Meine Kollegen und ich ziehen uns einmal im Jahr an einen schönen Ort zurück, wo wir intensiv über unsere Arbeit brüten. Und weil uns dabei die Köpfe rauchen, brauchen wir einen Ausgleich. Da aber jeder anders abschaltet, ist es gar nicht so leicht, alle Bedürfnisse zu bedienen. Und da wir mit jedem Mal neue Dinge entdecken, die der Erholung dienen, werden es immer mehr Voraussetzungen, die der Ort erfüllen muss.

In der Summe brauchen wir Wasser vor der Tür, eine Bibliothek in der Tagungsstätte, einen Fernseher auf dem Zimmer und im Ort die Möglichkeit, Tageszeitungen zu erwerben. Dann natürlich WLAN und Handyempfang. Die Möglichkeit, frisch gezapftes Bier und guten Wein zu besorgen. Die Mahlzeiten sollen lecker, gesund und leicht sein. Zwischen den Hauptmahlzeiten Obst und Kuchen. Gemütliche Zimmer mit schöner Aussicht. Inzwischen sind auch eine Tischtennisplatte, ein großes Freiluftschachspiel und ein Ruderbootausleih fast unverzichtbar geworden. Die Anreise soll zumutbar sein, und preislich muss es natürlich auch stimmen. So viel zu unseren Vorstellungen.
Jetzt zur Realität. Natürlich hat nicht jeder Ort alles. Aber jeder Ort verdient seine Chance. Diesmal waren wir in einem Kloster untergebracht. Das verhieß nichts Gutes. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, an sich mag ich die Klosteratmosphäre sehr und würde mich dort jederzeit gern für eine kleine Auszeit zurückziehen. Mit ein paar dicken Socken und vielen dicken Büchern. Aber nicht zum Arbeiten. Da jedoch meine Kollegin, die das gebucht hat, unsere Bedürfnisse kennt bzw. selbst die meisten teilt, wird schon alles prima sein, dachte ich mir; zumal das Kloster eine Bildungsstätte ist, somit wahrscheinlich mehr Bildungsstätte als Kloster, also moderne Infrastruktur in altem Gemäuer. Ich war gespannt.
Ich war als erste am Ort und habe die Lage gecheckt. Wasser vor der Tür: ein See, wunderschön und wenige Minuten Fußweg von der Unterkunft entfernt. Prima. Unterkunft: Nach 20 Uhr kommt man nicht mehr rein und raus. Keine Bar. Die Zimmer kalt und ungemütlich. Auf dem Zimmer keine Mini-Bar und kein Fernseher. Keine Seife. Kein Fön. In den Höfen kein Tischtennis, kein Schachspiel. Uff! Das sah gar nicht gut aus. Doch bevor ich schlechte Noten erteilte, erkundete ich den Ort, um zu sehen, ob wir einen Teil unserer Bedürfnisse dort befriedigen könnten. Dort gab es einen Friseur, der Betriebsferien hatte, keinen Supermarkt, keine Apotheke, keine Drogerie. Dafür immerhin einen Kiosk, der zumindest Zeitungen bot, aber die meiste Zeit des Tages geschlossen hatte.
Dann die Entdeckung des Tages: eine Schokoladenfabrik, wo ich mich mit verschiedenen Leckereien eingedeckt habe, bevor die auch in Betriebsferien gehen oder in eine stundelange Mittagspause. Ganz im Notfall gäbe es auch Pralinen mit Schnapsfüllung, saugen wir den Alkohol eben aus der Schokolade. Aber so weit musste es nicht kommen, in dem Kiosk konnte man in den wenigen Stunden Öffnungszeit zwischen vielen Sorten Wein wählen. Da ich ohne Internetzugang plötzlich viel Freizeit hatte, bin ich durch die Gänge des Klosters gestreift und habe in jede Kammer und in jeden Winkel meine Nase gesteckt. Dabei habe ich entdeckt: ein Fernsehzimmer, eine Tischtennisplatte, einen Kicker, einen großen Flohmarkt mit Selbstbedienung und Zahlung nach eigenem Ermessen sowie einen Weinverkauf! Wer sagts denn?
Ich war begeistert ob dieses unerwarteten Angebotes, beschämt, dass ich dem Kloster Unrecht getan hatte, gelobte Besserung, mich künftig nicht so voreilig meinen Vorurteilen hinzugeben und versprach, beim nächsten Mal die Nonnen zu fragen, was es alles gibt. Aber Entdeckungstouren sind spannender. In der Zwischenzeit hat mein Kollege auf dem Weg vom Bahnhof zum Kloster aber schon eine ganze Kiste Wein besorgt, als Panikreaktion auf meine Alarm-SMS, dass es in dem Kloster faktisch quasi nichts gäbe. Als es dann noch plötzlich fußläufig ein interessantes Museum gab, gerieten wir in Freizeitstress, da wir zwischen den Besprechungsrunden eigentlich schon mit Tischtennis und Tischfußball, Spaziergang am See, Bibliothek- und Flohmarkt-Durchstöbern, Nickerchenhalten und Lesen ausgelastet waren und unseren Wein- und Schokoladenvorrat leeren mussten.
Und dann durften wir auch noch ein kleines Abenteuer erleben. Der viele Wein verleitete uns eines Abends, die strengen Öffnungszeiten auszutricksen. Wir schlichen uns durch den Keller, fanden eine geöffnete Tür in die Freiheit, und mein cleverer Kollege legte kleine Steinchen zwischen Tür und Rahmen. Ich habe mich gefühlt wie mit 15 Jahren auf Klassenfahrt. Ui, war das spannend, ob wir auch nicht von der Schwester Oberin erwischt würden, die bei ihrem nächtlichen Kontrollgang die Steinchen entdecken und entfernen würde. Aber wir hatten Glück.
Am nächsten Tag haben wir erfahren, dass man ganz normal mit dem eigenen Schlüssel durch den Nebeneingang ein uns aus gehen kann. Fast schade. Wenn es verboten, heimlich und verstohlen ist, macht es mehr Spaß, sich durch die Kellergänge zu trollen. Alles in allem kann ich mich nicht über ausreichend Erlebnischarakter im Kloster beschweren. Fast könnte ich mich entschließen, wieder herzukommen, aber fürs nächste Mal haben wir uns schon etwas Neues ausgeguckt: Ein chices Hotel mit Blick auf die Nordsee, mit Schlammbädern, Massagen und sonstigen Wellnessangeboten. Das ist sicher sehr entspannend aber nicht so spannend. Danach will ich unbedingt in eine Burg oder in ein Schloss.

23/10/09

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