Auch in Fürth in Bayern gibt es eine große Gruppe Russlanddeutscher. Mehrere Vereine bemühen sich um die Integration der Minderheit und haben vielfältige Angebote im Programm, bei denen sich Leute verschiedener Nationalitäten treffen und näherkommen können.

David Krugmann ist seit 11 Jahren in Fürth zu Hause. Auch wenn er leicht kokettierend sagt, er „spreche nicht gut Deutsch”: Heute frage sich der in Weißrussland geborene Künstler schon des Öfteren: „Wie heißt denn das auf Russisch? Und manchmal hab ich im Kopf noch Chaos!”
Es herrscht eine eigenartige Stimmung beim Betreten des Gemeindesaals der Fürther Auferstehungskirche: „Kalinka” nennt sich die Kindertanzgruppe, die sich zwar auf Deutsch miteinander unterhält, aber in Uniformen auftritt, welche an die sowjetische U-Boot-Flotte erinnern. Wo ist die Heimat dieser Kinder: In Fürth oder St. Petersburg?

Balalaika heißt das Instrument, das Alexej Obuchow spielt: Traurige Weisen, aber auch Fröhliches lässt der Musiker erklingen, gekleidet in ein rotschwarzes Gewand: „Sowas hab ich doch schon mal beim Donkosakenchor gesehen, nicht?” Und wenn Obuchow spricht, ist anders als bei Krugmann sehr deutlich zu hören: Der Musiker stammt aus einer der ehemaligen Sowjet-Republiken.

Wie viele andere auch, die an diesem Abend der Einladung des „Vereins zur Förderung des interkulturellen Zusammenlebens in Fürth e.V.” (VIZ) sowie des „Evangelischen Bildungswerkes Fürth e.V.” (EBW) gefolgt sind, seien gut ein Drittel der Anwesenden Migranten, schätzt Dr. Stefan Koch, Dekanatsmitarbeiter und Moderator des Abends mit dem einfach klingenden Titel „In Russland geboren, zu Hause in Fürth.” Zumindest hier gehen Eingeborene und Zugereiste offen aufeinander zu, und auch die Ex-Russen sprechen viel miteinander.

Denn das Spektrum der Fürther Russland-Immigranten ist nicht so schmal, wie der Titel vermuten lässt: Weißrussen, Armenier, Aserbaidschaner sind darunter. Auffällige Gemeinsamkeit: Die Neu-Fürther sind oft recht alt. Gisela Blume, die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde der Kleeblattstadt (IKG) hat damit zu kämpfen. Zwar sei die Zahl der IKG-Betreuten nach dem Ende des 2. Weltkrieges ständig gestiegen, zurzeit auf über 500, speziell durch „Kohls Kontingentflüchtlinge seit den 80er Jahren.” Längst nicht alle Betreuten seien Juden, stellt Blume klar. Doch ob gläubig oder nicht: „Jüngere gehen weg von Fürth, Ältere bleiben hier.”

Kyrillisch-Übersetzungen für den Gottesdienst

Und die fühlten sich oft ausgegrenzt, weiß Blume: „Die Leute sagen: ´Dort waren wir Juden, hier sind wir oft Russen.´ Sie sind also überall Minderheiten.” Zwei Hauptprobleme sind laut der IKG-Vorsitzenden für die Isolation verantwortlich: Zum Einen „Sprache und Schrift”. Deshalb biete die IKG für ihre auf hebräisch zele-brierten Gottesdienste inzwischen kyrillische Übersetzungen an.

Und zum anderen „war in 60 Jahren Kommunismus Religion verpönt.” Die Menschen müssten sich erst wieder daran gewöhnen, dass es „in Deutschland gut möglich ist, als Jude zu leben; speziell in Fürth.” Hier sei die Bevölkerung sehr tolerant, wie man auch an „diesem Termin sehe: Auf Sonderwünsche eingehen” sei üblich in Fürth. Denn eigentlich laufe die „In … geboren”-Reihe immer am Samstag, dem für Juden heiligen Schabbat, lobt Gisela Blume die Veranstalter.

Auch Aussiedler aus Kasachstan leben in Fürth. „Dort gab es bis heute keine Perestroika. Da muss man vorsichtig sein, was man sagt. Wie übrigens in Deutschland auch”, versucht Gerald Schnell vom Internationalen Bund (IB) zu erklären, warum Migrantenkinder oft unter sich bleiben; weshalb sich beispielsweise „Türken und Russen” oft anmachen: „Eine Frage des Ehrbegriffs, der bei deutschen Jugendlichen nicht diese Rolle spielt”, erläutert Schnell, der selbst vor mehreren Jahrzehnten aus Rumänien nach Deutschland kam. „Es darf nicht sein, dass die beiden Außenseitergruppen sich kaputtmachen”, setzt Schnells IB auf Aufklärungsarbeit zwischen Migranten verschiedener Nationalitäten: Auch dazu solle die Reihe dienen, wie die Veranstalter bekennen. Die wird übrigens demnächst mit dem lange nicht so konfliktträchtigen „In Großbritannien geboren…” fortgesetzt.

Denn während Engländer sich mit ihrer Weltsprache leicht verständigen können, fällt dies Russen viel schwerer. Gerade „Väter lernen die deutsche Sprache als letzte”, weiß Ge-rald Schnell, weshalb die „Dominanz des Vaters abbricht.” Mädchen dagegen integrieren sich zuerst. Und Mädchen haben einen sehr starken Einfluss auf die Jungs”, setzt Schnell auf den Abbau der männlichen Minderwertigkeitskomplexe durch weibliche Zuwendung.

Mit „Angeboten, die für jeden offen sind” wie diese Kulturreihe hoffen VIZ und EBW, das Verständnis zwischen Einheimischen und Migranten zu verbessern, erklärt Stefan Koch. Meist erreichen die Veranstalter so weniger als 100 Menschen. Vielleicht würde es noch mehr zum gegenseitigen Verständnis von Russen und Fürthern beitragen, wenn Alexej Obuchow sein Lied vom Spaziergang am Newski-Prospekt, der Hauptstraße von St. Petersburg, mit seiner Balalaika auf der Fürther Freiheit spielen würde. Denn wie David Krugmann bekennt: „Ich will Kultur verstehen, sonst bleibe ich Exot”. Und zum Verstehen gehören bekanntlich immer zwei Seiten. (bildtext.de)

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Am Freitag, den 22. September, wird die gemeinsam von EBW und VIZ veranstaltete Migranten-Reihe fortgesetzt mit „Engländer in Fürth”. Der Verein für Interkulturelles Zusammenleben in Fürth (VIZ) gibt ein laufendes Veranstaltungsprogramm heraus, das auch versendet wird. Das Veranstaltungsprogramm des Evangelischen Bildungswerks Fürth (EBW) finden Sie im Internet: www.ebw-fuerth.de (WRA)

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Von Heinz Wraneschitz

14/07/06

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