Dr. Prof. Bodo Lochmann sagt, dass internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit durchaus die Regel ist. Im Zuge der Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion bezweifelt er jedoch, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Kasachstan, Russland, Belarus, Kirgisistan und Armenien nur auf den Wirtschaftsbereich beschränkt.


Etwas ziemlich Wichtiges im Leben Kasachstans muss passiert sein, wenn ein Fax aus dem Bildungsministerium die Hochschulen des Landes – egal, ob staatlich oder privat – erreicht, in dem diese mehr oder weniger resolut aufgefordert werden, umgehend ein bestimmtes Thema mit Studenten und Mitarbeitern zu behandeln und dann über den Vollzug darüber Bericht zu erstatten. Solche Faxe kommen immer nach den Botschaften des Präsidenten an sein Volk, seltener bei „sonstigen“ Anlässen. Das jüngste Fax fordert auf, die am 29. Mai in Astana erfolgte Unterzeichnung des Vertrages über die Schaffung der „Eurasischen Wirtschaftsunion (EvrasES)“ als Anlass zu nehmen, eine Art Volksaufklärung zu diesem Thema vorzunehmen.

Das Thema hat ja nun in der Presse in den letzten Monaten immer schon vor sich hin gekocht: Besonders nach den derben Worten des belorussischen Präsidenten Ende April, wonach man die Annahme eines solch wichtigen Dokuments nicht überstürzen sollte, war das Thema erst einmal vom Beobachtungsradar gesellschaftlicher Themen abgerutscht. Umso größer ist nun doch die Überraschung, dass das Thema so schnell nicht nur neu diskutiert, sondern gleich als unterschriftsreif präsentiert wurde. Bleibt zu hoffen, dass der Vertrag innerhalb eines knappen Monats wirklich noch mal radikal bearbeitet worden ist. Das aber weiß man nicht, schließlich ist der Vertrag (zumindest bis zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrages) noch nicht veröffentlicht. Vielleicht haben auch die Ereignisse in der Ukraine ihr Scherflein zur Beschleunigung des Projektstarts beigetragen, schließlich ist die Eurasische Union auch als eine Art Fixierung der Teilnehmer auf eine Nicht-Europa-Orientierung interpretierbar.

Im Vertrag verpflichten sich die drei Staaten, die bereits 2010 eine gemeinsame Zollunion gegründet haben (Russland, Weißrussland, Kasachstan), einen bedeutenden Schritt weiterzugehen und ab 1. Januar 2015 mit der EvrasES umfassende wirtschaftliche Freiheiten zwischen den Teilnehmern zuzulassen. Der Kerngedanke der Eurasischen Wirtschaftsunion ist generell nicht neu und z. B. in der EU mit der Vollendung des europäischen Binnenmarktes ab 1993 täglich praktizierte Realität. Inhaltlich geht es um die Schaffung der sachlichen Voraussetzungen für die Umsetzung der vier wirtschaftlichen Freiheiten zwischen den Teilnehmerländern – freier Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr. Weiterhin soll eine koordinierte Wirtschaftspolitik für die gemeinsamen Schlüsselbereiche, insbesondere Energiewirtschaft und Landwirtschaft geschaffen werden.

Die Bereitschaft zur Mitarbeit in der neuen internationalen Wirtschaftsorganisation haben neben den drei Unterzeichnerstaaten auch Armenien und Kirgisien erklärt, also wirtschaftlich eher schwächere Staaten, die bei Mitgliedschaft wohl eher Nehmende denn Gebende sein dürften.

Intensive internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit ist heute eindeutig die Regel und nicht die Ausnahme. Insofern ist der Versuch der Schaffung einer weiteren, auf die Bedürfnisse ehemaliger Staaten der UdSSR ausgerichteten Wirtschaftsunion ein nicht nur legitimer, sondern eher notwendiger Schritt. Schließlich sind Länder wie Kasachstan und Weißrussland wirtschaftlich eher klein und können im Alleingang ihre Potentiale kaum entwickeln. Allerdings ist auch das große Russland international gesehen nicht gerade ein wirtschaftlicher Protz und eine Vereinigung von mehr oder weniger schwachen Partnern bringt keinesfalls automatisch einen starken hervor. Aber die Chance, gemeinsam besser zu werden, besteht auf jeden Fall doch.

Im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung wurde immer wieder betont, dass es sich bei der EvrasES „nur“ um eine Wirtschaftsunion, keinesfalls jedoch um eine politische Union handelt. Das bedeutet, dass die Staaten politisch souverän bleiben und auch nicht an eine teilweise Aufgabe der nationalen Selbständigkeit gedacht wird. Das wurde insbesondere für den Finanz- und Geldsektor regelrecht beschworen. Sicher, auch die EU ist und bleibt ein Verbund selbständiger Staaten. Es ist jedoch eher Illusion zu glauben, dass man wirtschaftliche Grundsatzentscheidungen ganz ohne politische Kompromisse und abgestimmte Politiken vor allem in sensiblen Wirtschaftsbereichen treffen könnte. Deswegen muss keinesfalls die gesamtstaatliche Souveränität aufgegeben werden, wohl aber ein bestimmter Teil davon. Letzteres ist sicher für Länder, die gerade erst richtig ihre Selbständigkeit praktizieren können, ein harter Brocken. Doch der muss geschluckt werden oder das Projekt wird von mehr Problemen charakterisiert sein, als eigentlich notwendig ist.

Bodo Lochmann

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