Österreich wählt im September seine politische Spitze. Von den acht Millionen Einwohnern wird eine Million nicht zur Wahl gehen, denn ihnen fehlt ein österreichischer Pass. Kritiker fordern nun das Wahlrecht für Nichtstaatsbürger im Einwanderungsland Österreich.

„Jeder fünfte Wiener darf nicht zur Nationalratswahl“ titeln österreichische Medien einen Monat vor der Wahl. Was skandalös klingt, wird jedoch gesetzlich untermauert, denn wie in den meisten europäischen Ländern ist das österreichische Wahlrecht mit der Staatsbürgerschaft verbunden. Etwa eine von acht Millionen Einwohnern hat keinen österreichischen Pass. 40 Prozent davon leben länger als zehn Jahre im Land, 15 Prozent sind hier geboren. Bei der anstehenden Wahl zum Nationalrat (vergleichbar zum deutschen Bundestag) sind sie dennoch von der Wahl ausgeschlossen – eine große Ungerechtigkeit, wie Alexander Pollak von dem Menschenrechtsverein SOS Mitmensch meint. Gemeinsam mit Demokratieforschern kritisiert er die fehlende politische Mitbestimmung von Zugewanderten in einem Land wie Österreich, das im Europavergleich einen der höchsten Ausländeranteile verzeichnet.

Österreich als Nachzügler?

Inwiefern diesen der Zugang zu politischen Rechten erschwert wird, zeigt eine neue Studie im Auftrag des europäischen Parlaments, für die die Wahlrechte der EU-Mitgliedstaaten unter die Lupe genommen wurden. Voraussetzungen für die Einbürgerung in Österreich sind u. a. ein zehnjähriger Aufenthalt, ein festes Einkommen, das Bestehen einer Prüfung sowie nachweisbare Sprachkenntnisse. Von Migranten in Österreich geborene Babys haben nur dann automatisch Anspruch auf die Staatsbürgerschaft, wenn ein Elternteil bereits einen österreichischen Pass besitzt. Doppelstaatsbürgerschaften werden nur selten genehmigt. „Menschen, die den Gesetzen unterworfen sind, können diese Gesetze nicht mehr mitbestimmen“, folgert der Politologe Rainer Bauböck vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, einer der Studienautoren, die Österreich als Nachzügler in punkto Ausländermitbestimmung einstufen.

<< Demokratie lebt von Beteiligung, nicht von Ausschluss.» Alexander Pollak, SOS Mitmensch

Ähnliche Hürden haben Einwanderer in nur sieben anderen EU-Staaten auf ihrem Weg zur Staatsbürgerschaft zu überwinden, darunter Ungarn, Zypern und Rumänien. Vergleichsweise leichter kommen sie in Belgien, der Slowakei, in Griechenland oder in Schweden an einen Pass. Für Alexander Pollak sollte das Wahlrecht sowieso nicht an den Pass gebunden sein. „Aus unserer Sicht wären sowohl die Entkoppelung demokratischer Rechte von der Staatsbürgerschaft als auch das Ende der Nichteinbürgerungspolitik für die Stärkung von Demokratie und Integration außerordentlich wichtig.“ Für den Sprecher von SOS Mitmensch sollten der Hauptwohnsitz in Österreich und mehrjährig hier zu leben die eigentlichen Voraussetzungen für das Wahlrecht sein. Anders sieht man das im Staatssekretariat für Integration. „Die Staatsbürgerschaft muss Bedingung bleiben”, sagt ein Sprecher zur österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. Andernfalls hätte es keinen Vorteil mehr, sich einbürgern zu lassen.

Für alle EU-Bürger gilt seit dem Maastrichter Vertrag 1992 das Wahlrecht bei kommunalen Wahlen und der Wahl zum Europaparlament. Für Angehörige von Drittstaaten gilt dies nicht. Blickt man über die österreichischen Grenzen hinaus, gibt es zwischen den Staaten dennoch große Unterschiede, wie sie die Mitbestimmung Ihrer Bevölkerungsgruppen handhaben: Vorreiter-Länder wie Schweden erlauben auch Angehörigen eines Nicht-EU-Staates das aktive und passive Wahlrecht für kommunale und regionale Wahlen. In Dänemark, Finnland und den Benelux-Ländern gilt Gleiches, sofern sie schon mehrere Jahre im Land wohnen. Viel lockerer sehen es klassische Einwanderungsländer wie Neuseeland. „Da können Menschen, die keinen neuseeländischen Pass haben, bereits nach einem Jahr Aufenthalt an sämtlichen Wahlen teilnehmen,“ stellt Pollak im Gespräch mit der DAZ klar. „Wir denken, dass Personen, die in Österreich ihren Hauptwohnsitz haben, nach spätestens drei Jahren Zugang zum Wahlrecht haben sollten.“

In Österreich sehen die Aktivisten von SOS Mitmensch hohen Bedarf an Mitbestimmung und laden daher erstmals zu einer symbolischen Nationalratswahl für Nichtstaatsbürger am 24. September in Wien ein. Zu den erwarteten Ergebnissen der sogenannten „Pass-egal-Wahl“ will Pollak sich noch nicht äußern: „Wir sind schon sehr auf das Ergebnis unserer Wahl gespannt.“

Deutschland: Jeder Zweite will wählen

Auch beim österreichischen Nachbarn Deutschland ist die Diskussion um das sogenannte „Ausländerwahlrecht“ nicht neu: 2011 lancierten zahlreiche Vereine eine gemeinsame Kampagne und riefen zu einer Symbolwahl für Nichtstaatsbürger auf. Trotz der hohen medialen Aufmerksamkeit haben weniger als 3000 Personen ihre Stimme in den 82 Berliner Wahllokalen abgegeben. „Unsere Erwartungen hinsichtlich der Wahlbeteiligung wurden unterschritten“, zogen die Kampagnenleiter damals Bilanz. Sie begründeten die geringe Mobilisation durch mangelnde persönliche Ansprache der Zielgruppe, nicht durch mangelndes Interesse an Partizipation.

Eine Migrations-Studie der König Baudouin Stiftung gibt ihnen Recht: In der Umfrage wurden Nichtstaatsbürger aus sieben europäischen Ländern gefragt, ob sie zur Wahl gehen würden, wenn morgen gewählt würde. Jeder zweite deutsche Einwanderer gab an, in diesem Fall seine Stimme abzugeben.

Bei der passfreien Wahl in Berlin gewannen damals die Sozialdemokraten, auch bei der offiziellen Wahl gingen diese als Sieger hervor. Platz zwei bei den Nichtstaatsbürgern verzeichneten die Grünen, die sich ebenso wie die SPD im vorhinein für ein Ausländerwahlrecht ausgesprochen hatten. Im Gegenteil zum tatsächlichen Wahlausgang mit 23 Prozent erteilten die Wähler ohne Pass der CDU, welche sich wiederum gegen das erweiterte Wahlrecht einsetzte, eine klare Absage.

Von Daniela Neubacher

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