Schwellenländer sind immer mehr vom technischen Fortschritt bedroht. Prof. Dr. Bodo Lochmann sieht einen Trend, dass Direktinvestitionen in Arbeitskräfte aus Schwellenländern bald teurer als hochmoderne Roboter sein könnten.

Es ist beeindruckend zu sehen, wie rasant sich die wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen etwa 40 Jahren in der Welt vollzogen hat. Die Anzahl der Armen ist weltweit um mehr als eine Milliarde Menschen zurückgegangen, insbesondere in Asien. Nach der Abkehr Chinas von staatsgelenkten Großprojekten radikaler Umwälzungen wie dem „Großen Sprung“ und dem Übergang zu marktwirtschaftlichen Grundprinzipien des Wirtschaftens ist eine asiatische Mittelschicht entstanden. Sie hat die Entwicklung der Weltwirtschaft sowohl aus Sicht der Produktion, also des Unternehmertums, als auch aus Sicht des Konsums, sprich der Nachfrage, wesentlich stimuliert. Prinzipiell trifft diese Beobachtung auch auf Kasachstan zu. Mit großen Abstrichen lässt sich dies auch über andere postsowjetische Staaten sagen, wobei die Wirtschaftsentwicklung der südlichen zentralasiatischen Nachbarstaaten Kasachstans bescheiden ist.

Mittlerweile mehren sich jedoch die Zweifel und Aussagen, dass sich der Trend der allgemeinen Wohlstandsentwicklung und Armutsverringerung so einfach fortsetzt wie bisher. Auch Präsident Nasarbajew hat vor etwa zwei Jahren über Probleme dieser Art für Kasachstan gesprochen. Das war jedoch zu Zeiten, als man noch nicht von der aktuellen Ölpreis– und Einkommenskrise sprechen musste. Hierzulande, wie in vielen anderen Staaten (und nicht nur in Schwellenländern) verringert ein zu hohes Ungleichgewicht in den Einkommen eine wirtschaftliche Entwicklung und Aufstiegschancen der ärmeren Bevölkerungsschichten. Einer der makroökonomischen Gründe ist der Übergang von einer Agrar– zu einer Industriegesellschaft, was auch typisch für das aktuelle Kasachstan ist.
Ein Anstieg der Einkommensungleichheit fast unvermeidlich. Denn viele Bauern, insbesondere Jugendliche, ziehen in die Städte, während die anderen weiter Landwirtschaft betreiben (müssen) – oft jedoch auf einem technologisch unzureichendem Niveau. Das Produktivitäts– und damit auch das Einkommensniveau in der Industrie, die sich ja in den Städten befindet, sind nun mal deutlich höher als in der Landwirtschaft. Zudem kann die Wirtschaftsgeschichte nachweisen, dass langfristig die Kapitaleinkünfte schneller steigen als die Arbeitseinkünfte. Nur dort, wo eine aufgeklärte Gesellschaft, vor allem aber starke Gewerkschaften ungesunde Proportionen bändigen, sieht das nicht so aus. Praktisch heißt das, dass durch Investitionen in Bildung, Sozialstaat und Infrastruktur versucht werden sollte, gleiche Ausgangsaufstiegsmöglichkeiten für alle Menschen eines Landes und nicht nur für bereits Begüterte zu schaffen.

Eine zentrale aktuelle Bedrohung für die weitere erfolgreiche Entwicklung von Schwellenländern hin zu umfassend entwickelten Staaten, sind die Fortschritte bei Digitalisierung und Automatisierung, welche heute mit dem Kürzel „Industrie 4.0“ beschrieben wird.

Zum einen gehen die wesentlichen Impulse für die anstehende Revolution der technologischen Grundlagen moderner Produktion nach wie vor weitgehend von den „alten“ Industriestaaten aus. Zum anderen basiert in der Mehrzahl der Schwellenländer der bisher erreichte Fortschritt weitgehend auf einem großen Angebot an billigen Arbeitskräften, das ausländische Direktinvestitionen angelockt hat. Da es sich bei vielen dieser Investitionen um den Einsatz von Arbeitskräften in mehr oder weniger einfachen Routineprozessen handelte, war oft nur eine geringe Qualifikation der Arbeitskräfte gefragt. Doch nun stehen wir an der Schwelle einer technologischen Entwicklung, die erlaubt, teure Industrieroboter, automatisierte Steuerungssysteme und 3-D-Drucker kostengünstig auch für Klein– und Kleinstserien einzusetzen. Länder mit Rückständen in diesen Kernbereichen werden es schwer haben, bei dieser rasanten und teuren Entwicklung mitzuhalten. Beispiele für den Ersatz billiger asiatischer Arbeitskräfte durch moderne Technik gibt es bereits. So will der wichtigste Zulieferer von Apple seine iPhone-Produktion komplett automatisieren. Derzeit kleben mehr als eine Million chinesischer Arbeiter die Telefone zusammen, bald könnten 10.000 Roboter diese Aufgabe übernehmen. In diesem Fall weiß niemand zu sagen, wohin mit den vielen wenig qualifizierten Arbeitern. Folglich stehen auch die Schwellenländer, darunter Kasachstan, vor der schwierigen Aufgabe, trotz bekannter technologischer Rückstände weiter intensiv an deren wenigstens punktueller Überwindung zu arbeiten. Einen Automatismus für das Gelingen jeder Art von Innovationsstrategie gibt es jedoch nicht.

Bodo Lochmann

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