Der Ausbaumeister Reinhard Gorek aus Rimbach im Odenwald arbeitet seit 32 Jahren für verschiedene deutsche Baufirmen in Afrika, Südamerika und im Nahen Osten. Derzeit betreut er als Qualitätsmanager die Baustelle eines Jagdhauses circa 150 Kilometer östlich von Almaty. Im Interview mit der DAZ verrät er unter anderem, an welcher Stelle Kasachstan auf seiner persönlichen Länder-Rangliste steht.

/Bild: Ulrich Steffen Eck. ‚Bauleiter Achrjat (l.), Reinhard Gorek (2. v.l.) und ihre Mannschaft. ‚/

Haben Sie sich gezielt auf eine Stelle in Kasachstan beworben?

Nein, ein Freund mit dem ich 20 Jahre lang im Ausland zusammengearbeitet habe, hat mich vor knapp zwei Jahren angerufen und gesagt: „Mensch, Reinhard, kannst Du nicht hier runterkommen, ich habe hier ’ne Baustelle, die kann ich alleine nicht machen. Viel zu tun und keine gescheiten Leute da.“ Ich bin hergeflogen, hab es mir angeschaut und zugesagt. Zur Unterstützung hat mir die Firma dann noch Larissa, eine Übersetzerin, gegeben.

Dank Larissa ist die Sprache also keine Barriere bei der Arbeit?

Sie war bei unserem ersten Projekt auf dem Abai-Prospekt immer auf der Baustelle dabei, und deshalb gab es für mich keinen Zwang, Russisch zu lernen. Wir haben eine klare Aufgabenteilung: Die Kommunikation und das Schriftliche macht sie, und ich mach die Baustelle. Mein Russisch reicht leider gerade mal für: „Piwo nol pjat“. (lacht)

Auf der Baustelle auf dem Abai-Prospekt waren Sie die graue Eminenz hinter dem Bauleiter, oder wie kann man sich Ihren Job vorstellen?

Der Rohbau war schon fertig, noch keine Fenster und Türen drin, und dann bin ich gekommen, und wir haben angefangen, alles einzubauen, von den Fenstern über die Türen, die Fußböden, die Fliesen, wir haben die Malerarbeiten gemacht – praktisch alles bis zur Schlüsselübergabe. Ich habe den ganzen Ablauf mitgestaltet und Tipps gegeben, wie man’s macht, Arbeiter angelernt und so weiter. Ich habe den Leuten gezeigt, wie man die deutsche Qualität, die sie haben wollen, hinbekommt. Und da Larissa gerade selbst ein Häuschen baut, konnte sie auch gleich mitlernen.

Was machen Sie jetzt hier in Tschilik, 150 Kilometer von Almaty entfernt?

Im Prinzip dasselbe. Aber als ich hier ankam, war gerade der Aushub fertig, wir haben die Bodenplatte und die Wände gemacht. Diese Woche ist der Unterbeton dran, dann gehen wir an die Pfeiler ran und machen gleich noch das Dach, damit das steht, wenn es schneit. In zwei Monaten sollte zumindest der Rohbau fertig sein.

Gibt es bei der Arbeit mit den kasachstanischen Kollegen Probleme?

Über meine kasachstanischen Kollegen kann ich bisher fast nur Positives sagen. Sie sind ohne Probleme auf das eingegangen, was ich ihnen gesagt und gezeigt habe. Ich versuche immer, ihnen auch zu begründen, warum ein Material so und nicht anders verarbeitet werden sollte. Ich kenne die Materie von der Pike auf, habe das ja gelernt. Ich bin ja schließlich hier, um zu zeigen, wie man europäische oder deutsche Qualität am Bau erreicht. Nicht nur gute Materialien kaufen, sondern die auch richtig verarbeiten. Da wurde zum Beispiel Silikon gespritzt, und anschließend wurde am Silikon mit den Fingern heruntergefahren. Das sieht dann erstens dementsprechend aus, und nach einem halben Jahr löst es sich an den Kanten. Ich habe einen Mann gehabt, mit dem habe ich zwei Wochen täglich eine Stunde lang gearbeitet, um zu zeigen, wie man mit Silikon verfugt. Am Ende der Baustelle war der so gut, dass man ihn hätte in Deutschland einsetzen können. Man braucht aber einen langen Atem.

Fühlen Sie sich in Kasachstan wohl?

Bisher hatte ich ein gutes Verhältnis zu den Kasachen und Schwierigkeiten mit der Polizei noch mit irgendjemandem anders. Obwohl; einmal bin ich mit Larissa von der Polizei angehalten worden, wohl wegen der Geschwindigkeit. Larissa hat gar nichts gesagt, ich nur etwas auf Deutsch. Ich habe den Pass gezeigt, und wie er gesehen hat, ich bin Deutscher, hat er „Strafe“ gesagt, wohl das einzige Wort, das er auf Deutsch konnte. Dann hat er mir auf einen Zettel geschrieben: 5.800 Tenge. Zu guter letzt hat er die Summe auf dem Zettel durchgestrichen und mich gehen lassen. Er war freundlich, und ich natürlich auch, und so ging die Sache noch glimpflich für uns ab.

Wie sind Sie denn generell dazu gekommen, im Ausland zu arbeiten? Was haben Sie gelernt?

Ich bin Ausbaumeister, aber ursprünglich gelernter Maler- und Verputzer. Dann habe ich meinen Techiker gemacht und mich so zum Ausbaumeister qualifiziert. Mitte der 1970er war die Auftragslage in Deutschland nicht so gut, und ich wurde arbeitslos. Ein Freund hat sich damals bei Philipp Holzmann, dem seinerzeit größten deutschen Bauunternehmen beworben, und ich bin eher zum Spaß mitgefahren, habe aber trotzdem den Auslandfragebogen ausgefüllt. Ein halbes Jahr später hat mir Holzmann einen sehr lukrativen Vertrag vorgelegt, und ich habe unterschrieben. Meinen Pass habe ich bei der Vertragsunterzeichnung gleich dagelassen, und eine Woche später saß ich auch schon im Flugzeug nach Saudi-Arabien.

Also eine sehr spontane Entscheidung?

Stimmt, aber ich war arbeitslos, hatte zwar Angebote in Deutschland, aber die waren nicht gut. Und als ich dann die Konditionen von Philipp Holzmann gesehen hatte… Zumal mir angeboten wurde, später meine Familie nachzuholen und ich da unten ein Haus bekommen habe, in dem wir wohnen konnten, und es gab eine Schule.

Haben sie damals einen Arabischkurs besucht?

Nein, ich habe versucht, jeden Tag ein Wort zu lernen. Nach etwa zwei Jahren habe ich so gut arabisch gesprochen, dass man mich geholt hat, wenn es etwas zu dolmetschen gab. Über die Jahre hinweg habe ich das immer weiter ausgebaut, ich war ja nicht 13 Jahre am Stück in Saudi-Arabien, sondern immer in Abständen, mal fünf Jahre, mal zwei, dann noch mal dreieinhalb Jahre. Und immer wenn ich in einem arabischen Land war – zum Beispiel war ich mal fünf Jahre in Libyen – habe ich das Arabische verfeinert und dazu gelernt.
Dann habe ich auch in Afrika, Südamerika und im Nahen Osten gearbeitet – das waren natürlich interessante Jahre.

Wenn Sie einen Vergleich zwischen den Ländern, in denen Sie gearbeitet haben, anstellen – hinsichtlich Arbeitsklima, Lebensbedingungen und -standard – an welcher Stelle steht da Kasachstan?

In vielen Ländern, zum Beispiel des arabischen Raums, arbeiten am Bau nur Gastarbeiter, beispielsweise aus Pakistan, Bangladesh, Philippinen, Sudan oder Thailand. Diese Leute sind selbst Fremde im Land, Wenn da ein Mann nicht spurt, dann fliegt er nach Hause. Er ist also sehr bemüht, das auszuführen, was von ihm verlangt wird, denn er weiß: Wenn ich kein Geld verdiene, das ich nach Hause schicken kann, dann sieht es dort sehr schlecht aus.
Nehmen wir dem gegenüber Nigeria: Dort arbeiten Einheimische, also Nigerianer. Und wenn Du von denen etwas willst, was ihnen nicht passt, dann heißt es gleich: „Ich bin hier zu Hause, du bist Ausländer!“ Da braucht man ein sehr gutes Feingefühl, um die Leute zu motivieren, anzuleiten und eine akzeptable Leistung zu erzielen.
Hier in Kasachstan ist das gemischt. Es gibt viele einheimische Kollegen, aber auch Leute aus Usbekistan oder Tadschikistan. Die letzteren haben dasselbe Problem: Sie wollen hier arbeiten, manchmal nicht ganz legal, deshalb geben sie sich große Mühe. Die Kasachen sind an sich auch fleißig – solange sie unter Anleitung arbeiten. Wenn nicht, dann plätschert das so dahin, wie damals in der Sowjetunion, nach dem Motto, „Ach ja; das machen wir morgen, kein Problem!“ Und das geht natürlich nicht in einem Leistungssystem, wie es Kasachstan aufbauen will. Da muss man Tag für Tag kontinuierlich arbeiten, um Termine einhalten zu können.

Wo steht Kasachstan also auf Ihrer persönlichen Rangliste?

Was Almaty als kasachstanische Stadt angeht: So eine Stadt kann man sich durchaus auch in Deutschland vorstellen, wenn man vielleicht ein paar Abstriche bei der Sauberkeit und der Luftsituation macht. Hier kann man doch leben, oder? Die Stadt ist unheimlich grün. Und Kasachstan als Land liegt, was die Natur und den zwischenmenschlichen Umgang angeht, verglichen mit den anderen mir bekannten Ländern im vorderen Drittel. An allerletzter Stelle rangiert bei mir Nigeria. Wenn wir dort nicht so gut und sicher untergebracht gewesen wären, wäre ich hundertprozentig wesentlich früher zurück geflogen.

Was war in Nigeria so schlimm?

So etwas Kriminelles und Korruptes und dabei Diskriminierendes gegenüber Weißen habe ich sonst nirgends in der Welt erlebt. Die arme Bevölkerung im Süden bekommt vom Ölreichtum Nigerias nichts ab. Man muss sich vorstellen, wie arm Menschen sein müssen, um Ölleitungen anzubohren und dabei Explosionen zu riskieren. Wir hatten ein Hausmädchen, das hat 15 Dollar im Monat verdient. Wir durften nicht mehr zahlen, obwohl wir es gern getan hätten. Es hieß von Seiten der Firma, wenn jeder zahlen würde, was er will, dann würden die Preise hochgehen, und nichts wäre mehr kontrollierbar. Dieses Hausmädchen hat unsere Mülltonne immer nach Brauchbarem durchsucht. Danach kam die Müllabfuhr, die hat die Tonne noch einmal durchsucht. Auf dem Müllplatz wurde alles ein drittes Mal von einer Truppe durchwühlt. Dann kam der Lader und hat alles breit geschoben; und danach kam nochmals ein Trupp, der die absolut letzten Reste heraus gefischt hat. Soviel zur Armut in Nigeria. Und das bei dem Ölreichtum dort!

Sie sind ja Pragmatiker mit Bodenkontakt. Im Moment wird viel über die Situation im kasachstanischen Bauwesen orakelt. Viele Bürger haben Kredite für Eigentumswohnungen aufgenommen und diese Wohnungen schon bezahlt. Die ausführenden Unternehmen sind mittlerweile in Konkurs gegangen, und jetzt stehen im Stadtgebiet Almatys halbfertige Mehrgeschosser, während der Staat überlegt, wie die aufgebrachten Käufer zufrieden gestellt werden könnten. Was meinen Sie, wie geht es im kasachstanischen Bauwesen weiter?

Meine Dolmetscherin und Sekräterin Larissa hat zusammen mit ihrem Vater ein Häuschen bauen wollen. Das Haus ist bezahlt, die Firma hat angefangen zu bauen. Die ersten zwei Etagen sind fertig, das Dach ist noch nicht drauf. Die ausführende Baufirma ist in Konkurs gegangen. Und was machen sie jetzt – sie versuchen das Häuschen selbst fertig zu bekommen.

Was verdient man denn hier in der Branche?

Bei einer Qualifikation wie sie Larissa hat etwa 1.000 Dollar. Es gibt aber jede Menge weniger gut Qualifizierte. Und da muss man natürlich den Durchschnitt nehmen. Ich schätze, dass der Durchschnittslohn am Bau bei 100.000 Tenge liegt. Mit 1.000 Dollar gehört man schon zu den Gutverdienenden. Die Bauarbeiter verdienen etwa 60.000 Tenge. Unser Architekt hat 500.000 Tenge pro Monat bekommen.

Was ist in den nächsten ein bis zwei Jahren zu erwarten?

Im Moment herrscht – bis auf ein paar Projekte, die von ausländischem Kapital finanziert werden – absoluter Stillstand. Bis Ende nächsten Jahres sehe ich keine Lösung für die Krise im Bauwesen. Dann spätestens sollten Wege gefunden sein. Aber einen Boom wie er in den letzten Jahren stattgefunden hat, wird es nicht mehr geben. Es wurden Wohnungen über Wohnungen gebaut. Man muss nur überlegen: Almaty hat anderthalb Millionen Einwohner, und es sind tausende von Wohnungen gebaut worden. Die müssen ja gekauft werden, die Leute machen das und ziehen da ein. Die Wohnungen, in denen sie vorher gewohnt haben, sind jetzt leer. Und wenn die nicht mehr vermietet werden können, dann wird der Abriss kommen. In den letzten Jahren wurden um die 300.000 Wohnungen gebaut. Man hat nicht mehr als 15 Millionen Einwohner in Kasachstan. Und man kann nicht mehr Wohnungen verkaufen, als Leute da sind.

Sie haben Familie. Wie steht die zu Ihrem Auslandsengagement?

Ich war immer mit der Familie zusammen im Ausland. Ich habe zwei Kinder, die waren auch schon mit in Saudi-Arabien. Dort haben sie vieles gelernt, das ihnen auch in Deutschland zugute kam, zum Beispiel Englisch, das dort in der Schule gesprochen wurde.

Sie sind natürlich mittlerweile erwachsen. Mein Sohn ist vierzig und betreibt ein gut gehendes Reisebürounternehmen. Ich bin schon Opa, habe Enkel. Meine Tochter hat auch schon eine Tochter und einen guten Job. Sie führen ihr eigenes Leben, alles im grünen Bereich. Meine Familie war immer mit im Ausland.

Nur diesmal bin ich alleine hier, ohne meine Frau, das ist nicht so schön. Aber mittlerweile war sie schon dreimal hier in Almaty. Das nächste Mal gehe ich nur mit meiner Frau ins Ausland. Wenn Du alleine draußen bist; das ist einfach kein Leben.

Das Interview führte Ulrich Steffen Eck

31/10/08

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