Der Mensch durchschaut die Dinge gern. Der Mensch hätte gern, dass im Leben alles aus gutem Grund geschieht. So kann der Mensch die Geschehnisse beeinflussen. Zufälle sind nicht so sein Ding. Und so sucht der Mensch unentwegt nach Mustern und Kausalitäten. Notfalls projiziert und interpretiert er auch mal welche in etwas hinein, wo eigentlich gar keine sind, so lange, bis alles wieder Sinn ergibt. So isser, der Mensch.

Das war damals schon lästig, als ich noch klein war und die Spiritualität, Selbstfindung, das Coaching und die Muster- und Blockadensuche noch nicht „in“ waren. Damals bekamen wir Kinder ständig unterstellt, wir würden irgendwas sammeln. Tanten haben so einen besonderen Scheuklappen-Zielfernrohr-Blick, mit dem sie aus dem Kinderzimmerchaos zielsicher zwei Dinge einer Gattung herausfiltern. Dann zählen sie 1 und 1 zusammen und schlussfolgern detektivisch: Aha, zwei Elefanten, kombiniere: sie sammelt Elefanten! Gegenwehr zwecklos. Die Elefantensammelei war ein für alle Mal eindeutig und valide identifiziert, und so gab es zu jedem Fest einen weiteren Elefanten für die Sammlung. Wer damals zu artig oder schüchtern war, die Geschenke der Tanten sonstwie sonstwohin verschwinden zu lassen, stellte den Kram brav auf, was im Schneeballeffekt weitere Sammelunterstützer in den Club aufnehmen ließ, und so wuchs die Sammlung an, bis man selbst überzeugt war, Elefanten zu sammeln. Schleichende Hypnose.

Inzwischen sind wir aus den Kinderzimmern rausgewachsen und selbst zu Tanten geworden, die zwar den Kindern keine Sammelleidenschaft aufzwingen. Dafür dichten wir uns gegenseitig Muster an. Die Taktik ist dieselbe. Aus der Komplexität des Lebens eines Menschen suche man gezielt nach zwei ähnlich gearteten Verhaltensweisen, die Ähnlichkeit muss nicht allzu groß sein, und schon hat man ein Muster. In dieses füge man logisch oder rhetorisch passend alle anderen Verhaltensweisen und Ereignisse ein, dabei spare man nicht an Thekenpsychologie und schon steht das Psychogramm. Noch einfacher ist es, Blockaden zu entdecken. Das Schöne daran ist, dass man sie nicht erkennen und benennen muss, da kein Mensch ohne ist und es schließlich an jedem selbst liegt, seine Blockaden auszuräumen. Weigert sich jemand, eine Blockade zu haben, ist er höchst verdächtig und die Blockade sowieso bestätigt. Na, bitte sehr, eben! Hauptsache, jemand verursacht sein Unglück selbst, und alles bleibt kontrollierbar.

Das alles wäre ja ganz lustig, wenn es nicht so lästig wäre. Jeder zweite Mensch in meinem Umfeld bekennt und bekehrt sich zur Spiritualität und/oder zum Coaching und kann es nicht lassen, die Gesetzmäßigkeiten des Seins, Werdens und Lassens inklusive Glücksprinzip durchschauen zu wollen UND andere ungefragt zu ihrem Glück bringen zu wollen. Wie bringe ich nur zum Ausdruck, dass ich nicht so gerne ungefragt therapiert und beraten werde, sondern dass ich mich einfach nur mal mitteilen und austauschen möchte. Einfach so. Ohne unentwegt an mir zu arbeiten, in meinem Leben aufzuräumen und nach Blockaden zu suchen. Aber kaum erzählt man was, zack!, heften einem die Hobbypsychologen mit ihrem tiefschürfenden Blick und Unterton schon wieder eine große Blockade an die Backe. Und je mehr man sich dagegen sträubt, desto größer wird sie. Wie dazumal die Elefantensammlung. Da es sowieso kein Entrinnen gibt, erfindet man am besten eine Sammlung oder Blockade, woran sich die Tanten und Hobbypsychologen abarbeiten können.

Julia Siebert

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