden ganz nebenbei ein Verständnis dafür und gleichzeitig einen eigenen Geschmack entwickeln.

„Körperliche und geistige Fitness gehören zusammen“, sagt Alim Sailybajew. Im Fitnessraum kann man an verschiedenen Kursen teilnehmen. Vor Kurzen begann ein Lehrgang zum israelischen Kampfsport Krav Maga, es gibt einen Frauenboxkurs und, vielleicht ein wenig belustigend, eine Schulung zu „Sex-Fitness“, wo der Körper „fit für die Liebe“ gemacht werden soll und gelehrt wird, wie man strippt. Fehlt dafür noch der richtige Partner, gibt es spezielle Kurse für Frauen, bei der sie in die Pick-up-Kunst eingeführt oder, falls sie an den Falschen geraten, mit Selbstverteidigung vertraut gemacht werden.

Neue Ideen willkommen

Neben den ständigen Angeboten veranstalten die aktiven Angehörigen des L.E.S. jeden einzelnen Tag verschiedene Events. Dabei gibt es wöchentlich stattfindende Veranstaltungen wie einen Kunst-Club, aber auch Diskussionen zu aktuellen Themen aus sozialen oder geschäftlichen Bereichen. Außerdem gibt es von Zeit zu Zeit experimentelle Live-Musik zu hören.

Ab Mai kommen weitere Workshops ins Programm, die sich unter anderem mit Kochen, Holz und Computerprinttechnologie beschäftigt. Außerdem wird derzeit eine weitere Sparte für soziales Engagement eröffnet. Alim Sailybajew erklärt, dass es in Almaty aufgrund der Sowjetvergangenheit besonders schwierig für Aktive sei, sich selbstständig sozial zu engagieren. Es sei zwar ein starker Wille dazu vorhanden, aber das notwendige Wissen und die Strukturen für ein Gelingen fehlten. Diese will man im L.E.S. in Form von Unterstützung durch Spezialisten zur Verfügung stellen. So könnten sich die meist jungen Leute darum kümmern, die Probleme zu lösen, die ihnen wichtig sind, während sie sich nicht mit finanziellen Fragen und Bürokratie plagen müssten.

Wer eine gute Projektidee hat, kann sich, nachdem er sich auf der Homepage über laufende Projekte informiert hat, einfach persönlich im L.E.S. melden. Ausgewählt werden neue Bewerbungen danach, wie innovativ sie sind und nach Nachhaltigkeit. Demnächst soll zur Auswahl von Bewerbern auch ein unabhängiges Gremium gebildet werden.

Dabei sind vor allem internationale Bewerber sehr gefragt, da man neben fachlicher Vielfalt auch gerne verschiedene Sichtweisen auf kulturellem Niveau schätzt. „Wir würden das L.E.S. wirklich gerne zu einem internationalen Ort machen“, betont Alim Sailybajew, „momentan fehlen uns aber noch die Leute dazu.“ Und doch tragen die Bemühungen bereits Früchte: Neben Spenden verschiedener Konsulate hält die Aliance Française dort einen Teil ihrer kulturellen Veranstaltungen ab, wie auch vor Kurzem im Rahmen der frankophonen Woche eine Fotoausstellung und ein Vortrag zu Marseille, der europäischen Kulturhauptstadt 2013. Von deutscher Seite hat man Kontakte zum Goethe-Institut, das bereits bei der Eröffnung des L.E.S. vertreten war, sowie zur Friedrich Ebert-Stiftung, die momentan ein Buchprojekt unterstützt

Das L.E.S. in der Fumanow-Str. 193, Ecke Satpajew-Str. hat von acht Uhr morgens bis zehn Uhr abends geöffnet (Ausbau der Öffnungszeiten ist geplant). Für 30.000 Tenge im Monat bekommt man im „Coworking“-Bereich einen Platz, dazu Internet, Drucker, Fax, Getränke, Kekse und Vergünstigungen bei den zahlreichen Workshops.

Von Emilie Caissier

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