Im Falkenzentrum „Sunkar“ in Almaty durchlaufen die Vögel eine schulische Laufbahn und erhalten am Ende ein Diplom als ausgebildete Jagdvögel. Die verschiedenen Ausbildungsstadien können die Besucher täglich in einer Falkenschau bewundern. Auch das Deutschlernen soll nicht zu kurz kommen.

„Ich arbeite hier, damit ich den Menschen auch neue deutsche Wörter beibringen kann“, witzelt Paul Pfander, der als Falkner im Falkenzentrum „Sunkar“ arbeitet. Er trägt eine braune Jägertracht, die aus Wildleder besteht und die Farben der Natur imitiert. Seinen Kopf bedeckt eine hellbraune Kappe. Auf seinem linken Arm, der von einem starken Lederhandschuh bedeckt ist, sitzt ein Falke. Die Zuschauer nehmen auf einer kleinen Tribüne Platz. Sie schauen auf eine grüne Wiese, die ein kleiner Teich ziert, in welchem einsam eine Ente schwimmt.

„Das erste Wort, das ich Ihnen beibringen werde, ist das Wort ‚Haube‘.“ Denn auch der Vogel trägt eine Kappe, die den gesamten Kopf mitsamt den Augen des Tieres einhüllt. Diese Haube ist sehr bedeutend für die Jagd. Sie ist ein bewährtes Mittel, um dem Falken unnötigen Stress zu ersparen. Die meisten Falken sind sehr gut an die Haube gewöhnt. Sie entspannen sich unter ihr, putzen sich oder schlafen. Sie wird offensichtlich als etwas Positives empfunden, denn die Dunkelheit suggeriert dem Vogel Nacht – und Nacht bedeutet im Verständnis des Vogels Sicherheit. Im Hinblick auf die Jagd ist sie überdies bedeutend für die Kommunikation zwischen Falkner und Vogel. Wird die Haube abgenommen, weiß der Vogel, dass er losfliegen darf.

Der Falke auf Pauls Arm heißt Graf Monte Christo. Er befindet sich in der ersten Ausbildungsphase. „Im Kindergarten“, wie Paul es nennt. „Was der Falke innerhalb eines Monats gelernt hat, werde ich Ihnen nun präsentieren“, erklärt er. Die Kommunikation zwischen Mensch und Tier ist eine wahre Geduldsarbeit.

Die Gruppe wartet gespannt darauf, was nun passieren mag. Ganz langsam nimmt der Vogeltrainer die Haube des Grafen ab. Letzterer schüttelt irritiert seinen kleinen Kopf. Wenige Sekunden später breitet er seine Flügel aus und fliegt eine Runde um die Wiese. Er lässt sich auf dem Boden nieder. Plötzlich aber fliegt er zurück auf seinen Platz. Erst jetzt wird klar, welchen Zweck die kleine Umhängetasche hat, die Paul bei sich trägt. In dieser verbergen sich kleine männliche Küken, die als Futter, Lockmittel und Belohnung dienen. Eine andere Daseinsberechtigung kommt ihnen leider nicht zu. Ansonsten würden sie in der Fabrik sowieso zerschreddert werden, da sie weder Eier legen noch genug Fleisch zum Verzehr ansetzen.

Paul erklärt gerade noch das Wort „beireiten“. Dies ist nämlich das, was der Graf gerade vorgeführt hat. Er ist erfolgreich zum Handschuh zurückgeflogen.

Weiter geht’s im Deutsch– und Vogelkurs. Nun soll das Publikum einen schon fortgeschrittenen Schüler kennen lernen.

Was ist das? Wie im Märchen kommt hinter Paul ein stattlicher Reiter auf einem glänzenden Rappen angeritten. Auf seinem Arm sitzt ein Adler. Der Reiter übergibt den Vogel an Paul. Sein Gesichtsausdruck ist konzentriert und streng. Was für eine Inszenierung! Langsamen Schrittes reitet er im Hintergrund wieder aus dem Bild. Der geheimnisvolle Reiter heißt Igor. Spätestens jetzt sind ihm alle verfallen.

Nun aber sind alle Blicke auf den Adler gerichtet, der auf Pauls Arm Platz genommen hat. Das Bild wirkt etwas unnatürlich. Ein Adler, der normalerweise die Freiheit an sich symbolisiert, sitzt dort, als hätte er nie etwas anderes gemacht.

Der Ruf nach Freiheit

Falknerei

Die meisten Tiere leben hier, seitdem sie Küken sind, sie kennen also nichts anderes“, erklärt Paul. Aber auch er scheint den Punkt der Haltung in Käfigen kritisch zu sehen. Er hat jahrelang in Deutschland als Ornithologe gearbeitet und hat einige Dokumentationen über Greifvögel gedreht. Auch wenn er jetzt hier arbeitet, weiß er, was es für die Vögel bedeutet, vom Menschen als Nutztiere ausgebildet zu werden. Doch „Sunkar“ bildet nicht nur Jagdvögel aus. Das Falkenzentrum trägt zu einem bedeutenden Teil dazu bei, dass die Falken in Kasachstan nicht aussterben. In den 1990er Jahren wurden viele Falken unerlaubt gefangen und verkauft, weswegen sich die Population stark dezimiert hat. Seit 1989 hat das Zentrum über 500 Vögel aufgezogen und in die Natur gebracht. Leider werden die Vogelschmuggler meist nur mit einer Geldstrafe belastet. Auf dem Schwarzmarkt kann ein Falke bis zu einer Million Dollar einbringen. Auch für die Steinadler soll ein solches „Hilfsprogramm“ starten.

Hier bei der Vorstellung jedoch ist Paul ein wahrer Entertainer, also geht es weiter mit Kahn. So heißt der riesige braune Steinadler. Um die Spannung ein wenig zu steigern, wird erst einmal ein neues Wort gelernt: „Federspiel“.

Hierbei handelt es sich um eine Beuteattrappe zur Zähmung eines Vogels. Das Federspiel ist das wichtigste Übungswerkzeug für Greifvögel des hohen Fluges, die gezähmt werden sollen.
Dieser Köder hängt an einer etwa 2 Meter langen Schnur, die der Falkner über seinem Kopf mehrmals wie ein Lasso kreisen lässt – ls Zeichen für den Vogel, dass er zu seinem Falkner zurückkommen soll, aber auch um den Greifvogel zu konditionieren. Zur Belohnung erhält der Vogel einige Küken aus dem Beutel. Dann kommt Igor erneut angeritten, um den Adler wieder in seinen Käfig zu bringen.

„Das war´s schon mit der Vorstellung. Aber vielleicht haben wir ja auch noch einen Überraschungsgast, wenn er denn Lust hat.“ Kaum hat Paul diese Worte ausgesprochen, fliegt etwa 10 cm über den Köpfen des Publikums ein riesiger Vogel. Auch er ist von Pauls Küken-Beutel angelockt. Der Geier, der sich wohl schon in der Meisterklasse der Ausbildung befindet, wiederholt sein Kunststück noch einmal und verschwindet dann wieder im Nirgendwo. Ein gelungener Abschluss der Vorstellung!

Auch in Deutschland gibt es vielerorts eine Falknerei mit sogenannter Greifvogelschau.
Derzeit gibt es etwa 2000 aktive Falkner in Deutschland, die eine alte Tradition am Leben erhalten. Heute umfasst Falknerei weit mehr als die Jagd mit dem Vogel. Viele Falknerverbände und verbandslose Falkner engagieren sich für den Schutz und Arterhalt von Greifvögeln. Dazu gehören die Pflege verletzter Tiere, sowie Nachzuchtprojekte und Auswilderung. Die jungen Greifvögel (insbesondere gefundene Nest– und Ästlinge) müssen das Jagen erlernen, um in der freien Natur überleben zu können. Dabei darf der Vogel jedoch nie die natürliche Scheu vor dem Menschen verlieren. Dies ist eine besondere Herausforderung für eine erfogreiche Wiederauswilderung, die sehr viel Zeit und fachliche Kompetenz abverlangt.

Im Falkenzentrum in Almaty vermittelt Paul ein ganz besonderes Einfühlungsvermögen für die Tiere. Er bringt eben diese fachliche Kompetenz mit, die den Vögeln helfen kann, wieder ausgewildert zu werden. Hier geht es nicht nur um Unterhaltung, sondern um auch um Artenschutz. Der Zuschauer trägt in gewisser Weise auch dazu bei. Und kann nebenbei auch noch ein paar neue Wörter Deutsch lernen.

Von Maria Manowski

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