Maria Gliem aus Frauenwaldau, dem heutigen Bukowice in Polen, hat einen Teil ihrer Kindheit als Vertriebene verbracht. Ihre Flucht führte sie nach Hessen, wo vor 70 Jahren die ersten Heimatvertriebenen ankamen. In ihrer heutigen Heimat trägt Gliem dazu bei, dass ihre Erinnerungen an die Zeit in Polen und die Flucht nicht in Vergessenheit geraten. Aus diesem Grund hat sie ihre Geschichte aufgeschrieben. Die DAZ veröffentlicht mit ihrer Erlaubnis Auszüge aus ihrer Niederschrift.

Am 05. Juni 1946 ging Susi zur ersten heiligen Kommunion. Ein Kleid hat uns der Herr Pfarrer von jemanden geborgt. Es waren vier Mädchen und elf Jungen, und die Feier war sehr schön. Es gab Klöße, Kartoffelsalat und einen kleinen Kuchen. Wir waren eigentlich zufrieden, haben aber viel von Vater und Daheim gesprochen. Zwei Tage später kam Post von Tante Anna und sie hat uns auch einen Brief von unserem Vater mitgeschickt. Unsere Freude war unbeschreiblich. Jetzt wussten wir, alles wird gut, Vater lebt, denn seit Sommer 1944 wussten wir ja nicht, ob er in Gefangenschaft oder gefallen ist. Er hatte nach Frauenwaldau geschrieben und die Frau, die die deutsche Post annahm, hat versucht, die Briefe an Verwandte oder Bekannte weiter zu geben, so gut es ihr möglich war. Er war nach seiner Entlassung aus der französischen Gefangenschaft in Asmushausen bei Bebra bei einem Bauern geblieben, da er nicht wusste, wo er uns suchen sollte. Dass Schlesien geräumt wurde, hatte er gehört. Bärbel und ich gingen wieder betteln, denn draußen gab es noch nichts zu ernten.

Einmal gingen wir zur russischen Kommandantur, da bin ich aus Versehen mit der Hand an ein Stromkabel gekommen, das an einem Mast herunter hing. Meine Hand schloss sich sofort um das Kabel, und ich konnte nicht mehr loslassen. Ich schrie ganz fürchterlich, habe aber mein eigenes Geschrei nicht gehört, so laut hat es im Kopf geknallt. Bärbel sagte später, ich hätte nur geschrien: „Hol die Mama, sie soll mir den Arm abhacken.“ Der Strom hat mich immer um den Mast gejagt und irgendwann wurde das Kabel kürzer, ich hatte keinen Boden mehr unter den Füßen und meine Hand ging auf. Ich konnte Bärbel wieder zurückrufen und wir haben uns erst mal hingesetzt und geheult. An der Hand hatte ich keine Brandwunden, aber meine Beine waren ganz steif. Wir gingen weiter zu den Russen, und als wir nach zwei Stunden endlich ein Stück Brot bekamen, konnte ich nicht mehr laufen. Wir haben uns ganz langsam geschlichen, und als wir nach Stunden ankamen, wurden wir ausgeschimpft, weil wir so lange weg waren. Da haben wir von dem, was passiert war, gar nichts erzählt, aber ich hatte lange Zeit Schmerzen.

In Hermsdorf ist öfters etwas passiert, und es war kein Arzt in der Nähe. Einmal fiel vom Kleiderschrank eine Tür heraus, und Ali hat die Tür mit der Kante auf die Hand bekommen. Die Hand wurde sofort ganz blau und dick, sie war wohl auch gebrochen. Er hat sehr lange starke Schmerzen gehabt, denn wir konnten ja nur kühlen und wickeln.

Am 28. Juni hatten Susi und ich Firmung. Es war auch eine schöne Feier und hat uns viel bedeutet, vor allem in dieser Zeit mal einen Bischof zu sehen. Wir hatten auch satt zu essen, das Betteln hatte etwas eingebracht. Der Herrgott hat uns wieder mal geholfen. Es ist Juli und es hieß wieder einmal, wir müssen weg, aber wohin wusste keiner. Am 20. Juli waren alle Deutschen aus den umliegenden Dörfern zusammengetrieben worden und warteten auf den Abtransport. Einen Tag später sind wir auch zum Sammelplatz. Wir hatten schon alles auf einen Wagen verladen und mussten wieder abladen, wir durften nicht mit, warum hat uns keiner gesagt. Am daraufolgenden Tag wurde auch der deutsche Pfarrer abgeholt und ein polnischer Pfarrer kam nach Haynau. Wir kamen uns sehr verlassen vor, denn er war ein echter Freund für uns gewesen.

Als Bärbel und ich wieder mal zur Kirche gingen, hatte ich erneut Pech. Eine Kutsche mit Polen fuhr auch zur Kirche, und wir hängten uns hinten dran. Als der Kutscher uns sah, schlug er mit der Peitsche nach uns. Bärbel sprang ab, aber ich blieb mit dem Fuß hängen. Ich bin auf meinem Hinterteil ein ganzes Stück mitgeschleift worden, und der Bast war zwei Handflächen groß ab. Bärbel hat nach und nach ihre ganzen Kleider ausgezogen, und damit haben wir die Wunde verbunden, wir haben die ganzen drei Kilometer bis nach Hause geheult. Wochenlang habe ich nur auf dem Bauch gelegen und auf Heilung gewartet. Später haben wir bei unserer Bettelei einen alten Mann kennengelernt, der uns etwas zu Essen gab und uns dabei ausgefragt hat. Er sagte, wir sollten doch mal die Mutter oder die Tante mitbringen. Tante Agnes ist dann auch mal mitgegangen und er hat uns überredet, zu ihm in das zwei Kilometer entfernte Wittchendorf zu ziehen. Er wohnte in einem Leutehaus mit acht Wohnungen, drei waren schon leer. In Hermsdorf waren wir noch die einzige deutsche Familie, Frenzels waren damals bei dem Transport mit weggekommen. Wir hatten zwar einen netten Russen kennengelernt, er bewachte ein Krautfeld, und er gab uns öfter Kraut und Brot, aber sonst hielt uns nichts mehr dort, zumal die Polen jetzt Miete von uns verlangten und wir sowieso kein Geld hatten. Ende Oktober zogen wir zu Onkel Josef nach Wittchendorf (Witkow).

Maria Gliem

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