Timur Maksudow (20) studiert im dritten Jahr an der Deutsch-Kasachischen Universität in Almaty. Er malt, schreibt und engagiert sich für sein Heimatland Usbekistan. Ab August studiert er ein Jahr lang Marketing in Deutschland. Die DAZ sprach mit ihm über seine Ziele in Deutschland, über das Nomadenleben und die Poesie

DAZ: Timur, du hast ein Stipendium vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gewonnen und studierst demnächst an der FH Osnabrück. War das ein Traum für dich?

Timur Maksudow: Nein, es war kein Traum. Das ist eine Notwendigkeit für meine Zukunft und für die Zukunft meines Volkes.

DAZ: Was hast du gedacht, als du erfahren hast, dass du das Stipendium bekommst?

Timur: Zuerst habe ich mich natürlich gefreut, aber dann kam die Enttäuschung, weil ich dafür Almaty und meine Freunde verlassen muss. Aber man muss reisen, um sich weiter zu entwickeln und seinen Horizont zu erweitern. Ich habe viele frische Ideen für Deutschland, viele Hoffnungen. Ich will dort nicht nur studieren. Eine Kunstausstellung ist bereits in Planung.

DAZ: Ist es schwer wegzugehen und hattest du es dir zwischendurch anders überlegt?

Timur: Nein. Ich bin ein Nomade, weil meine ganze Familie zerstreut ist: Meine Mutter lebt in St. Petersburg, mein Vater in Hamburg. Wir sind gezwungen zu immigrieren.

Aber ich will nicht dauerhaft in Deutschland bleiben. Ich möchte dort nur meine Erfahrungen sammeln wie zuvor in Russland, Kirgisistan und in Polen.

DAZ: Welche Erwartungen verknüpfst du an Deutschland?

Timur: Ich erwarte interessante Erfahrungen. Ich möchte aber auch den Lifestyle des Westens kennen lernen. Ich erwarte ebenso nette Menschen kennen zu lernen, obwohl meine Verwandten in Deutschland die Deutschen als kaltblütig beschreiben.

DAZ: Wie findest du die Ausbildung in Deutschland im Vergleich zu Kasachstan und Usbekistan?

Timur: Ich hoffe, dass es in Deutschland keine Korruption gibt. Zuvor habe ich gehört, die Ausbildung in Deutschland sei streng und Kräfte zehrend, habe aber eine hohe Qualität. Ich freue mich darauf.

DAZ: Wie, denkst du, hilft dir die Zeit in Deutschland weiter in deiner Zukunft?

Timur: Ich will den Deutschen und anderen Europäern zeigen, dass es Länder wie Kasachstan und Usbekistan auf der Erde gibt. Natürlich hoffe ich auch, dass meine Heimat Usbekistan eine demokratische Zukunft hat.

DAZ: Du bist nebenbei auch künstlerisch tätig. Woran arbeitest du gerade?

Timur: Ich denke, dass Kunst fähig ist, die Politik zu beeinflussen. Kunst ist auch eine Waffe. Ich habe gerade ein Bild fertig gestellt: „Acht Kerzen im Mund des Diktators“. Dieses und andere Bilder möchte ich nach Deutschland mitnehmen, für meine Ausstellung.

DAZ: Hattest du bereits eine Ausstellung ?

Timur: Nein. In Taschkent waren die Ausstellungen zu teuer und das Interesse zu gering. Ich wollte nicht für die gehobenen Gesellschaftsklassen ausstellen, sondern für die ganz normalen Menschen. In Almaty hatte ich keine Zeit. Hier gibt es auch nur traditionelle Ausstellungen. Ich hoffe, dass in Deutschland das künstlerische Publikum mehr Erfahrung hat.

DAZ: Welche Themen hast du dir für die Ausstellung ausgedacht?

Timur: Die Ausstellung wird heißen: „Kunst gegen Diktatur“. Das wird aber nicht nur eine Ausstellung, sondern eine Ausstellungsreihe.

Ich bin nicht so ein starker Künstler. Wie ich selbst finde, male ich nicht so gut. Aber ich finde, ein Künstler muss mehr Verantwortung übernehmen als ein Normalbürger.

DAZ: Du bist in Taschkent geboren und aufgewachsen. Wie bewertest du die Lage in deinem Heimatland?

Timur: Das ist sehr schwer zu sagen. Die Menschen können überall existieren, wir haben dazu die Kräfte. Aber ich als Künstler finde die Situation in Usbekistan ganz schrecklich.

DAZ: Hat sich die Lage in den letzten Jahren verschlimmert?

Timur: Ja, sehr. Die Macht hat solch ein ausgeklügeltes System geschaffen, dass die gebildeten Menschen gezwungen sind, auszureisen. Aber in den neuen Ländern sind sie unfähig, sich in die neue Gesellschaft zu integrieren.

DAZ: Du hast im Juni ein Gedenktag an der usbekischen Botschaft in Almaty veranstaltet. Wie kam es dazu?

Timur: Das war eine spontane Idee. Man muss nicht bloß schweigen, wenn etwas so Schreckliches passiert wie in Andischan am 13.Mai. Das ist meine Heimat. Die Idee war, diese acht Kerzen vor der usbekischen Botschaft abzubrennen. Die Zahl acht bedeutete, dass nur diese wenigen Leute die Zivilcourage und den Mut hatten, zu der Botschaft zu kommen.

DAZ: Hatte die Aktion für dich Folgen?

Timur: Ja, ich habe viele Probleme bekommen. Die Beamten des Komitees für Nationale Sicherheit (KNB) waren an meiner Universität und haben Informationen über usbekische Studenten gesammelt. Sie wollten wissen, ob wir Islamisten oder bloß Anarchisten sind. Dann musste ich ein Papier unterschreiben, dass ich solche Aktionen in Almaty nicht mehr organisieren werde.

DAZ: In Almaty… Es gibt ja noch andere Städte.

Timur: Ja, zum Beispiel Berlin.

DAZ: Würdest du das noch mal wiederholen?

Timur: Ja. Ich plane am 13. Mai 2006 eine globale Aktion. Überall auf der Welt, wo es eine usbekische Botschaft gibt, möchte ich gleichzeitig eine Trauerzeremonie durchführen.

DAZ: Was wünschst du für Usbekistan in der Zukunft?

Timur: Das ist sehr schwer zu sagen. Es wäre leicht zu sagen, ich wünsche mir Demokratie, aber ich bin nicht so naiv. Ich wünsche mir, dass die Menschen in Usbekistan mehr Zivilcourage hätten. Das ist alles. Man muss dabei nicht immer gegen die Regierung sein, man sollte aber immer Selbstachtung haben.

DAZ: Engagierst du dich sonst politisch?

Timur: Ich engagiere mich in der Weltpolitik. Als ich in Polen war, habe ich Lech Walesa kennen gelernt. Ich habe viel mit ihm gesprochen und auch mit ihm gestritten. Er war streng gegen Kommunismus. Ich meine aber, im Kommunismus gab es auch positive Entwicklungen. Ich habe meine Meinung verteidigt, er war aber ganz dagegen.

DAZ: Was denkst du über Politik?

Timur: Ich bin dem ganzen Parteiensystem gegenüber skeptisch, weil es nicht die Meinung der Gesellschaft ausdrücken kann. Seitdem ich in Almaty lebe, will ich keine Politik machen, denn Politik tötet die Poesie. Aber die Poesie kann die Politik beeinflussen.

DAZ: Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Timur: Als Mensch will ich eine Karriere in der Werbung machen. Als Künstler will ich meine eigene Richtung entwickeln. Als Politiker will ich etwas verändern.

DAZ: Hast du noch einen Traum?

Timur: Ja. Seit der elften Klasse träume ich davon, in eine Chilla-Hona zu gehen. In Taschkent ist es der heiligste Ort. Für 40 Tage, die heißesten Tagen im Jahr von Juni bis August, geht man in einen dunklen Raum mit einem kleinen Loch in der Decke, um über alles nachdenken. Ich möchte wissen, wie es ist und wie ich es aushalte.

DAZ: Vielen Dank für das interessante Gespräch!

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