Eine Unterabteilung der OSZE, das ODIHR, übte Kritik an der Präsidentenwahl im Dezember 2005. Derzeit wird über einen Vorsitz Kasachstans im Jahre 2009 debattiert. Wichtige OSZE-Länder sehen auf Anfrage der DAZ dennoch keinen Anlass, schon heute die kasachische Federführung in Frage zu stellen.

Während der letzten Präsidentenwahl versuchten 460 OSZE-Beobachter, sich vor Ort ein Bild von der Demokratie in Kasachstan zu machen. Ihr Urteil fiel bescheiden aus. Im Vergleich zu Abstimmungen zuvor sei zwar ein Fortschritt erkennbar, dennoch habe es gewichtige Verfehlungen gegeben. Insgesamt genüge die Abstimmung nicht internationalen Standards, so die wahlbeobachtende OSZE-Unterabteilung ODIHR (Office for Democratic Institutions and Human Rights). Die britische Regierung, die letztes Jahr den EU-Vorsitz innehatte, und die US-Regierung teilten diese Ansicht. Das amerikanische Außenministerium lobte den Bericht der OSZE-Prüfer als „exzellenten Bericht unter schwierigen Umständen.“

Zeitgleich zu den kasachischen Präsidentenwahlen wurde im Dezember auf der alljährlichen OSZE-Ministertagung in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana kontrovers über Wahlbeobachtungen allgemein und speziell über die Wiederwahl Nursultan Nasarbajews debattiert. Der russische Außenminister Sergej Lawrow, sein kasachischer Kollege Kasymschomart Tokajew und weitere GUS-Vertreter stellten das ODIHR-Wahlmonitoring in Frage. Ein verbreiteter Gebrauch des Russischen in den Missionen sei vonnöten, und das ODIHR verfüge prinzipiell über zuviel Autonomie. Die Standards seien unklar und hinterfragbar, so Russlands Außenminister. Nicolas Burns, Leiter der amerikanischen OSZE-Mission, antwortete prompt: „Die USA unterstützen das ODIHR. Es ist der Goldstandard der Wahlbeobachtung.“ Gemäß der „ODIHR-Goldstandards“ wurde auch die Frage diskutiert, ob Kasachstan für einen OSZE-Vorsitz 2009 reif sei.

Kasachstan: „OSZE-Goldstandards“ nicht erfüllt

Die prestigeträchtige Führung der demokratischen Organisation von 55 Staaten aus Kaukasien, Zentralasien, der Balkanregion, Mittelost- und Westeuropa plus Nordamerika wechselt jährlich und geht jeweils an den amtierenden Außenminister eines OSZE-Landes. Der Staat mit dem OSZE-Vorsitz ist zusätzlich Gastgeber der alljährlichen internationalen OSZE-Ministerkonferenz. Das OSZE-Mitglied Kasachstan verkündete Anfang letzten Jahres, dass man die Federführung in der OSZE übernehmen wolle. Darüber, ob das zentralasiatische Land als erste Folgerepublik der Sowjetunion 2009 den Vorsitz bekleiden wird, entscheiden nicht das Wiener OSZE-Sekretariat oder eine Unterorganisation wie das ODIHR, die beide die letzte Wahl in Kasachstan kritisch bewerteten, sondern die Regierungen der OSZE-Länder. „Es gibt keinen Zweifel, dass die OSZE-Staaten die letzte Wahl beachten. Aber es liegt nun an Kasachstan, die anderen 54 Mitglieder davon zu überzeugen, dass es bereit ist, den Vorsitz 2009 zu übernehmen“, so Keith Jinks vom OSZE-Sekretariat in Wien gegenüber der DAZ. Dimitri Rupel, Außenminister Sloweniens und letztes Jahr der OSZE-Vorsitzende, mahnte im Dezember in Ljubljana, dass Kasachstan sich im gesamten politischen Leben öffnen müsse, um einen ernst zu nehmenden Wettstreit unter Kandidaten und politischen Parteien zuzulassen. „Nachhaltige Anstrengungen sind nötig, um die OSZE-Anforderungen wie demokratische Wahlen und verantwortliche Regierungsführung entsprechend zu erfüllen“, so Rupel weiter. Der kasachische Außenminister und OSZE-Delegationsleiter Tokajew nahm in seinem Redebeitrag auf der Tagung in Slowenien eilends Stellung. Er unterstrich, dass sein Land eine enge und aktive Zusammenarbeit mit der OSZE suche  auch in Fragen der Menschenrechte, Medienfreiheit oder Weiterentwicklung von Wahlstandards. Kritik übte Tokajew am Bericht der OSZE-Wahlprüfer zur Präsidentschaftswahl in Kasachstan. „Sie haben einen rein technischen Ansatz und beachten nicht Umstände und Entwicklungsperspektiven meines Heimatlandes. Bedauerlicherweise erzeugt der OSZE-Bericht in unserem Volk Zweifel an der Glaubwürdigkeit der ODIHR-Mission und ihrer Fähigkeit, Erwartungen unserer Gesellschaft an einen gerechten Dialog mit der OSZE zu erfüllen“, so Tokajew.

OSZE-Zukunft mit Kasachstan an der Spitze?

Über die Zukunft sprach Tokajew lieber als über die letzte Wahl in Kasachstan. Vor Vertretern der OSZE-Mitglieder erklärte er: „Kasachstan ist gern bereit, eine OSZE-Konferenz über Toleranz auszurichten. Oben-drein möchte ich unseren Willen bekunden, auch in Zukunft in die Aktivitäten der OSZE im großen Territorium Eurasiens involviert zu sein. Für mein Land wäre es eine große Ehre und Verantwortung, einen Beitrag zu leisten, indem wir 2009 die Pflichten des Vorsitzes übernehmen.“ Tokajew sprach über das kasachische Engagement für Frieden und Stabilität in Zentralasien und verwies auf die Federführung seines Landes in der zentralasiatischen Initiative „Conference on Interaction and Confidence-Building Measures in Asia“ (CICA). Im Frühjahr wird die CICA in Almaty tagen. Die Reife Kasachstans für den OSZE-Vorsitz kommentierte das britische Außenministerium gegenüber der DAZ wie folgt: „Wir glauben, dass jeder Vorsitz der OSZE mit ihren Prinzipien in Einklang stehen muss. Es liegt nun an Kasachstan, zu zeigen, dass es bereit und fähig ist, den Vorsitz zu übernehmen. Wir sehen die Kandidatur als Verpflichtung, politische Reformen fortzuführen und OSZE-Standards ausnahmslos einzuhalten. Die letzten Präsidentenwahlen sind einer der Faktoren bei unserer Entscheidung, die Kandidatur zu unterstützen oder nicht“, so der Zentralasienbeauftragte im britischen Außenministerium. „Wir haben aber noch Zeit, da die Frage über einen künftigen Vorsitz erst zwei Jahre im Voraus getroffen wird. Beispielsweise wurde auf der letzten Tagung Finnlands Vorsitz für 2008 bestätigt.“

Nicolas Burns, Vorsitzender der OSZE-Delegation der USA, kommentierte die Wahl Nasarbajews mit den Worten: „Die USA teilen die Einschätzung der OSZE-Wahlbeobachter. Wir würdigen, dass die Wahl den Willen der kasachischen Wähler reflektiert, nehmen aber zur Kenntnis, dass es erheblicher Anstrengungen bedarf, Gesetzgebung und Praktiken mit OSZE-Standards in Einklang zu bringen. Die USA werden weiter mit den Bürgern, der Zivilgesellschaft und der Regierung Kasachstans kooperieren, um Kultur und Institutionen der Demokratie zu stärken“, so Burns. Zum OSZE-Vorsitz Kasachstans meinte der amerikanische OSZE-Delegierte: „Die USA haben noch keine Entscheidung gefällt. Ich denke nicht, dass die meisten anderen Staaten schon einen Entschluss gefasst haben. Das passiert frühestens in einem Jahr. Dann werden wir sehen, wie sich die Situation präsentiert.“

Weiterhin Stabilität und Reformwillen

Die deutsche Position fasste Elmar Eich, Sprecher des Auswärtigen Amtes, gegenüber der DAZ wie folgt zusammen: „In der Frage des künftigen Vorsitzes befinden sich die OSZE-Mitglieder in kontinuierlichem internen Dialog. Es liegt in der Natur der Sache, dass dieser nicht öffentlich ist. Was die jüngsten Präsidentschaftswahlen betrifft, so haben Bundesregierung und EU sie mit größter Aufmerksamkeit verfolgt. Nach dem offiziellen Wahlergebnis ist Staatspräsident Nasarbajew bestätigt worden. Dazu hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Glückwunschschreiben übersandt. In dem Schreiben wird betont, dass Kasachstan bei den weiteren wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Reformen auf die Unterstützung Deutschlands zählen kann.“ Viel beachtet wurde in diplomatischen Kreisen die scharfe Position der US-Delegation auf der OSZE-Tagung gegenüber Kasachstans Nachbarn, trotz Anwesenheit ihrer Delegationen. Auf die Frage, warum die OSZE sich in Zentralasien engagiere, antwortete Burns, dass sich hier nach dem Zerfall der Sowjetunion Erwartungen nicht erfüllt hätten. „Die größten Mängel in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Wahlpraktiken sehen wir in Ländern wie Usbekistan oder Turkmenistan. Beide Länder sind absolute Diktaturen.“

Es scheint, dass Kasachstan in Bezug auf den OSZE-Vorsitz vom großen Bruder Russland lernen kann. Trotz Kritik internationaler Institutionen an der demokratischen Wirklichkeit Russlands und milder Rügen westlicher Regierungen wird doch versucht, das größte Flächenland der Erde, soweit Stabilität und Kooperationswillen erkennbar sind, in die internationale Zusammenarbeit einzubinden. In diesem Jahr präsidiert Russland der Organisation der führenden Industrienationen (G8) und soll den Vorsitz des Europarats übernehmen. Aus den Statements nationaler Vertreter bedeutender westlicher OSZE-Länder ist zu entnehmen, dass es sich mit dem OSZE-Vorsitz Kasachstans ähnlich verhalten könnte. Wenn Nasarbajews Land weiterhin stabil bleibt und er seine graduelle Reformpolitik fortsetzt, dann wird er 2009 wohl persönlich die Regierungsvertreter der OSZE-Staaten zur alljährlichen Tagung unter kasachischem Vorsitz begrüßen. Westliche OSZE-Staaten übten zwar milde Kritik an der Präsidentenwahl vom Dezember, doch schätzen sie Kasachstan als Stabilitätsfaktor im eher unruhigen Zentralasien. Der symbol- und prestigeträchtige OSZE-Vorsitz ist aus ihrer Perspektive Anerkennung und Pfand zu weiteren Reformen. Zumal sich Kasachstan während der OSZE-Budgetkrise Anfang 2005 generös zeigte und die OSZE keine Alternativen hat, um ihrem Selbstverständnis als Akteur in Zentralasien gerecht zu werden.

Von Gunter Deuber

20/01/06

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