Auch wenn zum Thema „Deutsche im Südkaukasus“ schon seit Jahrzehnten viel geforscht und publiziert wird, gibt es dennoch Nachholbedarf – manche Siedlungen standen noch nie im Fokus der Forscher und sind gänzlich in Vergessenheit geraten. Das betrifft beispielsweise die Siedlung Rosental bei Muchrani (Mukhrani), jetzt Vardisubani in Georgien. Bei der Arbeit an meinem Buch über Alexandersdorf („Alexandersdorf – ein schwäbisches Dorf im Kaukasus. Die ersten 100 Jahre – Familienchronik 1817-1917“) habe ich einige ehemalige Rosentaler kennengelernt, die Bewegendes zu erzählen hatten. So ist dieser Artikel entstanden – ein weiteres Steinchen zum bunten Mosaikbild der schwäbischen Geschichte im Südkaukasus.

Rosental
Straße in Rosental. | Foto: Nestan Tataraschwili

Rosental ist eine der letzten deutschen Kolonien, die in Georgien vor 1941 gegründet wurde. 1817-1818 kamen Schwaben aus Württemberg in den Südkaukasus und gründeten dort ihre Siedlungen. Im Laufe der Zeit waren fast alle Wirtschaften aufgrund des Erbrechts in Halbe- und manche in Viertelwirtschaften geteilt worden. Weitere Teilungen wurden später verboten, weil die Ernährung der Familien nicht gesichert werden konnte, schrieb die „Kaukasische Post“ 1909. Wegen Landmangel sind manche Alexandersdorfer schon seit 1908 nach Traubenberg (heute Tamarisi), ab 1925 nach Marnaul (Marneuli) und ab 1922 nach Hoffnungstal (bei Karjas) gegangen. In der Sowjetzeit wurden die Kolonisten zwangskollektiviert und ihr Land verstaatlicht.

1933 bekamen ansiedlungswillige Alexandersdorfer Ländereien bei Muchrani und Karjas zugeteilt. Handwerker, die eine Beschäftigung in Tbilisi hatten – z.B. bei der Eisenbahn, blieben meist in Alexandersdorf. Mehrere Bauern und Weingärtner waren aber entschlossen, sich auf neuen Ländereien anzusiedeln. So zogen 43 Familien in die Gegend bei Karjas und gründeten das Dorf Traubental.

28 Familien aus Alexandersdorf ließen sich in der Gegend bei Muchrani nieder und gründeten Rosental. Das Land für die neue Siedlung wurde 1933 zugeteilt und musste zuerst urbar gemacht werden. Die Männer mit ihren erwachsenen Söhnen fuhren aus Alexandersdorf nach Rosental, um das Land von Hecken und stacheligem Gebüsch zu befreien. Rosental kommt von Heckenrosen, die es in der Gegend in Hülle und Fülle gab. Am Anfang wohnten die Siedler noch in Holzhütten, bis sie ihre Häuser fertig gebaut hatten. Die meisten Familien waren 1936 nach Rosental umgezogen.

Die 95-jährige Erna Thim, geb. Gerstenlauer, und die 86-jährige Irma Bruschko, geb. Schock, sind ehemalige Rosentaler. Heute leben beide in Württemberg und erinnern sich an ihre alte Heimat Rosental.

Erna Thim (wohnhaft in Mosbach/Württemberg) erzählt:

„Ich wurde 1923 in Alexandersdorf bei Tiflis geboren. Die Siedlung Rosental wurde ca. 50 km von Tbilisi gegründet. Etwa drei Kilometer von Rosental lag auf einer Seite das georgische Dorf Muchrani (Mukhrani), auf der anderen Seite sechs Kilometer entfernt Krovrisi.

Rosental
Erna Thim, geb. Gerstenlauer

1934 hatten die Umsiedler aus Alexandersdorf angefangen, in Rosental Häuser zu bauen. Meine Eltern wohnten zu der Zeit noch in Alexandersdorf. Vater hatte dort eine Werkstatt, er war Wägner von Beruf und baute Transportwagen. Meine Brüder und ich mussten von Montag bis Samstag in Rosental in einer Holzhütte wohnen. Ich, damals elf Jahre alt, hatte für meine Brüder das Mittagessen zu kochen. Meine Brüder rodeten das Land und machten Lehmsteine (genannt „Batzen“), aus denen später das Haus gebaut wurde. Die „Batzen“ wurden aus zähflüssigem Lehm mit Spreu gemischt, und zu einer Art Ziegelstein geformt und in der Sonne getrocknet. Samstags gingen wir zu den Eltern nach Alexandersdorf und mussten montags erneut für die ganze Woche wieder nach Rosental. Unser Haus war kaum fertig, als die ganze Familie 1935 nach Rosental zog. Ich war da gerade 12 Jahre alt.
Auf dem Land weideten vorher die Viehherden der „Tataren“ (so nannte man damals die Einheimischen). Dann kamen die deutschen Siedler, haben das Land urbar gemacht und Weizen, Mais, Gerste oder Hafer angebaut. Nicht selten ist es vorgekommen, dass die Viehherden der Einheimischen die bestellten Felder kaputt trampelten.

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Das Dorf hatte eine Straße, 14 Häuser rechts und 14 Häuser links. Die Dorfgegend in Richtung Ksovrisi bezeichnete man als „Oben“ (höher), die in Richtung Muchrani hieß „Unten“ (niedriger). Das Wasser vom Bewässerungskanal lief von „Oben“ nach „Unten“. Auf der rechten Seite war das Land besser, auf der linken Seite in der Nähe zum Fluss Ksanka gab es oft Überschwemmungen.

Die Siedlung hieß Rosental, aber die Kolchose „Rosa Luxemburg“. Mein Vater Gottfried Gerstenlauer war in den Jahren 1938-1941 Kolchosvorsitzender. Der Onkel Ulrich Gerstenlauer brachte die Post von Muchrani und versorgte die Dorfbewohner mit Lebensmitteln und anderen Waren. Jakob Flad war Buchhalter und half den Leuten bei verschiedenen schriftlichen Angelegenheiten.

Die ersten zwei Jahre gab es in Rosental keine Schule, später hat man die Kinder im Haus von Christian Schock unterrichtet – es war eine 4-Klassen-Schule. Der Lehrer, ein junger Georgier, unterrichtete auf Georgisch. Unsere Rosentaler, insbesondere die Männer, konnten gut Georgisch. Zu Hause und untereinander wurde natürlich nur Schwäbisch gesprochen.
Am 18.10.1941 wurde auch unsere Familie deportiert. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir am Tag zuvor noch Mais geerntet haben und uns freuten, dass wir mit den Feldarbeiten fertig waren. Am nächsten Tag erfuhren wir, dass wir unsere Heimat verlassen müssen. Die Sachen zum Mitnehmen wurden in der Vorderstube gelagert, die Tür wurde von den Milizionären abgeschlossen und versiegelt.

Morgens am 18. Oktober kamen Einheimische mit „Arbas“ (Fuhren), wir mussten uns mit unseren Sachen auf die Fuhren setzen – und so ging es los in die Ungewissheit. Als wir durch Muchrani fuhren, winkten uns einige einheimische Frauen weinend nach. Am Bahnhof Ksanka (Ksani) wurden wir in einen Zug Richtung Baku verladen und dort auf ein Schiff verfrachtet, es ging nachts über das Kaspische Meer nach Krasnowodsk, weiter in Viehwaggons durch Turkmenistan, Usbekistan bis nach Kasachstan.

Am 12.11.1941 waren wir in Pawlodar angekommen. Nach Übernachtung in irgendeinem naheliegenden kasachischen Dorf landeten mehrere Familien schließlich in Kysyltu, einem Dorf ca. 50 km von Pawlodar entfernt. Die anderen aus unserem Dorf landeten in Dorf Podstepka.
Die Männer mussten schon im Februar 1942 in die Arbeitsarmee. Es war eine sehr schwere Zeit mit Hunger, Kälte, Armut – viele sind gestorben. Ich wurde mit 19 Jahren im November 1942 mit anderen jungen Mädchen und Frauen ebenfalls in die Arbeitsarmee eingezogen. Auch meine vier Brüder wurden zur Zwangsarbeit mobilisiert. Erst sechs Jahre später wurde ich entlassen und kam wieder zu den Eltern nach Kysyltu.

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1959 sind wir nach Dschetysai gezogen, wo es wärmer war. Da wohnten bereits einige Kaukasiendeutsche, die sich dort nach Ende der Kommandanturaufsicht angesiedelt hatten. Dort traf ich meinen Mann Ewald Thim, er wurde aus Akstafa (einer deutschen Siedlung in Aserbaidschan) nach Kasachstan deportiert – 1960 heirateten wir. 1972 besuchte ich mit meinem Vater noch einmal unsere alte Heimat Rosental. Es war traurig anzusehen, in welchem Zustand unsere Häuser jetzt waren. Im Garten waren keine Bäume und keine Rebstöcke mehr zu sehen. Das war nicht mehr unser schönes Rosental. Im März 1991 kamen wir nach Deutschland.“

Irma Bruschko (wohnhaft in Markdorf/Württemberg) erzählt:

Rosental
Irma Bruschko, geb. Schock

„Ich wurde 1932 in Alexandersdorf geboren. Mein Vater Gottlieb Schock arbeitete in Tiflis in einer Betriebsfabrik. In der Sowjetzeit wurden die Bewohner der deutschen Dörfer gezwungen, Kolchosen einzurichten. Mein Vater wurde zum ersten Vorsitzenden der Kolchose gewählt und musste den Vorsitz in der Kolchose „Rosa Luxemburg“ in der Siedlung Rosental übernehmen. Zwei meiner Tanten mütterlicherseits, Paulina und Ida, sowie mein Onkel Richard väterlicherseits sind mit ihren Familien in Alexandersdorf (damals schon Stadt Tbilisi) geblieben und wohnten dort bis 1941.

Als den Deutschen Ländereien für neue Siedlungen zugeteilt wurden, waren die Einheimischen („Tataren“) sehr unzufrieden. 1935 kam es zu einem furchtbaren Vorfall. Auf den bestellten Feldern waren schon Weizen und Mais gewachsen, trotzdem ließen die Einheimischen vom Nachbardorf ihr Vieh zum Weiden auf das Land. Mein Vater, als Vorsitzender zuständig für das gute Gedeihen auf den Feldern, setzte sich aufs Pferd und versuchte, die Viehherde zu vertreiben. Schnell kamen Waffen ins Spiel, die erbosten Einheimischen erschossen den Vater. Meine Mutter blieb allein mit zwei kleinen Kindern: Ich war gerade drei Jahre und mein Bruder fünf Jahre alt.

So war der Anfang in Rosental für uns sehr schwer und traurig. Wir wohnten mit Mutter, den Großeltern Ulrich Gertenlauer und Josephina (geb. Stähle) sowie unserem Onkel Robert Gerstenlauer mit seiner Familie. Meine Mutter war seitdem auf sich selbst gestellt und hatte auch schwere männliche Arbeit allein zu verrichten. Ich musste bereits mit fünf Jahren viel im Haushalt und mit meinem Bruder im Garten helfen. Mein Großvater hatte mir eine kleine Gießkanne gemacht, damit ich das Grab unseres Vaters auf dem Friedhof pflegen konnte. In Rosental gab es nur drei Gräber von unseren Leuten: von meinem Vater Gottlieb Schock (gest. 1935), von Josephina Hensinger (gest. 1937) und von der Witwe Karoline Knaus (gest. 1939).

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Im Oktober 1941 mussten wir Rosental auf immer Ade sagen. Das Bild, als wir sitzend auf den Fuhren die Siedlung verließen, habe ich immer noch vor Augen. Im Dorf stand ein unbeschreiblicher Lärm: die Kühe muhten, die Hunde heulten. Es war ein unheimlich lautes, herzzerreißendes Heulen unserer Haustiere, als wir aus dem Dorf abtransportiert wurden. Unser Hund lief noch lange unserer Fuhre hinterher, bis er nicht mehr konnte. Schon nach dem Krieg besuchte mein Onkel unser Rosental. Unser Hund war noch am Leben, hatte ihn erkannt und vor Freude wie wild herumgehüpft.

Nach mehrwöchiger Reise landeten wir mit mehreren Familien aus Rosental in Kysyltu/Kasachstan. Bereits in den ersten Kriegsjahren sind viele gestorben, darunter unser Großvater Ulrich Gerstenlauer, Jakob Klett, seine Frau Christina und ihr Adoptivsohn Jakob, Christina Leibsle, Lisa Weible, Irma Stähle und ihre Mutter Erna und noch viele andere. Nach dem Krieg habe ich in Pawlodar studiert und später 38 Jahre als Lehrerin gearbeitet. 1995 kam ich mit meiner Familie nach Deutschland.“

Rita Laubhan

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