Maria Gliem aus Frauenwaldau, dem heutigen Bukowice in Polen, hat einen Teil ihrer Kindheit als Vertriebene verbracht. Ihre Flucht führte sie nach Hessen, wo vor 70 Jahren die ersten Heimatvertriebenen ankamen. In ihrer heutigen Heimat trägt Gliem dazu bei, dass ihre Erinnerungen an die Zeit in Polen und die Flucht nicht in Vergessenheit geraten. Aus diesem Grund hat sie ihre Geschichte aufgeschrieben. Die DAZ veröffentlicht mit ihrer Erlaubnis Auszüge aus ihrer Niederschrift.

In meinem Bericht ist so oft vom Essen die Rede. Man muss wissen, von der Zeit in Merkelsgrün bis zu der Zeit bei Onkel Josef hatten wir überhaupt keine polnischen Zlotys. Unsere Hauptsorge war, einer der beiden Frauen versteckt zu halten, wenn man zur Arbeit geholt wurde. Nicht aufzufallen oder erwischt zu werden und Essbares zu besorgen – denn nur so konnten wir überleben. Musste eine der Frauen außer Haus, waren immer mehrere Kinder dabei. Wurden wir mal von Russen angesprochen, fingen wir Kinder sofort an zu schreien, wir wussten nicht warum, aber darauf waren wir gedrillt und das half immer. Wenn uns die Polen erwischt hätten, dann hätten sie uns der polnischen Miliz übergeben und das wäre unser Ende gewesen. Von der Miliz hörte man die schlimmsten Sachen, wie sie Menschen zu Tode gequält hätten.

Aber irgendwie mussten wir uns ja etwas zu essen beschaffen. Die Kartoffelschalen haben wir zu den polnischen Bauern gebracht, da gab es einen Liter Milch oder etwas Salz. Ein Mongole, der ein Krautfeld bewachen musste, schenkte uns Kindern ab und zu einen Krautkopf. Wenn die Russen am Feiern und Trinken waren, ging es sehr laut zu. Da sind wir von hinten an ihre Scheune geschlichen, in der Berge von Linsen lagerten, haben ein Brett gelockert und einen Eimer Linsen mitgehen lassen.

In Haynau war eine ausgeplünderte Zuckerrübenfabrik. Dort haben wir drei Pfund fast sauberen Zucker gefunden, aber hauptsächlich waren wir wegen Zuckerrübenschnitzel dahin. Die schmeckten zwar nicht, aber man wurde satt davon. Im Herbst konnten wir auf den abgeernteten Feldern Kartoffeln und Karotten stoppeln.

Auf den leeren Feldern haben wir Ähren gesammelt. Manchmal haben wir vor der Ernte schon welche abgerissen. Die Körner wurden ausgerebelt, getrocknet und in der Kaffeemühle gemahlen. Im Frühjahr haben wir oft die von den Polen gesetzten Kartoffeln wieder ausgebuddelt. Wir haben dreimal aus den von Polen gelegten Schlingen Hasen mitgenommen, das war jedes mal ein Festessen.

Die Schlingen haben wir wieder ausgelegt, damit niemand etwas merkte. Ein paar Mal haben wir Tellereisen für Fasane aufgestellt, aber das war nichts, die Mäuse haben die Körner gefressen und so ging kein Fasan in die Falle. Im Winter haben wir ein großes Getreidesieb schräg aufgestellt und mit ein paar Körnern darunter, Spatzen gefangen. Es war mühsam, die Vögel zu rupfen und auszunehmen, aber sie schmeckten wie Tauben. Salat gab es nur im Frühjahr und Sommer, wenn es frische Kräuter gab, Brennnesseln, Löwenzahn und ähnliches, denn was Tiere fressen, kann der Mensch auch vertragen. Brot gab es nur, wenn wir in die Nachbardörfer betteln gingen oder die Russen uns ein paar Schnitten gaben. Obst und Beeren holten wir in den Gärten, deren Häuser leer standen. Für Tee sammelten wir Blätter. Bekleidung und was wir sonst noch brauchen konnten, haben wir auch aus verlassenen Häusern geholt, denn in Hermsdorf standen viele Häuser leer. In Hermsdorf wohnten nur neun polnische Bauern, die russische Kommandantur, Frenzels und wir.

So haben wir, immer mit der Angst im Nacken erwischt zu werden, überlebt.

Rotenburg / Fulda, den 01.05.2010

Maria Gliem erzählte ihre fast 3,5 jährigeFluchtgeschichte aus Polen nach Deutschland. Wer zu ihr Kontakt aufnehmen möchte, kann dies unter maria.gliem@arcor.de tun.

Maria Gliem

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia