Jedes Jahr im März und April werden in der Münchner Zentrale des Goethe-Instituts die Sprachassistenten für das nächste akademische Jahr ausgewählt und vorbereitet – auch ein Nachfolger für mich, für die Sprachassistenz in Astana, wird in diesen Tagen in München gesucht.

In den Bewerbungs- und Auswahlgesprächen können die Bewerber unter den Ländern, die im Programm vertreten sind – Russland, die Ukraine, Kasachstan und Kirgisistan – eines als Präferenz angeben. Ich habe im letzten Jahr Kasachstan genannt, aus dem Bauch heraus. Es ist das ganz Andere, zu dem man sich unbewusst, weil unbekannt, hingezogen fühlt.

Die Mitarbeiter des Goethe-Instituts geben sich sehr viel Mühe, uns auf unseren Auslandsaufenthalt so optimal wie möglich vorzubereiten. Die Länderinformationen des Auswärtigen Amtes sind zu studieren, Fakten über das Zielland im Internet zu recherchieren, und ein umfangreiches Merkblatt belehrt über alles, was es vor der Einreise und im Land an praktischen Dingen zu beachten gilt. Nach sechs Monaten in Kasachstan fühle ich mich bereit, mein konkretes Merkblatt und eine aktuelle Liste, was mitzunehmen ist, für Astana zu erstellen:

Lieber Nachfolger, Du bist nach Astana gekommen und glaubst, schon eine Menge zu wissen. Das Wasser aus dem Wasserhahn kochst Du gewissenhaft ab, bevor Du es trinkst und damit kochst. Das tust Du nur so lange, bis Dein erster kasachstanischer oder internationaler Freund, der Dich dabei beobachtet, neben Dir einen hysterischen Anfall bekommt und keucht: „Trinke! niemals! unter keinen Umständen! jemals! das Wasser! aus der Leitung!”

Fünfliterkanister Mineralwasser in die Wohnung zu tragen hält Dich fit. Du bist gegen sehr viele gefährliche Krankheiten vorsorglich geimpft, auch gegen Tollwut. Wahrscheinlich hast Du Dich, genau wie ich, vor der Tollwutimpfung in Deutschland gefürchtet, weil Dir Deine Eltern erzählt haben, die riesengroße Spritze bekomme man in den Bauch. Eltern müssen so etwas wahrscheinlich sagen, damit das Kind nie ein wildes Tier anfasst. Anzahl der frei laufenden Hunde, die ich in sechs Monaten Astana gesehen habe: acht. Aber ich bin ein Angsthase, und scheine einen Riecher zu haben, wie ich Hunden aus dem Weg gehen kann. Einmal stand ein kleiner wütender Kläffer direkt vor mir, in anderthalb Metern Entfernung. Wäre er näher gekommen, hätte ich von meinem Pfefferspray „gegen gefährliche Tiere” Gebrauch gemacht. Das, lieber Freund, gehört unbedingt auf Deine Liste! Ich trug meine kleine harmlose Waffe gegen Tiere und Räuber monatelang im rechten Handschuh verborgen, panisch, ob die Öffnung der Dose auch in die richtige Richtung zeigt – hin zu einem potentiellen Angreifer und nicht zu mir.

Auf Deiner Liste stehen eine Reihe von Medikamenten, die Du gewissenhaft zusammengestellt hast. Das ist sinnvoll. Wenn man Durchfall hat, geht man nicht erst in eine der zahlreich vorhandenen Apotheken in Astana, da hat man dringendere Wege zu erledigen. Auch gehört „Durchfall” nicht zu den russischen Wörtern, die man stets parat hat. Wenn außerdem Dein Aspirin-Vorrat zu Ende geht, wirst Du beim Nachschubkauf in der Apotheke das folgende schöne Gespräch führen können, wie ich letzte Woche: „Aspirin bitte!” „Zehn Tenge.” „Wie bitte?” „Zehn Tenge!” „Für EINE?” „Nein, für alle zehn Stück.” „Zehn Tenge?!?” „Ja!” „Sind Sie ganz sicher?” Dann stöhnt der erste Kunde, der hinter Dir in der Schlange steht, und Du akzeptierst fassungslos. Du lernst: Pauschal kann man nicht sagen, Astana sei eine teure Stadt. Sinfoniekonzerte, Busfahren, Hosenkürzen und Aspirin sind ungleich billiger als in Deutschland. Du solltest versuchen, Deine Bedürfnisse dementsprechend umzustellen.

Auf Deiner Goethe-Liste stehen einige Dinge, die allgemein und für jeden Einsatzort empfohlen werden. Ich sage Dir: Vergiss den Tauchsieder (und siehe oben). Vergiss die Ausrüstung für die Winterabdichtung Deiner Fenster. Du kommst im September an, und hier kannst Du alles kaufen. Du bist in der Hauptstadt! Vergiss den Adapter. Ich habe in sechs Monaten keine einzige „alte” Steckdose gesehen. Vergiss die Schuhputzmittel. In keinem anderen Land der Welt legt man so viel Wert auf geputzte Schuhe. In jedem noch so kleinen Geschäft wirst Du deshalb immer etwas kaufen können, das Dich glänzen lässt. Und zuletzt: Du bist rundum gegen Unfälle, Krankheiten und selbstverschuldete Fehler versichert. Erzähle nie einem Freund von Deiner Haftpflichtversicherung! Seine Augen werden zu leuchten beginnen, und er wird Dich fragen: „Was kann man denn für 50 Millionen Euro kaputt machen?” Du wirst mit dem Beispiel antworten, mit dem Dir auch Dein Versicherungsmakler gedroht hat: „Ich könnte vor einem neuen Gebäude bei Rot über die Straße laufen (obwohl Deutsche das im Allgemeinen nicht tun), und ein Tanklaster von Kazmunaigaz müsste meinetwegen scharf bremsen und fiele um und rutschte in das Gebäude, und alles würde explodieren und wäre kaputt. Das würde bestimmt mindestens 50 Millionen Euro kosten.” Aber wollen wir das? Nein! Deshalb beachte alles!

Lieber Nachfolger, ich wünsche Dir einen recht angenehmen Aufenthalt in Astana.

Maria Reinhardt

04/04/08

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