Im kommenden Jahr feiert die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ihr 25-jähriges Bestehen in Kasachstan. Henriette Kiefer ist seit Juni 2016 die Regionaldirektorin der FES in Kasachstan und Usbekistan. Im Interview mit der DAZ spricht sie über die aktuellen Projekte der Stiftung, die Veränderungen in Usbekistan und darüber, welche Schwerpunkte es in Zukunft geben wird.

Welche Schwerpunkte gibt es momentan bei der FES in Kasachstan?

Wir arbeiten viel mit der Zivilgesellschaft zusammen. Vor allem hier in Almaty laufen viele Projekte mit Gewerkschaften, Frauen– und Jugendorganisationen, aber auch Universitäten.
In Astana arbeiten wir mit staatlichen Stellen zusammen, so im Bereich Rechtsstaatlichkeit. Es gibt zum Beispiel Projekte mit der Akademie des Obersten Gerichtshofes und mit der Akademie der Generalstaatsanwaltschaft. Für sie organisieren wir Trainings; unter anderem bilden wir Richter zum Thema UN-Konventionen fort, die Kasachstan erst vor Kurzem ratifiziert hat. Dafür sind die Richter dankbar.

Welche zivilgesellschaftlichen Projekte sind das genau?

Bei der Arbeit mit Frauenorganisationen ist häusliche Gewalt ein wichtiges Thema. Wir hatten in diesem Jahr Aufklärungsveranstaltungen von der Frauenrechtsorganisation „Ne moltschi“ (Schweig nicht). Sie hat junge Menschen darüber aufgeklärt, was sie tun können, wenn sie häusliche Gewalt erleben und welche Rechte sie haben. Dabei geht es aber nicht nur um (potentielle) Opfer; wir arbeiten auch mit Lehrern und Polizisten, damit diese wissen, was sie in solchen Fällen tun sollen und müssen.

Mit der Union der Frauenkrisenzentren versuchen wir – in Zusammenarbeit mit der Generalstaatsanwaltschaft – zu schauen, welche Gesetze man ändern kann. Wir versuchen – sofern es sinnvoll ist – Erfahrungen aus Deutschland darzustellen und zu fragen, ob man diese in Kasachstan übernehmen kann. Zum Beispiel ist es in Deutschland so, dass die Polizei denjenigen, der gewalttätig wird, für bis zu zwei Wochen aus der Wohnung verbannen kann.

Diese Regelung haben wir hier vorgestellt und sind auf großes Interesse gestoßen. Bei der Generalstaatsanwaltschaft und in den Ministerien ist die Bereitschaft groß, das Thema anzugehen und den Frauen zu helfen. Allerdings gibt es in Kasachstan gesellschaftliche Unterschiede, die es schwermachen, so ein Gesetz umzusetzen, weil ein Ehepaar häufig bei den Eltern des Mannes wohnt.

Diese Dinge muss man anpassen. Nicht alles, was in Deutschland und Europa funktioniert, ist auch gut für Kasachstan. Aber ich bin überzeugt, dass wir zumindest viel voneinander lernen können. Darum geht es auch die meiste Zeit in unserer Arbeit: Eine Dialogplattform zu schaffen.

Im Frauenbereich gibt es noch ein anderes Thema, das wir verfolgen: Gender Budgeting. Bei Gender Budgeting geht es nicht nur um die Beteiligung von Frauen, sondern auch um die Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen, also auch von Kindern und Älteren. Es geht darum, die Ausgaben entsprechend den jeweiligen Interessen anzupassen, zum Beispiel, wenn es darum geht, wie viele Spielplätze eine Stadt braucht. Da wollen wir im nächsten Jahr verstärkt mit Städten zusammenarbeiten.

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Im Januar wurde die Konföderation der Gewerkschaften verboten. Wie sieht die Arbeit mit den Gewerkschaften nun aus?

Momentan arbeiten wir mit der Föderation der Gewerkschaften Kasachstans zusammen. Wir organisieren Seminare, in denen wir Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenbringen und über Konfliktlösungsmöglichkeiten sprechen. Man kann nur Konflikte lösen, indem man einander zuhört. Für einen erfolgreichen Dialog benötigt man jedoch ein gewisses Vertrauen. Wir versuchen zu zeigen, dass der deutsche Staat seinen Bürgern vertraut und andersrum auch die Bürger – zu einem großen Teil – dem Staat vertrauen. In Kasachstan ist das Vertrauen in den Staat geringer, würde ich sagen.

Generell ist die FES bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, die sich in Kasachstan an die Gesetze halten. Die Konföderation der Gewerkschaften hat es infolge einer Gesetzesänderung 2014 nicht geschafft, sich erneut zu registrieren. Wir hoffen aber, dass die Gewerkschaften, die in der Konföderation organisiert waren, sich neu organisieren können.

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Sie hatten im vergangenen Jahr angekündigt, weniger Publikationen zu veröffentlichen und stärker in die Projektarbeit gehen zu wollen. Wie sieht es damit aus?

Als ich hier angekommen bin, habe ich festgestellt, dass die FES viele Publikationen veröffentlicht: Papiere, Analysen, etc. Die Veröffentlichung von Analysen kann ein Weg sein, gesellschaftliche Diskussionen anzuregen. Ich persönlich ticke da etwas anders und denke, wir sollten mehr Trainings und Workshops abhalten. Dort sehen wir, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Inhalte reagieren und diese diskutieren. Das gibt uns eine direkte Rückmeldung.

Aber im ersten Jahr habe ich mir erst einmal angeschaut, wie die Dinge hier laufen und warum. Man kann nicht ankommen und sofort alles verändern. Es wird auch weiterhin Publikationen geben zu Themen, bei denen wir etwas Neues beitragen können. Im November haben wir unsere Jugendstudie noch einmal vorgetstellt. Das war ein großes Projekt in den vergangenen zwei Jahren. Die FES hat in verschiedenen Ländern Jugendstudien durchgeführt und Jugendliche zu ihren Wünschen, Vorstellungen, Werten und allgemein zu ihrem Lebensalltag befragt.

Die Studie wurde 2015 und 2016 in allen vier Ländern durchgeführt, in denen die FES tätig ist: Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan. Die Ergebnisse wurden Anfang des Jahres veröffentlicht. Jetzt haben wir sie noch einmal zusammenfassen und vergleichen lassen, um zu sehen, wo die Unterschiede zwischen Jugendlichen in Zentralasien liegen.

Seit einem Jahr regiert Schawkat Mirsijojew in Usbekistan. Gibt es seitdem Veränderungen in Ihrer Arbeit?

Unsere Arbeitsbedingungen haben sich unter dem neuen Präsidenten nicht verändert. Aber man sieht in Usbekistan eine Veränderung, atmosphärisch und rhetorisch. Mirsijojew hat neue Ideen geäußert. Er hat zum Beispiel eine neue Entwicklungsstrategie vorgestellt, die viele wichtige Ziele beinhaltet, an denen auch die FES mitarbeiten möchte, wie Verwaltungsreformen und Verbesserungen im Bereich Rechtsstaatlichkeit.

Die FES arbeitet in Usbekistan schon lange daran, dass eine Verwaltungsgerichtsbarkeit geschaffen wird. Jetzt scheint es so, dass die Regierung bereit ist, dies umzusetzen. In der Entwicklungsstrategie geht es aber auch um soziale Fragen: Wie kann man die Wirtschaft verbessern? Wie kann man genug Arbeitsplätze für die Jugend schaffen? Wie kann man Versorgungssicherheit gewährleisten? Hier will der neue Präsident möglichst schnell Verbesserungen schaffen.

Außerdem gibt es eine neue Offenheit gegenüber den Ländern in der Region, aber auch der Welt. Unter dem vorherigen Präsidenten war Usbekistan eher auf sich selbst konzentriert. Jetzt sieht man allein daran, wie oft Mirsijojew in andere Länder reist und wie oft ausländische Delegationen nach Usbekistan kommen, dass man nun für den Austausch mit anderen offener ist.

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Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Zeit hier setzen?

Ich möchte die Arbeit mit Frauenorganisationen intensivieren. Die Themen Gender Budgeting und Inklusion werden sicherlich intensiver bearbeitet werden. Es geht einerseits um das klassische Verständnis, die Teilhabe aller Kinder – mit und ohne Behinderung – in der Schule. Andererseits geht es aber auch um die Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen an Entscheidungsprozessen. Da kann man mit unseren Partnern so manches besprechen; das geht bis hin zu Bürgerbeteiligung bei der Stadtentwicklung.

Mir ist auch wichtig, die Arbeit mit den Gewerkschaften auszubauen. Außerdem geht es mir um die Stärkung der regionalen Zusammenarbeit. Die zentralasiatischen Länder sind doch alle sehr verschiedenen, was man in Europa und Deutschland gar nicht so wahrnimmt. Es ist spannend zu sehen, wie es weitergeht mit der Eurasischen Wirtschaftsunion oder der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Vielleicht schließen sich auch die zentralasiatischen Länder in einer eigenen Organisation zusammen.

Etwas, das ich gelernt habe, seitdem ich hier bin: Es gibt viele Wissenslücken in Bezug auf die anderen Staaten. Ich werde oft von Kasachstanern gefragt, wie es in Usbekistan sei. Das Interesse ist da, aber die Informationen über die anderen Länder der Region fehlen. Dazu können wir etwas beitragen. Ein schönes Projekt, das es bereits seit 2015 gibt, ist die Central Asia Policy Group. Das sind acht Experten aus den vier angesprochenen Ländern, aus ganz verschiedenen Bereichen. Sie arbeiten zusammen an einem Thema und publizieren ein Paper dazu.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Othmara Glas.

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