Über die Autorin Katharina Martin-Virolainen

„Meine Herkunftsfäden ziehen sich aus vielen Orten dieser Welt: Vom Nordlicht Kareliens über die verschneiten Wälder Sibiriens, durch die windige Steppe Kasachstans bis zu den grünen Wiesen Wolhyniens, von Schlesien über Preußen bis tief in den Schwarzwald“, berichtet die Autorin Katharina Martin-Virolainen aus Deutschland über ihre Herkunft. Und das sind nur einzelne Stationen auf der Reise ihrer deutschen, finnischen und russischen Vorfahren. Vielleicht ist das der Grund, warum sie sich zu all diesen Orten hingezogen fühlt und sich immer wieder auf Spurensuche begibt.

Katharina Martin-Virolainen wird 1986 in Petrosawodsk, in Karelien im Norden Russlands, geboren. Ihre Mutter Irina Virolainen ist Tochter einer Russin und eines Finnen, ihr Vater Otto Martin ist Deutscher aus Kasachstan. In ihrer frühen Kindheit besucht Katharina mit ihren Eltern oft das Dorf Kamenka in Kasachstan, das nicht weit von der Hauptstadt, im Rajon Astrachan – damals noch Gebiet Zelinograd – liegt. Dort lebt die deutsche Familie und Verwandtschaft ihres Vaters.

Die Erinnerungen an diese Zeit fasst Katharina Martin-Virolainen in ihrer Kurzgeschichte „Lebensspiel mit allen Sinnen“ zusammen, in der sie von den Eindrücken dieser Familienbesuche in einem blühenden Dorf mitten in der kasachischen Steppe schwärmt. Im Mai 2019 unternimmt sie eine Reise in die alte Heimat ihres Vaters. Ein Jahr zuvor reist sie im Herbst nach Wolhynien in der Ukraine, an den Ort, wo einst ihre deutschen Vorfahren gelebt hatten, ehe sie 1936 nach Kasachstan deportiert wurden. Die Eindrücke von diesen Reisen teilt sie auf ihren Kanälen in sozialen Netzwerken und bekommt Nachrichten aus aller Welt – von Kasachstan bis Kanada.

Eine zusätzliche Sprache schadet nie

Schreiben gehört zu den größten Leidenschaften von Katharina Martin-Virolainen. In den ersten Schuljahren schrieb sie immer wieder kleinere Fantasiegeschichten und Gedichte. „Leider ist davon nichts mehr übrig geblieben“, bedauert sie. Als die Familie Martin 1997 nach Deutschland umsiedelt, lässt sie alles zurück. „Wir kamen mit zwei kleinen Reisetaschen und mussten hier von Null anfangen.“

Die Eltern legen viel Wert darauf, dass Katharina schnell Deutsch erlernt, aber auch, dass sie die russische Sprache nicht vergisst. „Eine zusätzliche Sprache schadet nie“, sagen sie und fördern das Interesse ihrer Tochter an Sprachen und Literatur.

„Früher gab es noch keine Online-Shops. Die Bücher haben wir im Katalog bestellt oder auf den russischen Büchermarkt gewartet. Meine Mutter und ich haben immer so viele Bücher eingekauft, dass wir die Taschen kaum zum Auto schleppen konnten“, erinnert sich die Autorin.

Katharina Martin-Virolainen ist eine Geschichtenerzählerin

Als Jugendliche träumt sie davon, einen großen Roman zu schreiben. Doch dafür fehlt ihr die Geduld. Immer wieder bricht sie ihre Arbeiten ab und widmet sich parallel zum Studium dem journalistischen Schreiben. Erst 2015 entdeckt sie ihre Liebe zu Prosa und Poesie wieder. Doch für einen Roman reicht es leider wieder nicht. „Ich bin eine Geschichtenerzählerin“, sagt die Autorin über sich selbst. „Mein Ziel ist es, Lebensgeschichten zu erzählen und Menschen dadurch zu erreichen.“ Drei Jahre lang sammelt sie unterschiedliche Geschichten und verarbeitet sie schließlich zu einem Sammelband mit dem Titel „Im letzten Atemzug“, der im März 2019 beim ostbooks Verlag erscheint. „Ursprünglich sollte es ein autobiografisches Werk werden, doch ich war der Meinung, dass die Lebensgeschichten, die mir von anderen Russlanddeutschen erzählt wurden, es auch wert sind veröffentlicht und gehört zu werden.“

Momentan arbeitet die Autorin an ihrem zweiten Buch – und diesmal soll es ein Roman werden. „Die Stille von Neu-Landau“ heißt das Werk und erzählt von einer Familie aus dem Schwarzmeergebiet und ihrem ungewöhnlichen Lebensweg. Für dieses Vorhaben hatte sie im Juni 2019 einen Aufruf gestartet und sich das Projekt über die Plattform „Startnext“ finanziert.

„Vor vielen Jahren interviewte ich im Rahmen eines Projekts einige unserer älteren Landsleute, die sich noch an diese Zeit erinnern konnten. Es waren viele bewegende Geschichten dabei, aber eine hat mich besonders mitgenommen. Leider hat die Familie ihre Geschichte später zurückgezogen. Weil sie Angst hatten. Das ist nichts Ungewöhnliches. Das erlebe ich immer wieder, dass Menschen sich mir anvertrauen und dann aus Angst mich bitten, ihre Geschichte nicht zu veröffentlichen.“ Seit vielen Jahren setzt Katharina Martin-Virolainen unterschiedliche Projekte im Bereich Kultur und Geschichte um. Dabei begegnet sie vielen Menschen und hört viele Lebensberichte. „Manche wollen, dass ihre Geschichte erzählt wird, andere wollen nur, dass ihnen jemand zuhört“, erklärt die Autorin.

Mit den Menschen sterben ihre Geschichten

„Ich habe damals versprochen, diesen Lebensbericht nicht zu veröffentlichen und keine Namen zu nennen. Doch diese Geschichte hat mich sehr lange verfolgt. Zehn Jahre später habe ich erfahren, dass die Beteiligten mittlerweile verstorben sind, und plötzlich fand ich keine Ruhe mehr.“

Katharina Martin-Virolainen wird immer wieder von der Geschichte eingeholt: „Tage- und nächtelang quälte mich ein und derselbe Gedanke: Die Menschen sterben und mit ihnen ihre Geschichten. Wenn wir diese Lebensberichte nicht aufschreiben, nicht weiter erzählen, dann wird sich auch niemand mehr an uns erinnern. Es war ein harter innerer Konflikt. Auf der einen Seite habe ich ein Versprechen gegeben. Auf der anderen fühlte ich mich regelrecht verpflichtet, diese Geschichte zu erzählen. Da musste es doch einen Weg geben…“

Nach langem Hadern mit sich selbst beschließt sie, daraus einen Roman zu machen. „Das Leben schreibt die schönsten und die schrecklichsten Geschichten. Also habe ich beschlossen, diesen Lebensbericht als Grundlage zu nehmen und die Geschichte literarisch zu verarbeiten. Was darin die Wahrheit und was Fiktion ist, diese Entscheidung überlasse ich meinen Leserinnen und Lesern. Mir geht es in erster Linie darum, die Geschichte über das Schicksal der Schwarzmeerdeutschen zu erzählen. Zu zeigen, dass unsere Vorfahren keine Statistik waren. Es waren lebendige Menschen. Mit einem Leben, mit Träumen und Hoffnungen. Menschen wie du und ich. Wie jeder andere. Mit den gleichen alltäglichen Sorgen. Die ihre Kinder, Enkelkinder, Eltern, Geschwister, Ehefrauen und Ehemänner geliebt haben. So viele Leben wurden zerstört. So viele Schicksale gebrochen. Und wie viele dieser Schicksale wurden einfach vergessen. Oder man hat erst gar nicht darüber erfahren, weil diese Geschichten nie erzählt wurden.“

Schwerpunkt Deutsche Minderheit

Mittlerweile bestimmt diese Aufgabe ihr ganzes Leben. Ob in ihrer Arbeit als freie Journalistin, als Projektleiterin oder als Kulturschaffende: Alles, was sie macht und schreibt, hängt mit der Geschichte der deutschen Minderheiten aus den ehemaligen Staaten der Sowjetunion zusammen. „Viele Bereiche und Aufgaben lassen sich auch wunderbar miteinander kombinieren oder verknüpfen, weil es sich um das gleiche Thema dreht“, erklärt Katharina Martin-Virolainen. So verbindet sie zum Beispiel das Schreiben mittlerweile mit einer anderen Leidenschaft: dem Theaterspiel. Für ihre Kinder- und Jugendtheatergruppe aus Eppingen schrieb sie bereits zwei Theaterstücke, die im Jahr 2019 erfolgreich Premiere feierten.

„Es gibt so einen Spruch, dass man nicht die ganze Menschheit retten kann. Aber, wenn man nur ein Menschenleben rettet, so ist das auch schon sehr viel wert. So ist es auch mit den Lebensgeschichten. Ich kann sie nicht alle erzählen, aber wenigstens einige von ihnen retten.“

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