Europa profitiert vom niedrigen Ölpreis, während er den Erdöl exportierenden Ländern Probleme bereitet. Erdöl wird trotz der zurückgegangenen Nachfrage auch in Zukunft gebraucht. Allerdings meint Prof. Dr. Bodo Lochmann, dass es einigen Erdöl exportierenden Ländern nun an Kapital für wichtige Investitionen fehlt.

Jede Medaille hat zwei Seiten, jeder Wirtschaftsprozess kennt Gewinner und Verlierer. So ist das auch mit dem Weltmarktpreis für Erdöl, dem nach wie vor wichtigsten Primärenergieträger der Weltwirtschaft. Dessen Bedeutung hat sich über längere Betrachtungsräume einerseits deutlich verringert, es ist aber mit fast 40 Prozent am Weltenergieverbrauch nach wie vor die Nummer eins. Zu Beginn der 1970er Jahre lag der Anteil von Erdöl am Weltenergieverbrauch zwar fast doppelt so hoch, doch hinter dem relativen Bedeutungsrückgang steht ein absoluter deutlich höherer Gesamtverbrauch. Dieser ist vor allem durch die wachsende Zahl der Menschen auf unserem Planeten und das ungebremste Tempo der individuellen Motorisierung bedingt. Heutige Prognosen gehen von einem weiteren Rückgang des Erdölanteils an der Weltenergieversorgung in den nächsten 20 Jahren aus. Dagegen dürfte der Bedarf eine Zeitlang noch eher steigen. Die künftige Rolle des Erdöls hängt nicht unwesentlich auch von seinem Preis ab. Im Moment kennt dieser ja nur eine Richtung – die nach unten.

In den von Erdölimporten abhängigen Ländern hat dies durchaus eine Art wirtschaftliche Jubelstürme ausgelöst, schließlich setzt das billige Öl über seine billigeren Verarbeitungsprodukte (vor allem Benzin und Diesel) eine ganze Menge an Kaufkraft frei, die die Nachfrage in vielen Bereichen der Wirtschaft ankurbelt. Für Deutschland wird dieser zusätzliche, so nicht vorhersehbare Kaufkraftgewinn der Bevölkerung auf mindestens 5 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Zwar könnte die Bevölkerung dieses zusätzliche Geld auch sparen, doch bei Zinsen unter einem Prozent macht das für die allermeisten Leute keinen Sinn, und ertragsstarke Aktien scheuen die meisten Deutschen nach wie vor. Entsprechend freuen sich der Handel und die dahinter stehenden Produzenten, weil vor allem die Nachfrage nach langlebigen Nutzungsgütern steigt.

Sicher wird der niedrige Ölpreis keinen Bestand auf Dauer haben, im Moment aber spielt er in Europa die Rolle eines natürlichen Konjunkturstimulators.

Probleme mit dem niedrigen Ölpreis haben dafür die Förderer und Exporteure von Erdöl. Schließlich ist die Erdölförderung ein anlagen– und investitionsintensiver Wirtschaftszweig, der nur dann reibungslos funktionieren kann, wenn auch genügend Förderunternehmen nachhaltig ihre Kosten nach dem Ölverkauf decken können. Das ist bei den heutigen Weltmarktpreisen von etwa 50 Dollar pro Barrel zunehmend problematisch. Immer mehr Unternehmen und dahinter stehende Staaten mit ihren Haushalten kommen nun allmählich in Schwierigkeiten, der Ölverkauf deckt nicht mehr so selbstverständlich wie früher alle Kosten. Das betrifft erst einmal die traditionellen Förderländer, darunter auch Kasachstan. Fehlende Deviseneinnahmen bedeuten auch entsprechende geringere Steuereinnahmen und in der Folge die Einschränkung der Möglichkeiten von Investitionen oder Ausgaben für Sozialprogramme.

Kasachstan musste seine Wirtschaftsstrategie notgedrungen schnell anpassen, denn die Reserven des Nationalfonds, die für den Erhalt der Zahlungsfähigkeit des Staatshaushalts angesammelt wurden, sind auch nicht unbegrenzt. In den nächsten Jahren, werden zum Beispiel nur noch bereits begonnene Investitionsprojekte fertiggestellt, neue werden vorerst nicht begonnen. Das wird sich naturgemäß negativ auf die Realisierung einer Reihe von langfristigen strategisch wichtigen Zielen der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft Kasachstans auswirken.

Doch auch die USA, deren stürmische Entwicklung der Förderung von Öl und Gas aus Schiefergestein eine der technologischen Ursachen des Preisverfalls ist, bekommen partiell Schwierigkeiten. Zwar boomt auch infolge der billigen Energie die US-Wirtschaft insgesamt wie lange nicht mehr, doch eine Reihe von Branchen – darunter nicht nur die direkten Erdölförderbetriebe – bekommen nun ebenfalls Probleme. Die Förderung von Öl und Gas aus Schiefergestein lohnt sich erst ab einem Ölpreis von etwa 75 Dollar. Dieser ist im Moment nicht zu erzielen, also mussten die ersten, oftmals gerade erst gegründeten Unternehmen ihre Tätigkeit einstellen. Das merken auch die US-Banken, die in Erwartung eines nachhaltig hohen Ölpreises Unternehmen mit Schiefertechnologien umfassend kreditiert haben. Mittlerweile ist die Energiebranche in den USA in Fragen Probleme mit der Rückzahlung von Krediten an die erste Stelle gerückt und hat damit die Finanzbranche deutlich überholt.
Das Geschehen auf den Energie– und speziell den Ölmärkten bleibt spannend und auch in Zukunft nur schwer vorhersagbar.

Bodo Lochmann

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