Die EU gibt viel Geld für interkulturellen Austausch aus. Schön und gut, meint Kolumnistin Julia Siebert, inzwischen ersetzen Austauschprogramme manchmal sogar das Reisebüro.

Es hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass es bereichernd ist, sich über Grenzen hinwegzubewegen und sich kunterbunt querbeet auszutauschen: interdisziplinär, generationen- und genderübergreifend, interkulturell, überregional, transnational. Das war nicht immer so.

Weil das aber die EU immer schon so sah, wusste und wollte, musste sie auch in diesem Fall ihre mehr oder weniger eingefleischten Europäer zu ihrem Glück zwingen. Und machte in einigen Förderprogrammen den verpflichtenden transnationalen Austausch zur Bedingung. Das fanden viele Projektmitarbeiter zunächst lästig. Hatte man doch viel zu wenig Zeit für den Projekttrallala vor Ort in den heimischen, vertrauten Gefilden, sollte man auch noch sonst wohin reisen, um sich mit sonst wem in einer Fremdsprache radebrechend auszutauschen. Und tatsächlich – das lief in vielen Fällen nicht wie am Schnürchen, sondern die Italiener kamen immer zu spät, die Franzosen machten immer alles auf den letzten Drücker, die Deutschen wollten immer sofort noch vor dem Kennenlernen loslegen, so dass im Ergebnis ein gegenseitiges Unverständnis und eine gemeinsame Unzufriedenheit entstand. Und das ausgerechnet am deutlichsten bei den interkulturellen Trainern. Aber nun gut, die Schuster haben die schlechtesten Schuhe, die interkulturellen Trainer sind auch nur Menschen und immerhin machen sie ihren Unmut explizit.

Aber bei allem Unmut befanden doch viele, dass dieser Austausch letzten Endes und im Rückblick ganz schön und bereichernd gewesen sei. Irgendwie. Der Mehrwert ließ sich nicht so genau nachweisen, was weder für die EU noch für mein Evaluatorinnenherz sehr zufriedenstellend war. Aber auch wir, die EU und ich, lernen dazu, unabhängig voneinander, manchmal auch miteinander, dass nämlich nicht nur alles, was haarklein und punktgenau gemessen werden kann, bereichert; und dass man manchmal den guten Glauben hegen und pflegen muss, dass auch Gutes erbringt, was sich gut anfühlt. Irgendwie.

Inzwischen sind ein paar Jährchen vergangen. Die Kandidaten, die damals mehr oder weniger willig den EU-Zwängen folgten, planen heutzutage ganz freiwillig ihren transnationalen Austausch. Wie gut also, dass es weiterhin Programme gibt, die das fördern, z.B. IDA (Integration durch Austausch). Allerdings ist zu bemerken, dass dabei die fachliche Komponente etwas auf der Strecke bleibt. Denn erst wird das Land gewählt, in das man so gerne reist, und dann werden darin Partner gesucht, die mehr oder weniger passen. Ob das so im Sinne der EU ist?

Aber am Ende zählt das Ergebnis, wenn man der konsequenzialistischen Moralphilosophie folgt. Wenn ein Reicher gibt, um sich innerlich gut und edel zu fühlen und nach außen hin gut und edel auszusehen, aber Arme davon profitieren, soll es doch wurscht und recht sein. Und wenn jemand statt mit TUI mit EU-Fördermitteln rumreist, um sich Reisewünsche zu erfüllen, aber bei dieser Gelegenheit, wenn er schon mal vor Ort ist, auch noch den transnationalen Austausch pflegt und Jugendliche in den Arbeitsmarkt integriert, wieso also nicht? Ich werde mich gleich mal nach passenden Programmen umschauen. Ich wollte schon immer mal nach Island und wenn es denn sein muss, würde ich auch notfalls eine kleine Fortbildung, einen kurzen Fachaustausch oder eine schnelle Arbeitsmarktintegration in meine Reise einbauen. In jedem Falle könnte ich das auf meinem grenzüberschreitenden Karmakonto verbuchen.

Julia Siebert

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