Ich will mir ein besseres Konfliktmanagement aneignen. Anstatt zu flüchten oder mit der Keule um mich zu schlagen, will ich elegant mit ein, maximal zwei geschmeidigen Hieben gezielt, kurz und schmerzlos, aber wirkungsvoll meine Gegner entwaffnen, mein Florett mit einem zarten Lächeln im Seidenumhang verschwinden lassen, mich umdrehen und davongleiten, als hätte ich nur mal eben meine Frisur gerichtet.

Auf der Zugfahrt von Köln nach Berlin wollte ich den Einstieg finden. Kaum hatte ich wenige Minuten nach Anpfiff mein Büchlein von Fritz B. Simon aufgeschlagen, bot sich auch schon vom Platz hinter mir ein erstes Fallbeispiel an. Das Rollo wurde mit einem kräftigen Wusch! heruntergezogen und versperrte mir den Ausblick. Ich signalisierte einen Interessenkonflikt, indem ich das Rollo wieder hochschob; dass ich es nur auf halbe Höhe brachte, sollte meine Bereitschaft zeigen, mich friedlich zu einigen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Wusch! Friedensangebot abgelehnt. Das Rollo wurde wieder bis zum Anschlag heruntergezogen.

Was nun? Erst das Buch durcharbeiten und kurz vor Berlin kompetent reagieren, aber auf den Ausblick verzichten oder ins kalte Wasser springen und nachträglich auswerten, was ich hätte besser machen können? Ich entschied mich für letzteres. „Entschuldigung, aber wir haben hier ein Dilemma. Wir sitzen beide am selben Fenster, und wenn Sie das Rollo herunterziehen, versperren Sie mir automatisch die Sicht.“ En Garde mit dem Florett. Das Touché kam mit dem Schwert. Sie könne aber so nicht arbeiten. Punkt. Ich fühlte mich von der Dame „zum Tanz eingeladen“, widerstand aber meinem Impuls, zur Keule zu greifen. „Ja, das sehe ich ein, aber ich sitze eben auch hier und brauche nun mal die Aussicht.

Es wäre schön, wenn wir uns auf einen Kompromiss einigen könnten.“ Ich war ganz beeindruckt ob meiner lösungsorientierten Sachlichkeit. Und siehe da, die Dame bewegte sich ein wenig. „Dann ziehen Sie das Rollo mal dahin, wo Sie es haben möchten.“ „Na, eben da, wo ich es eben …“

Gemäß einem orientalischen Basar hätte sie sich nun wieder ein paar Zentimeter einhandeln können, und nach spätestens einem weiteren Schlagabtausch hätten wir das Rollo genau da gehabt, wo es für jede von uns gerade noch akzeptabel gewesen wäre. Leider hatte sie keine Lust auf das Spiel und ging zurück auf Los. Nein, so könne sie nicht arbeiten. Punkt. Schade, denn mir fielen auf Anhieb noch viele andere Möglichkeiten ein, das Problem zu lösen: Platztausch. Rollo hoch, Rollo runter im halbstündigen Rotationsverfahren. Im munteren Quartett das Gegenüberstellen der Dringlichkeit unserer Anliegen für den Weltfrieden und anderes mehr. Aber sie wollte kämpfen, nicht handeln oder tüfteln.

In Ermangelung anderer Waffen und Argumente fuchtelte ich mit meinem Büchlein herum. „Ich habe hier zufällig ein Buch über die Systemtheorie des Konflikts, vielleicht finden wir ja was Hilfreiches zu unserem Rollo-Konflikt. Mal sehen … “ Das Aufschlagen des Buches interpretierte sie als Entsichern einer Pistole. „Oh Gott, Nein, bitte nicht! Das will ich nicht!“ hauchte sie kraftlos und hob die Hände. Der junge Sitznachbar reagierte prompt und bot der Dame schneller, als ich schießen konnte, seinen Platz an. Fall gelöst. Toll, das Buch wirkte auch ungelesen! Von jetzt an trage ich es immer in meinem Halfter mit mir herum, denn eines ist gewiss: Die nächste Gelegenheit kommt bestimmt, und dann heißt es wieder: Hände hoch oder ich schieße!

Julia Siebert

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