Eine Kultur muss schmecken. Wir können uns mit dem Kopf verbiegen und verrenken, mit Argumenten Verständnis und Toleranz begründen.

Wenn aber die Sinne nicht mitspielen, nützt alles Reflektieren nichts. Unsere Augen sind dabei noch am gnädigsten. Natürlich suchen unsere Blicke das Schöne. Wenn in einem anderen Land alles schön ist, die Landschaften, die Menschen, die Städte, dann haben diese Kulturen ein leichtes Spiel mit uns. Aber wenn es mal nicht so schön zugeht, dann bleibt es zumindest interessant. Auch unsere Haut möchte gern gestreichelt werden, von guter Luft und Sonne. Und selbstverständlich gefällt es uns bei schönem Wetter überall besser als bei Regen. Aber im Zweifelsfall kommen wir auch damit zurecht, gibt es doch atmungsaktive Freizeitkleidung und Dinge, die man drinnen tun kann, wie zum Beispiel Museen besuchen oder in Caféhäusern sitzen. Sehr ungnädig mit dem Fremden sind hingegen Gaumen, Zunge und Magen. Es ist aber auch etwas anderes, sich etwas einzuverleiben als etwas nur oberflächlich an sich ranzulassen. Ein Land, in dem es einem gut schmeckt, besucht man immer wieder gern. Auf der Hitliste stehen Frankreich, Italien und Spanien. Wo wir tage- oder wochenlang Probleme mit Magen und Darm hatten, da wollen wir nicht wieder hin. Die Vorstellung davon, Hühnerfüße, Rinderhoden oder Affenhirne verspeisen zu müssen, läßt uns nicht vor einer Reise zurückschrecken. Genuss macht tolerant. Wenn ein guter chinesischer Koch abgeschoben werden soll, demonstrieren sogar Dorfbewohner in ostdeutschen Provinzen, wo es sonst nicht so tolerant zugeht, für sein Bleiberecht. Das Essen bleibt das wichtigste Mittel der Völkerverständigung. Wenn wir essen und mögen, was uns der andere kredenzt, ist das fast ein Liebesbeweis. Was aber, wenn es nicht schmeckt? Dann wird es wirklich schwierig. Wer kulturell geschult ist, der isst alles, was einem angeboten wird, der beherrscht auch die Regeln, wie und wie oft man etwas ablehnen muss, wie oft und wie viel man nachnimmt. Allein, Magen und Gaumen lassen sich nicht interkulturell schulen. Lobende Worte kommen einem leicht über die Lippen, artfremde Speisen nur sehr schwer. Da aber Worte weniger wirken als Taten, nützen alle Lobeshymnen auf Land und Leute wenig, wenn man die dazugehörigen Speisen ablehnt. Also – rein mit der Speis. Das Ganze hat nur einen Haken. Wenn man sich die halbe Nacht übergeben muss und sich mit Übelgefühl jahrelang an diese schwergängigen Auslandsaufenthalte erinnert, ist zwar das Ausland befriedigt, man selbst möchte aber nicht mehr dorthin. Ich für meinen Teil würde den Spieß gern umdrehen – dass interkulturelle Kompetenz nicht mehr heißt, alles zu essen, was einem angeboten wird, sondern dass die interkulturell geschulten Gastgeber ihre Gäste nicht mehr nötigen, alles zu essen. Doch bis dahin ist es noch ein langer, mühseliger Gang durch viele köstliche und abscheuliche Speisen. Guten Appetit!

Julia Siebert

27/04/07

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