Es gibt eine deutsche Band, die überall auf der Welt beliebter zu sein scheint als in ihrem Heimatland – nein, nicht das Schmalzduo Modern Talking. Es sind Rammstein mit ihren prügelharten Texten. Aber nicht die Hardcore-Rocker kamen nach Almaty, sondern die Altpunker der Toten Hosen. Während jeder Taxifahrer in Kasachstan fast akzentfrei „Du hast!“ aussprechen kann, hat niemand auch nur die leiseste Ahnung von „Alles nur, ohoh, weil ich dich liebe“. Am 22. September gaben die deutschen Punkrocker in Almaty ihr zweites Konzert in Kasachstan. Drei Erfahrungsberichte.

/Bild: Julia Burkhart. ‚Frontmann und Sänger Campino riss trotz Sprachbarriere die Zuhörer von der ersten Sekunde an mit.’/

Vor dem Konzert

Kathrin Justen: Mit den Toten Hosen verbinde ich Erinnerungen aus frühester Jugend, als meine große Schwester und ich uns den Discman gegenseitig weggenommen haben. Und aus irgendeinem Grund eine lange Fahrt in den Familienurlaub nach Italien: Im Auto wurde eine Kassette der Düsseldorfer Rocker so lange gespielt, bis sie meinen Eltern aus den Ohren raus kam. Die harte Punk-Musik und die derben Texte fanden meine Eltern auch nicht so recht passend für uns Mädels. Jetzt spielen die Toten Hosen in Almaty. Ein Muss, auch wenn ich zuhause in Deutschland nie darüber nachgedacht habe, auf ein Konzert zu gehen. Die Erwartungen sind simpel: Ich gehe davon aus, dass die Jungs richtig Gas geben werden, und hoffe, dass das Programm von ein paar Klassikern gespickt ist. „Alles aus Liebe“, „Hier kommt Alex“, „Bonnie und Clyde“, so was eben.

Julia Burkhart: Das Konzert der Toten Hosen in Almaty ist wie das in Astana kostenlos – das hat bestimmt einen Grund. Ich frage mich, ob trotzdem jemand kommt. Eine angeblich berühmte, aber in Kasachstan unbekannte deutsche Band, unter der Woche, ziemlich weit außerhalb des Stadtzentrums. Gleichzeitig frage ich mich, ob eigentlich in Deutschland noch jemand die Hosen hört. Ich sehe mich Anfang der Neunziger auf dem Wohnzimmerboden sitzen und die ersten CD’s von Papa durchhören. Die durfte ich – im Gegensatz zu den Schallplatten – nämlich anfassen. „Und wir spielen Bonnie und Clyde!“ habe ich lautstark mitgesungen. Seitdem sind fast 20 Jahre vergangen. Sind die Toten Hosen „tot“ und kommen deshalb nach Zentralasien? Recherchen im Internet ergeben: Die Toten Hosen sind sogar richtig lebendig, haben 2009 das letzte Album herausgebracht und vor kurzem „Eisgekühlter Bommerlunder“ auf Polnisch aufgenommen. Dazu Tournee durch ganz Europa. Wow!

Christine Karmann: „Ich mach doch keine Übungen vor!“ Michael „Breiti“ Breitkopf, Gitarrist der Toten Hosen, erzählt, wie er sich vor einem Konzert warmmacht. „Ich lese kein Buch und geh dann raus auf die Bühne, das funktioniert nicht“. Das Warmmachen hat wohl irgendwas mit Gymnastik zu tun, mehr will er nicht verraten. Süß, dem Punkrocker ist das wohl peinlich. „Haben Sie einen Ohrwurm?“ „Sie meinen, welche Musik ich gerade höre?“ Ganz recht, wir siezen uns. Irgendwie ist es mir peinlich, zu einem 46-jährigen, dessen Haaransatz schon ein bisschen höher gerutscht ist, Breiti zu sagen, auch wenn bunte Tattoos am Rand seines T-Shirt hervorblitzen. „Alles aus Liebe“ war meine allererste CD, die ich zusammen mit meinem Opa gekauft habe. Zu der CD gab es ein kostenloses T-Shirt, das ich mich nicht getraut habe anzunehmen, weil mein Opa dabei war, und das Shirt auf den ersten Blick etwas wild aussah.

Die Toten Hosen auf der Bühne

Kathrin Justen: Leider ist der Nachtclub „SklaD“ bei weitem nicht voll. Ich schätze, dass allerhöchstens 1.500 Leute den Weg in das „Lager“ gefunden haben. Dazu kommt, dass angeblich viele Jugendliche abgewiesen worden sind, da der Eintritt erst ab 18 ist. Das ist bitter für alle Schulklassen, die am Eingang stehen und richtig Lust auf deutschen Punkrock mitbringen. Deswegen gäbe es zwar genügend Platz auf der Tanzfläche, die Hosen-Fans drängen sich trotzdem in unmittelbarer Bühnennähe. Sobald die Band anfängt zu spielen, pogen die Ersten vor der Bühne wie wild los, springen in die Luft und gegeneinander.

Irgendwann werden zwei Security-Männer an der pogenden Masse platziert, es gibt jetzt den Teil direkt an der Bühne, wo wild und heftig abgefeiert wird und den gemäßigten Teil hinter der Security, in dem sich viele der kasachstanischen Besucher aufhalten, die mit Erstaunen auf die feiernden Leute und ihren exzessiven Tanzstil schauen. Ich stehe direkt an dieser Grenze, will tanzen und feiern, aber ganz vorne ist es mir auch zu heftig. Zumal ich nicht unbedingt Lust auf eine Bierdusche habe. Macht aber alles nichts, es ist ein tolles Konzert. Die Band hat es schon nach den ersten Akkorden geschafft, das Publikum für sich einzunehmen, und auch ich merke, wie mir nach und nach so einige Songtexte wie von selbst einfallen.

Julia Burkhart: Nach und nach tröpfeln die Besucher ins „SklaD“, die größte Disco Kasachstans. Verschiedener könnten sie nicht sein: Deutsche Geschäftsmänner und -frauen ab 40, die einheimische Jugend- und Punkszene, deutsche Studenten, die zufällig in der Stadt sind. Ob sie einen gemeinsamen Nenner finden werden? Die Vorband Motor-Roller bringt die lokalen Rockfans schon mal zum Beben. Berührt singen die jungen Almatiner die Rockballade „Von Bischkek nach Almaty“ lautstark mit. „Singt doch mal was Deutsches!“ ruft zwischendurch ein junger Deutscher, der mit seiner Körpergröße deutlich aus dem Publikum hervorragt. Das letzte Lied von Motor-Roller wenige Minuten später ist dann tatsächlich auf Deutsch, zumindest klingt es nicht Russisch. Ende der Vorband, die Stimmung ist gut. Warten. Die ersten verkrümeln sich schon wieder, der Rest wartet sehnsüchtig. Begrüßung, erster Song – und ich bin erstaunt: Die deutschen Altpunker schaffen es von Anfang an, das Publikum in ihren Bann zu bringen, auch wenn es nichts versteht. Die Punkfans vor der Bühne werfen sich in wildem Pogo-Wahn aufeinander, johlen, hüpfen, tanzen, die älteren deutschen Geschäftsmänner nehmen mal lieber Sicherheitsabstand und singen von weiter hinten „Hey, hier kommt Alex!“ mit. Ich auch.

Bei „Schön sein“ springe ich, sicher versteckt hinter dem Securitymann, rum und gröle, von mir selbst erstaunt, den kompletten Text mit.

Christine Karmann: Ich kenne keinen, der schon mal im „SklaD“ war. Das Stadtgebiet rund ums Fleischkombinat ist berüchtigt. „Hier läuft nachts alles ab, was nicht so gut ist,“, so ein Ortskenner. Irgendwie bin ich noch nicht in Stimmung. Doch dann kommen Die Toten Hosen auf die Bühne und ich entdecke den Seiteneingang. Von hier ist es kein Musikgenuss, aber man blickt hinter die Kulissen. Die Crew ist beschäftigt. Sie halten die Kästen vor der Bühne fest, wenn Campino auf sie springt. Sie reichen den Musikern Gitarren, Bierdosen, Handtücher und auch die Notenblätter mit Text für „Eisgekühlter Bommerlunder“ auf Polnisch. Mein Favorit aus der Punk-Choreografie ist das Rumpelstilzchen. Auf einem Bein hüpfen und sich dabei ganz schnell um sich selbst drehen. Bassist Andi machts vor und die Fotografin vor mir machts nach. Es ist das einzige Mal, dass der kasachische Security vor mir das Gesicht verzieht. Ich habe Spaß, und dann kommt auch noch „Alles aus Liebe“.

Was bleibt

Kathrin Justen: „Leg deinen Kopf auf meine Schulter, es ist schön ihn da zu spürn …“ – Ich krieg es nicht mehr aus dem Kopf. Seit die Punkrocker als vorletzte Zugabe Bonnie und Clyde gespielt haben, verfolgt mich der Refrain. Gibt schlechtere Ohrwürmer, schon klar. Und es übertönt das dumpfe Summen in meinen Ohren, das zusätzlich zum Ohrwurm als Nachwirkung des Konzertes übergeblieben ist. Ohropax wären sinnvoll gewesen, aber dann wäre das Erlebnis nicht so intensiv ausgefallen. War gut, dass ich da war, aber irgendwie ironisch: Da muss ich, die in Düsseldorf gewohnt hat und in der Nähe aufgewachsen ist, erst nach Almaty kommen, um die Jungs aus der Stadt am Rhein das erste Mal live zu erleben.

Julia Burkhart: Zum Schluss drei Zugaben, das Konzert wurde tatsächlich ein Kracher. Campino, die alte Rampensau, riss das Publikum mit. Wie in der Pressekonferenz versprochen, warfen Band und Publikum sich Energie hin und her. Und sich selber auch aufeinander drauf. Selbst Campino schmiss sich bierüberströmt auf die schwitzende Menge vor der Bühne – „Punk’s not dead“ und wird auch nie richtig alt. Vielleicht werde ich, zurück in Deutschland, ein zweites Mal die verstaubten CD’s meines Vaters aus der Schublade hervorkramen.

Christine Karmann: „Wir spielen auch gerne das 24. Mal in Stuttgart,“ hat Gitarrist Breiti vor dem Konzert gesagt. Die Frage war, wo sie unbedingt noch auftreten möchten. Aber die Frage war falsch gestellt. Es gibt kein Unbedingt mehr. „Vor 20 Jahren hat sich Bundeskanzler Kohl aufgeregt, dass wir Deutschland im Ausland vertreten sollen. Als mich Jahre später ein uniformierter Polizist nach einem Autogramm gefragt hat, habe ich gemerkt, dass sich was geändert hat“, so Campino. Die Toten Hosen sind etabliert. Sie repräsentieren Deutschland in Zentralasien. Haben Sie Almaty gerockt? Auf dem Heimweg sind sich alle einig. Das Konzert war gut und die Band freundlich, bodenständig, locker. Meiner Kollegin hat besonders der Körper von Campino gefallen. „Ich muss gleich mal googlen, wie alt der ist.“ 48 Jahre und fit. Er macht wohl auch seine Übungen.

Von Julia Burkhart, Kathrin Justen und Christine Karmann

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