Einst eine sichere Einstiegchance in den Beruf, erweisen sich Praktika in Deutschland zunehmend als Job-Killer

Fragen und Unverständnis sind in Kasachstan eine häufige Reaktion, wenn sich jemand als Praktikant vorstellt. „Praktikant? Praktikantka? Schto oni djelajut?“, heißt es dann voller Misstrauen, was diejenigen denn nun wirklich täten und könnten. Noch größeres Staunen ruft meist die Tatsache hervor, dass es für viele junge Deutsche völlig normal ist, mehrere Monate lang unentgeltlich zu arbeiten. Und das ganz freiwillig. Doch gar nicht oder nur geringfügig bezahlte Praktika, die in Kasachstan noch wenig geläufig sind, haben sich in Deutschland in den letzten Jahren als fester Bestandteil der Berufsausbildung etabliert.

In Deutschland gehören Praktika mittlerweile vor allem bei Hochschulabsolventen fast zwangsläufig in den Lebenslauf. Ohne Praktikum ist es für viele Sozial- oder Geisteswissenschaftler nahezu aussichtslos, als Bewerber auf einen Arbeitsplatz überhaupt in die engere Wahl zu kommen. Während des Studiums ist dafür auch genug Zeit, und in vielen Studiengängen sind mehrmonatige Praktika in der Studienordnung als Pflichtprogramm vorgeschrieben.

Praktika sind eine gute Gelegenheit, für ein paar Monate ins Ausland zu gehen oder unverbindlich in ein Berufsfeld hineinzuschnuppern. Die Praktikanten lernen so den Arbeitsalltag im Maschinenbau, in PR-Agenturen, Zeitungsredaktionen oder Design-Büros kennen, erwerben wichtige praktische Kenntnisse, und ganz nebenbei lassen sich Kontakte zu künftigen potenziellen Arbeitgebern knüpfen. Die wiederum sind dankbar für hoch motivierte Arbeitskräfte, die zudem kaum oder wenig Geld kosten, und bedanken sich dafür schon einmal mit einer Festanstellung im Anschluss an das Studium.

So sieht es der Idealfall vor. Und so hat es jahrelang auch funktioniert. Doch mittlerweile wächst sich die „Praktikumskultur“ der Deutschen zu einem echten Problem für den Arbeitsmarkt aus. Etwa 200.000 Absolventen verlassen jährlich deutsche Hochschulen – und anstatt im festen Job landen viele Akademiker dann in einem Praktikum. Wie viele, hat bisher noch niemand gezählt. „Erst einmal ein Praktikum“ ist der Satz, mit dem viele hoch qualifizierte Absolventen ihre Karriere in der Warteschleife Praktikum beginnen. Die kann sich auch für ausgebildete Juristen, Betriebswirte oder Naturwissenschaftler manchmal mehrere Jahre hinziehen. Kürzlich rief die Wochenzeitung „Zeit“ die „Generation Praktikum“ aus, denn zwischen Kaffeemaschine und Kopierer verlorengegangene Hoffnungen auf der einen Seite und kaum bezahlte, euphemistisch als „Praktikum“ verbrämte Vollzeitstellen, die oft das Überleben des Unternehmens sichern, auf der anderen sind fast schon typisch für heutige Uni-Absolventen.

Dr. Petra Jöstingmeyer ist keine typische Praktikantin. Nicht etwa jedoch, weil die 35-Jährige als promovierte Biologin noch einmal einen Praktikumsvertrag unterschrieben hat. Im Gegensatz zu vielen anderen ist ihr Praktikum in der Redaktion eines Onlinemagazins mit 500 Euro pro Monat verhältnismäßig gut bezahlt. Vor allem aber sieht Jöstingmeyer ihr Praktikum noch als echte Chance. „Ich verspreche mir davon, einen Fuß in die Tür zu bekommen,“ formuliert sie ihre Hoffnung auf einen erfolgreichen Berufseinstieg.

Nach drei Jahren Arbeitslosigkeit und 200 Absagen ist sie froh, einen Job zu haben, in dem sie gebraucht wird, wenn er auch nur auf sechs Monate befristet ist. Gemeinsam mit dem Arbeitsamt hatte Jöstingmeyer festgestellt, „dass der Medienbereich ein ideales Feld ist, um alle meine Fähigkeiten unter einen Hut zu bringen“. Jetzt hat sie die Gelegenheit, Arbeitproben zu sammeln, um sich später als Wissenschaftsjournalistin zu bewerben. Bei ihrem jetzigen Arbeitgeber fühlt sich die Biologin, die ihren Doktortitel mittlerweile als problematisch empfindet, weil sie dadurch als überqualifiziert gilt, gut aufgehoben: „Ich finde es prima, dass man so nett betreut wird und einem alles von Grund auf gezeigt wird, weil die Arbeit für mich ja doch ein ganz neues Feld ist.“

Auch mit dieser Zufriedenheit ist Jöstingmeyer eine Ausnahme – hört man die Erfahrungen anderer Praktikanten. „Erwartet werden der volle Einsatz und nahezu Professionalität, bezahlt wird nix,“ schreibt Birgitta in einem Online-Forum über ihr Praktikum bei einem Radiosender. „Sie können froh sein, wenn Sie bei uns umsonst arbeiten dürfen“ oder „Dann eben nicht“ lauten die Antworten auf Praktikumsanfragen mit Gehaltsverhandlungen bei anderen.

Weil sie ähnlich schlechte Erfahrungen machte und eine feste Stelle nur über ein vorheriges, unbezahltes Praktikum zu haben war, beschloss Betriebswirtin Bettina Richter, auf die Barrikaden zu gehen. Gemeinsam mit weiteren Betroffenen gründete sie den Verein „fairwork“, der sich als „Gewerkschaft für Hochschulabsolventen“ versteht.

Fairwork will ein Informationsportal für Absolventen werden und hat konkrete Ziele formuliert. So fordert der Verein einen Mindestlohn für Hochschulabsolventen im Praktikum, der dem aktuellen ALG II-Satz entspricht, und spricht sich für die Begrenzung der Praktikumsdauer auf höchstens vier Monate aus. „Alles, was darüber hinaus geht, ist in unseren Augen kein Praktikum mehr, sondern Ausbeutung. Wer die Aussicht auf Übernahme stellt, muss nach dieser Zeit die Arbeit des Absolventen beurteilen können“, heißt es auf der Internetseite von fairwork.

Bettina Richter hat ihren mittlerweile ehemaligen Arbeitgeber erfolgreich verklagt. Für den einen Monat unbezahltes Praktikum, in dem sie die gleiche Arbeit leistete, wie auf der im Anschluss voll bezahlten Stelle, erhielt sie im Nachhinein vollen Lohnausgleich.

Dass der Trend hochqualifizierter, aber unbezahlter Arbeitskräfte dem eigenen Arbeitsmarkt schadet, haben auch die Wirtschaftsunternehmen selbst schon festgestellt. Das Magazin „Karriere“ startete deshalb im vergangenen Herbst die Initiative „Fair Company“. Unternehmen, die sich den Kriterien eines fairen Umgangs mit Praktikanten stellen, erhalten daraufhin das Gütesiegel „Fair Company“, eine Hilfe, die Berufseinsteigern die Unsicherheit bei der Bewerbung nehmen soll. So verpflichten sich die „Fair Companies“, keine Vollzeitstellen durch Praktikanten, vermeintliche Volontäre oder Hospitanten zu substituieren, sie vertrösten keinen Hochschulabsolventen mit einem Praktikum, der sich auf eine feste Stelle beworben hat, ködern keinen Praktikanten mit der vagen Aussicht auf eine anschließende Vollzeitstelle, sondern bieten Praktika vornehmlich zur beruflichen Orientierung während der Ausbildungsphase und zahlen Praktikanten eine adäquate Aufwandsentschädigung. Überprüft wird das System durch Praktikanten, die öffentlich im Internet über ihre Erfahrungen berichten. 191 Unternehmen, darunter BASF, E.ON, SAP oder die Holtzbrinck-Verlagsgruppe, sind der Initiative schon gefolgt.

Ob die Bemühungen Früchte tragen, bleibt abzuwarten. Wie die „Zeit“ in ihrem Geburtspamphlet der „Generation Praktikum“ richtig bemerkt, wäre das einzige Mittel gegen die Ausbeutung der Berufseinsteiger ein Praktikantenboykott: „Niemand, der bereits einen Uniabschluss hat, macht noch ein Praktikum. Auch nicht für 800 Euro im Monat.“ Leider funktioniert das natürlich nicht, weil zu viele auf ein Praktikum angewiesen sind. Zu groß sind die Hoffnungen, die damit verbunden sind. Auch Petra Jöstingmeyer hofft. Sie würde gerne in der Onlineredaktion weiterarbeiten, weil ihr die Arbeit Spaß macht und die Kollegen ihr gefallen. Und schließlich wolle sie endlich auch einmal etwas Sicherheit in ihre Lebensplanung bringen. Angefragt, ob sie bleiben könne, habe sie bereits. „Der Chef hat sich dazu aber noch nicht geäußert“.

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