Wir brauchen ihn – den Alkohol. Er ist Teil fast jeder Kultur. Und jedes Volk hat eine eigene Trinkkultur, da können wir uns auch an den Klischees und Stereotypen nicht vorbeimogeln.

Die Deutschen trinken viel Bier, die Russen viel Wodka, und die Franzosen haben es mehr mit dem Wein. Die einen nippen, die anderen kippen, manche süffeln. Wir trinken mit Prost, die Russen mit Toast und am Ende sind doch wieder alle eins – nämlich betrunken. Und darin sind wir tolerant. Wir schätzen uns gegenseitig dafür, dass wir so gut so viel trinken können.

Wenn wir miteinander trinken, können wir viel voneinander lernen. Besonders von den Franzosen und Russen können wir Deutschen uns noch eine Scheibe abschneiden. Beide wissen schon, dass man zu Alkohol isst. Es muss viel im Magen liegen, damit der Wodka nicht so schwer im Kopf liegt. Und damit sich der gute französische Wein entfalten kann, braucht es auch die richtigen Käsesorten. So kann man in Russland fast nichts falsch machen, Brot, Fisch, Wurst, Salat, alles geht, aber den Saft dazu nicht vergessen. In Frankreich kann man schnell viel falsch machen, hier kommt es auf die zarten Nuancen an. Und wir? Für uns wäre es eigentlich ganz einfach, wenn wir nur dem Klischee folgen und zu jedem Bier eine Wurst essen. Na, also! Aber Alkohol ist nicht nur zum Genießen oder Vergnügen da, mit ihm laufen auch die Geschäfte besser. Jedenfalls im Ausland. Bevor Verträge unterzeichnet werden, muss man sich erst einmal kennen lernen. So richtig, denn es geht ja ums Geld. Also trinken bis zum Abwinken. Wer tapfer durchhält, ist auch ein verlässlicher Geschäftspartner. Und wer trinkt, ohne ausfallend zu werden, ist nicht nur verlässlich, sondern auch kultiviert. Diese Tradition fehlt uns in Deutschland, drum setzen uns auch die Geschäftsreisen so zu. Und wir Deutschen behalten gern einen kühlen und klaren Kopf, wenn wir etwas zu regeln haben. Drum fällt es uns nicht leicht, Paragraphen und Promille miteinander zu verbinden. Schließlich ist Alkohol auch wichtig für die Gesundheit. Das Bierchen für die Nierchen, Rotwein verdünnt das Blut, und der Wodka hilft gegen alles – Kälte, Zahnschmerzen und Verstopfung. Aber vor allem gegen eines hilft der Alkohol – gegen Seelenschmerz. Wir trinken, um uns zu entkrampfen, entspannen, um das Übel zu vergessen und uns an Schönes zu erinnern. Und das tut gut. Zu gut. Und da fängt es dann so langsam an, ungesund zu werden. Da die Entspannung nie oft und lang genug andauern kann, trinken zu viele Menschen zu viel. Das wissen wir alle. In Russland tritt es offensichtlicher zutage. In Deutschland ist es nicht so eindeutig. Hier schwankt man zwischen Verharmlosung und Verteufelung. Einige Stimmen sprechen vom Alkoholismus als Volkskrankheit. Aber da scheiden sich auch die Geister, wann Alkoholismus anfängt und wie er sich äußert. Wer ganz streng ist, hält die täglichen zwei Flaschen Feierabendbier für gefährlich. Es gibt zahlreiche Studien, die aufzeigen, wie viele Krankheits- und Todesfälle durch Alkoholkonsum verursacht werden, wie hoch die volkswirtschaftlichen Einbußen sind und wie viele Liter ein Deutscher durchschnittlich im Jahr schluckt. Eine ganze Menge. Aber was tun? Es verbieten oder die Preise enorm hochsetzen wie in den skandinavischen Ländern? Dann fehlt es auch wiederum – der Seele, der Volkswirtschaft, der Völkerverständigung. Und so lange die goldene Mitte nicht gefunden ist, sag ich einfach mal: Prost!

Julia Siebert

27/10/06

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