STANDARD (Österreich): „Warum sind CDU und CSU unter ihren Möglichkeiten geblieben? Man ahnte es, als die Diskussionen um die vom CDU-Finanzexperten Kirchhof propagierte Flat Tax innerhalb der Merkel-Partei begannen. Zu stark erinnerten sich die Deutschen an das Zerwürfnis zwischen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder, der Beginn des Abstiegs der SPD.  Die zweite Störung lieferte Edmund Stoiber, als er die ostdeutschen Wähler brüskierte.“
LE FIGARO (Frankreich): „Alles zeigt, dass man sich in Richtung auf eine große Koalition hinbewegt, eine Art Kohabitation auf Deutsch, eine Verbindung der CDU von Angela Merkel und der SPD von Gerhard Schröder. Eine solche Lösung lässt eine handlungsunfähige Regierung befürchten. Von dem Wahlergebnis hat man eine Beschleunigung der Reformen in Europa erwartet, mit Ansteckungseffekt auf die Nachbarländer und besonders auf Frankreich. Die Europapolitik, die seit dem Nein beim EU-Verfassungsreferendum gelähmt war, wird es weiter bleiben. Wie soll die deutsche Außenpolitik entscheiden zwischen der CDU, die gegen den EU- Beitritt der Türkei ist, und der SPD, die dafür ist? Schröder hat im Mai diese vorgezogenen Wahlen durchgesetzt, um einen Stillstand aufzuheben, der sein Reformprogramm blockierte. Jetzt ist zu befürchten, dass Deutschland unregierbar geworden ist. Das ist bedauerlich für ganz Europa.“
KOMMERSANT (Russland): „Mit dem Schritt zur vorgezogenen Wahl stand Schröder in den Augen vieler Deutscher als Staatsmann da, der sich um das Schicksal der Nation sorgt, aber nicht an seinem Sessel klebt. Und das beeinflusste die Wähler stark. Schröder hat statt der unausweichlichen Niederlage im kommenden Jahr ein Unentschieden herausgeholt, und darin liegt sein Sieg.
WALL STREET JOURNAL (USA): „Es war ein schlechtes Omen, als Angela Merkel den Rolling-Stones-Song „Angie“ zu ihrem Wahlkampflied wählte. In Wirklichkeit ist es ein Lied über ein Scheitern. Und das ist ziemlich genau das, was der CDU bei der Wahl gestern widerfuhr, als der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, der in den vergangenen sieben Jahren nach Art eines deutschen Bill Clinton Kanzler war, ein bemerkenswertes Comeback schaffte. Das verworrene Ergebnis, bei dem keine der größeren Parteien eine stabile Mehrheit zustande bringen kann, bedeutet, dass Deutschland in der nächsten Zeit seinen schwerfälligen Sozialstaat nicht entschlossen reformieren wird, der zu einer Arbeitslosenrate von elf Prozent und einem Null-Wachstum beigetragen hat. Das wird nicht gut für die Welt sein. Deutschland ist die drittgrößte Wirtschaft der Welt und macht 30 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU aus.“
LA CROIX (Frankreich): „Die Ablehnung der durchgreifenden Reformen des deutschen Sozialsystems haben der neuen Linkspartei genutzt, einer Mischung aus Neokommunisten des früheren Ostdeutschlands und den Enttäuschten der westdeutschen Sozialdemokratie. Angela Merkel kann sich zwar rühmen, Gerhard Schröder geschlagen zu haben, und könnte als erste Frau in das Bundeskanzleramt einziehen, doch sie käme durch die Hintertür, denn die Ablehnung der Politik Schröders durch viele Wähler hat ihr nicht den erwarteten Erfolg gebracht. Die Ungewissheiten in Deutschland bleiben bestehen, und die Verhandlungen für eine tragfähige Regierung werden sicherlich lange dauern.“
BERLINGSKE TIDENDE (Dänemark): „Man muss trotz allem vermuten, dass die Wahlverliererin Angela Merkel Deutschland in den kommenden Jahren führen wird. Die deutschen Wähler gaben nämlich Gerhard Schröders SPD eine noch größere Ohrfeige als Merkel. Damit ist vermutlich der Boden bereitet für das, was man jetzt als das geringste Übel für Deutschland bezeichnen muss: Eine breite Koalitionsregierung mit CDU/CSU und SPD sowie Angela Merkel als Kanzlerin. Nach allem, was man über Schröders unzähmbaren Machtwillen weiß, kann man ohne weiteres das unangenehme Gefühl bekommen, dass er für seinen Kanzlerstuhl die eigene Seele an die neue Linkspartei zu verkaufen bereit ist. Aber das ist hoffentlich nur eine böse Fantasie. Es wäre eine Tragödie nicht nur für Deutschland, sondern auch für ganz Europa.“
GAZETA WYBORCZA (Polen): „Irgendeine Regierung wird es am Ende geben. Aber es ist nicht bekannt, ob diese neue Regierung ernsthaft die Regulierung der Wirtschaft flexibler gestalten oder im Gegenteil das gegenwärtige System so weit wie möglich erhalten will. Ob die Außenpolitik eine Rückkehr zu den USA einschlägt oder Schröders internationale Politik beibehält, die sich auf das Bündnis mit Frankreich und das Kokettieren mit Russland stützt. Es wird gewiss eine Regierung unter dem Druck der mächtigen Lobby in Deutschland sein, die ad hoc, ohne Plan handelt. Diese Wahl hat gezeigt, dass Deutschland, das größte Land Europas, vorerst nicht weiß, in welche Richtung es geht.“
DAILY TELEGRAPH (England): „Die deutschen Wähler haben die Chance für Reformen verpasst, die ihnen die Christdemokraten unter Angela Merkel geboten haben. Nachdem sie Gerhard Schröders Sozialdemokraten in einer Reihe von Landtagswahlen und der Europawahl gnadenlos abgestraft hatten, schreckten sie davor zurück, den Konservativen den Hauptpreis zuzuerkennen – die Gelegenheit zu einer Regierung zusammen mit den liberalen Freien Demokraten. Weil die schwarz-gelbe Partnerschaft nicht zustande kommt, wird es bestenfalls wenige Fortschritte bei den bescheidenen Reformen aus Schröders zweiter Amtszeit geben. Das wiederum wird Reformen in Ländern wie Frankreich und Italien verlangsamen. Ganz Europa ist der Verlierer dieses absolut unbefriedigenden Wahlausgangs.“
THE GUARDIAN (England): „Es ist gut möglich, dass der beinahe unentschiedene Ausgang zu einer großen Koalition der beiden größten Parteien führt – und das bedeutet Stillstand statt Reformen: Angela Merkel ist zwar viel mit Margaret Thatcher verglichen worden, aber Angie hat weder das Charisma der britischen Eisernen Lady an den Tag gelegt noch deren Art radikaler Politik, die nötig wäre, um Deutschland aus dem Trübsinn herauszuholen, in dem das Land in den vergangenen sieben Jahren gesteckt hat. Die Wahl wurde bestimmt durch tiefen Pessimismus, gewaltige Ernüchterung über die großen Parteien und durch unsichere Wähler, die zwar die Notwendigkeit von Reformen begriffen, aber deren Auswirkungen füchteten. Es wird noch viel Geschachere geben, bis das außerordentliche Ergebnis verdaut ist. Die Deutschen wollen wohl Reformen. Jetzt aber droht Lähmung, weil die Nerven sie im Stich gelassen haben.“
EL MUNDO (Spanien): „Nach dem überraschenden Wahlausgang in Deutschland bleiben eigentlich nur zwei Alternativen: eine Große Koalition oder ein Ampelbündnis. Angesichts der Ergebnisse scheint es klar zu sein, dass die Christdemokraten sich irrten, als sie Angela Merkel zu ihrer Führerin wählten. Die Kandidatin erwies sich im Wahlkampf als wankelmütig. Ihr unterliefen infantile Fehler. Nun ist Gerhard Schröder der Schiedsrichter, der über die künftige Regierung entscheidet. Und das ist ein großer Triumph für ihn.“
LIDOVNE NOVINY (Tschechische Republik): „Obwohl die SPD die Wahl verloren hat, ist das Ergebnis in Wirklichkeit ein Sieg für Gerhard Schröder und eine Niederlage für Angela Merkel. Wenn die Deutschen etwas nicht wollen, ist es eine Kanzlerin Merkel. Mit ihrer unglücklichen Kampagne hat sie einen 20-prozentigen Vorsprung verschenkt, den die CDU/CSU in Umfragen hatte. Es ist die Frage, ob ein solcher Politiker Regierungschef sein sollte. Hingegen wiesen die Deutschen Reformen nicht völlig ab, und diese müssen wirklich kommen – damit Deutschland in den Kreis der leistungsfähigsten Volkswirtschaften zurückkehrt.“ (dpa)

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