Maria Gliem aus Frauenwaldau, dem heutigen Bukowice in Polen, hat einen Teil ihrer Kindheit als Vertriebene verbracht. Ihre Flucht führte sie nach Hessen, wo vor 70 Jahren die ersten Heimatvertriebenen ankamen. In ihrer heutigen Heimat trägt Gliem dazu bei, dass ihre Erinnerungen an die Zeit in Polen und die Flucht nicht in Vergessenheit geraten. Aus diesem Grund hat sie ihre Geschichte aufgeschrieben. Die DAZ veröffentlicht mit ihrer Erlaubnis Auszüge aus der Niederschrift.

Am Sonntag, dem 21.Januar 1945, gingen wir in der Hoffnung, bald wieder hier zu sein, ein zweites Mal los. Es war bitterkalt und die Milch gefror in den Kannen. Nun ging es in Richtung Trebnitz (Trzebnice) – etwa 30 Kilometer zu Fuß. Kurz vor Trebnitz trennten wir uns von Tante Anna und Onkel Bernhardt. Sie fuhren mit dem Wagen weiter und wir sollten uns bei der NS-Volkswohlfahrt (NSV) melden, deren Vertreter allerdings bereits geflüchtet waren. Unser Hansel war schon ganz blau vor Kälte, die Wangen gefroren und die Händchen ganz dick. Das Kind einer Bekannten war schon erfroren, ehe wir Trebnitz erreichten. Es wurde am Straßenrand in einer Schneewehe begraben. Wir gingen dann auf eigene Faust zum Bahnhof und hatten großes Glück. Denn dort konnten wir im Warmen übernachten. Tante Agnes, Opa und unser Neffe Josef waren bei uns geblieben. Am nächsten Tag um 16 Uhr konnten wir glücklicherweise einen Zug erreichen, der um 19:30 Uhr abfuhr. Kälte und Durst plagten uns sehr, der Zug war nicht beheizt, es gab nichts zu trinken und keiner wusste, wohin wir fuhren. Am nächsten Tag, um 9 Uhr erreichten wir die Kleinstadt Jauer (Jawor). Tante Agnes und ich wollten etwas zum Essen und Trinken besorgen. Aber es war nichts zu finden. Dabei trafen wir ein paar Frauen aus unserem Dorf, weshalb wieder die Tränen flossen. In Jauer kamen wir in ein Lager und wurden endlich wieder verpflegt. Da bekam ich von einer Betreuerin ein Buch geschenkt, über das ich mich damals sehr gefreut habe. Noch heute ist mir der Inhalt des Buches im Gedächtnis.

Am 24. Januar 1945 konnten wir mal wieder zur Kirche gehen. Das hat uns sehr geholfen. Josef wurde an diesem Tag 8 Jahre alt. Er bekam Äpfel, Bonbons und Kekse. Bis zum 28. Januar 1945 blieben wir im Lager, wo wir weiter verpflegt wurden. Wärme und Verpflegung waren in dieser Zeit für uns das Allerwichtigste.

Am 26. Januar 1945 ging Tante Agnes auf die Suche nach Tante Anna. Irgendwo hatte jemand Pferdewagen aus Frauenwaldau gesehen. Tante Annas Sohn Josef war noch bei uns. Am 27. Januar 1945 kam Tante Agnes nachts um 3 Uhr, total durchnässt, durchgefroren und ohne Erfolg, zurück. Es schneite immerfort und es war eisig kalt.

Am 28. Januar 1945 wurden viele Leute aus dem Lager in Wohnungen eingewiesen, deren Inhaber schon geflohen waren. Wir bekamen zwei Zimmer und eine Küche in einem Arzthaushalt zugewiesen. Es war schön warm, denn die Heizung funktionierte. Am 4. Februar 1945 holte Onkel Bernhardt Josef schließlich bei uns ab. Irgendwie hatte er uns doch gefunden. Zu dieser Zeit wurde jedem Bekannten erzählt, wer wen wann und wo gesehen hat. So haben viele Leute ihre Angehören wiedergefunden. In Bolkenhain konnten wir sogar Schlitten fahren. Im Keller stand sogar noch ein zweiter. Dabei konnten wir endlich mal wieder Kinder sein.

Maria Gliem

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