Jörg Dauscher verbrachte einen Sommer auf dem flachen Land, auf einer Datscha mit deutschem Besitzer und wechselnden Bewohnern im Dorf K., um sich dem russischen Landleben anzunähern. Im Gespräch mit der DAZ erinnert er sich an seine eindrucksvollsten Erlebnisse, das Leben als Mitglied der Dorfgemeinschaft und die Gemeinsamkeiten zwischen der russischen und der deutschen Kultur.

/Bild: privat. ‚Jörg Dauscher: „Ich liebe die Möglichkeit, für längere Zeit aus Berlin zu verschwinden“.’/

Herr Dauscher, was hat Sie dazu bewogen, einen Sommer in einem russischen Dorf zu verbringen?

Es war keine Willensentscheidung, es war der Zufall und die Einladung eines Freundes. Ich liebe die Möglichkeit, für längere Zeit aus Berlin zu verschwinden und an einem anderen Ort eingebunden zu werden in das tägliche Leben. Hotels sind nichts für mich, in St. Petersburg lernt man, denke ich, auch nicht viel über das Leben im heutigen Russland. Als man mir vom Dorf K. erzählte und ein Foto zeigte, da dachte ich spontan: das ist Russland. Und da wollte ich dann auch hin. Unbedingt.

Und dann habe ich mehrfach die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, an einem Ort zu bleiben, anstatt Sightseeing zu betreiben. Es ist dann wie eine Reise in die Tiefe, anstatt sich in der Breite zu verlieren.

Mit welchen Zielen haben Sie die Reise angetreten?

Herauszufinden, wie es ist, wie es riecht, wie es läuft. Was die Menschen tun, wie sie sind, wie das Leben läuft in K. Und mir selbst an die Stelle meines großen Unwissens Russlands gegenüber einen gültigen Eindruck verschaffen, eine Erfahrung machen.

Zunächst hatte ich gar nicht vor zu schreiben, Ruhe wollte ich, Landluft, Weite. Mich ein wenig erden. Russland hat mich, ich habe das geschrieben, schweigsam gemacht, schweigsam in dem Sinne, dass die Stimmen im Kopf verstummen, die Sorgen versinken und angenehme Leere entsteht. In diese Leere hinein habe ich dann noch vor Ort angefangen zu schreiben, aufzuschreiben.

Wer oder was hat den größten Eindruck in dem Dorf auf Sie hinterlassen?

Während meines Aufenthalts haben wir – zusammen mit Mascha und Toscha – den Nachbarn (Galina und Nikolai) das Haus neu gestrichen. Das habe ich im Büchlein nicht erwähnt, es ist gewissermaßen privat. Da standen also in K. drei Deutsche und zwei Russen und strichen den zwei alten Dorfbewohnern das Haus: Dass das möglich ist, welch ein Geschenk! Europa fängt erst an zu entstehen…

Und natürlich die Natur, die gibt es ja kaum noch, zu Hause zwischen Umgehungsstraßen und Industrieparks. Und dort, im russischen Waldland, ahnt man auf einmal, was die deutschen Romantiker umtrieb…

Wie würden Sie in einigen Sätzen die Dorfgemeinschaft beschreiben?

Schwierig zu beantworten, weil mir, um die genauen Bezüge zu durchschauen, einfach die Sprachkenntnisse fehlten. Auch zerfällt die Dorfgemeinschaft in K. langsam, weil die Jungen und damit ein wichtiges Bindeglied zwischen den einzelnen Haushalten fehlt. Die Alten haben genug mit sich selbst, ihrem Tagwerk und ihren Arbeitsabläufen zu tun, so dass eigentlich kaum Kraft und Zeit bleiben, um im Alltag Verbindungen zu pflegen. Das bleibt dann dem Markttag oder größeren Festen überlassen. Von den Babuschkas habe ich ja geschrieben…

Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen und der russischen Kultur konnten Sie beobachten?

Manche Gemeinsamkeiten fand ich frappierend: Körperhaltungen, Mimik, Gestik der Westrussen schienen mir sich kaum von den Norddeutschen zu unterscheiden. Auch die Landschaft ist ja zwischen Brandenburg und dem Oblast Pskow nicht großartig unterschiedlich. Zudem ist eine prinzipielle anfängliche Zurückhaltung den beiden Kulturen gemeinsam.

Von den Deutschen heißt es ja immer wieder, sie seien distanziert. Ich denke, diese Distanz ist schlicht Respekt, so habe ich sie in Russland erfahren dürfen. Wir sind uns viel ähnlicher, als Sprachunterschiede und geographische Ausrichtung vermuten lassen…

Mit welchen Schwierigkeiten mussten Sie auf Ihrer Reise fertig werden?

In vielen Ländern kommt man mit ein paar Sätzen, mit Mimik und Gestik sehr weit. Das habe ich in Albanien kennen lernen dürfen. In Russland ist das anders, es wird nicht mit Händen und Füßen kommuniziert, sondern ausschließlich verbal. Mehrfach habe ich erlebt, wie das Gesagte einfach wiederholt wird, ganz so, als könnte ich es im dritten Anlauf doch noch verstehen…

Was wünschen Sie den Bewohnern des Dorfes für die Zukunft?

Einen erhobenen Kopf. Stolz auf das, was sie da leisten, wie sie leben. Mir war K. eine Idylle, wenngleich eine gefährdete und eine, die den Menschen ungeheuer viel abverlangt. Ich danke dafür, dass ich das erleben durfte.

Und: Ein paar Rückkehrer vielleicht. Zwei, drei junge Familien, die den Alten zur Hand gehen können, die von ihnen lernen wollen.

Die Fragen stellte Christine Karmann.

Jörg Dauscher wurde 1975 im fränkischen Weißenburg geboren und lebt in Berlin. Nach dem Studium der Literatur wandte er sich dem Reisen und dem Schreiben zu. Außerdem arbeitet Jörg Dauscher als Berater.

22/01/10

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