Wie kommuniziert man mit Menschen, die man gar nicht kennt? Am besten über Musik oder Sport. In diesem Falle: Schach. Gerne auch via Internet. Im Internet Schach spielen ist fast so unpersönlich wie gegen einen Schachcomputer. Eigentlich. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass man weiß, dass am anderen Ende der Leitung ein wahrhaftiger Mensch mit eigener Persönlichkeit sitzt. So kann man indirekt mit Menschen zu tun haben, ohne direkt mit ihnen kommunizieren zu müssen.

Ein klitzekleines Chatfenster neben dem Schachbrett lädt zu einem klitzekleinen Austausch ein, wenn man denn eine persönliche Note in die Angelegenheit bringen will. Mal ein kurzer Kommentar hier oder da, mehr muss nicht sein. Gerade so viel, dass man erkennen kann, ob am anderen Ende der Leitung ein freundlicher oder hämischer Mensch sitzt. Aber am liebsten drückt sich der Schachspieler an sich durch seine Züge aus. Zwangsläufig. Denn während der Schachcomputer berechnend und berechenbar zieht, ist das Menschlein seinem Ego, seinen Eitelkeiten, Nöten und Wünschen ausgeliefert.

Trotz aller Berechnungen, einen Damentausch legt nur hin, wer auch starke Nerven hat. Ist man neugierig und hat keine Verlustangst, dann wagt man gern einmal unkonventionelle Schritte. Hat man einen schlechten Tag, eine schlechte Ehe oder ein komplett schlechtes Leben, mag das Spiel eher aggressiv und hinterlistig ausfallen. Menschen, die sich schlecht entscheiden können und Angst davor haben, dass jeder Schritt ein falscher sein könnte, kommen kaum zum Zug.

Ich selbst spiele einfach drauflos, nur nicht zu lange zögern und zaudern. Attacke und mal gucken, was passiert. Zuweilen aggressiv: Heda! und en garde! Und dann huch, ups und oh je! lässt das Touché selten lange auf sich warten und ich bin mal wieder in die Ecke gedrängt bzw. zum Krebsgang verurteilt, bevor die mühselige Einkesselung und Verfolgung mich schließlich von der Platte fegen.

Je nach Tagesstimmung, wenn die Hoffnung nicht totzukriegen ist, spiele ich auf ein Remis hin. In der Eh-alles-Scheiße-Stimmung gebe ich schleunigst auf und kehre dem Brett den Rücken, pah! Nun stoße ich im Internetportal auf so allerhand verschiedene Charaktere. Manche spielen tatsächlich so, wie sie sich nennen: Teufelsrochen und Kamikaze – gefährlich und angriffslustig.

Kamikaze lässt in der Tat seine stärkeren Figuren ohne Rückhalt nach vorne preschen. Mir gefällt der Stil. Kamikaze kann ich auch. Und setze ebenso. Eine tolle Dynamik. In Riesenschritten alle nach vorn. Und dann mal gucken, was sich ergibt. Teufelsrochen ist gefährlich und schleicht sich geschmeidig aber zielführend an, bevor er dann – haps! – meine Figuren verschlingt. Dabei ist er aber als Mensch nett und witzig, wie der Chat nebenbei verrät. Es tut ihm aufrichtig leid, wenn er mich meiner guten Figuren berauben muss. Da gibt man gleich gern seine Figuren her.

Biene Maja klingt nett und niedlich, hat es aber faustdick hinter den Ohren. Ich dagegen habe keine Chance und komme mir vor wie der träge, dumme, dicke Willy, den die Maja ständig retten muss. Aber im Schach rettet man sich nicht gegenseitig, also lassen wir es lieber. Auch Aum Shivaya ist ein friedliebender Zeitgenosse. Wie der Name schon sagt. Wenn ich ihn auch inzwischen nicht mehr für einen buddhistischen Mönch halte, der lächelnd und in Gelassenheit vor jedem Zug meditiert, bevor ihm eine Stimme den passenden Zug verrät.

Denn erstens sind Buddhisten am liebsten im Hier und Jetzt, und beim Schach muss man bekanntlich einige Züge im Voraus denken. Zweitens lassen sich Mönche wahrscheinlich gar nicht auf so Kriegsspiele wie Schach ein. Drittens hocken Buddhisten nicht Tag und Nacht vor dem PC, so wie Aum Shivaya. Und viertens hat mich Aum Shivaya mit einem fröhlichen „Ahoi!“ im Chat begrüßt. Jetzt bin ich gespannt auf Dr. Mumpf, dem ich eine gewisse Portion Humor zurechne.

Will ich mal eine grundsolide Partie spielen, wähle ich horst52. Bei horst52 ist sicherlich alles so, wie es klingt. Horst heißt Horst und hat noch nie einen Spitznamen getragen. Er ist 52 Jahre alt oder 52 geboren. Damit ist bei Horst mit Erfahrungen und Konventionen zu rechnen; ab und zu vielleicht ein paar kniffelige Seitenhiebe, die er Schachfachzeitschriften entnommen hat. Von horst52 kann ich sicherlich noch ganz viel Grundlagenschach lernen. Um mal mit einer Frau zu spielen, ich unterstelle, dass alle anderen genannten Kumpel Männer sind, trete ich nun gegen Ingrid an. Mal sehen, wie das so ist. Eines wird es jedenfalls nie: langweilig.

Julia Siebert

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