Für Hans Jürgen Keilholz war es eine der letzten Reisen in seiner Eigenschaft als Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Almaty.

/Bild: Ulrich Steffen Eck. ‚Eine ganz gewöhnliche sowjetische Stadt in der Steppe: Aktöbe, vom landenden Flugzeug aus gesehen, unterscheidet wenig von anderen Städten auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR. Das Bild am Boden ist differenzierter.’/

Ins nordwestkasachische Aktöbe begleiteten den Ende Juni aus dem Amt scheidenden Diplomaten einige Wirtschafts- und Medienvertreter sowie für den Bereich Bildung Eva Portius, die Leiterin des DAAD Informationszentrums an der Deutsch-Kasachischen Universität Almaty.

Aktöbe spielt in Kasachstan oben mit. In der nationalen Fußballliga – mit Juri Logwinenko kickt ein Sohn der Stadt sogar international – wie auch ökonomisch: Die im gleichnamigen Gebiet lagernden Bodenschätze wie Gold, Chrom, Eisenerz, Öl und Gas sind tragfähige Fundamente für die Prosperität der nach der letzten Zählung 289.179 Einwohner zählenden Stadt am Fluss Ilek. Auch einige fertigende Industriezweige wie Maschinenbau und Nahrungsmittelproduktion siedeln hier. Die Aktiengesellschaft „Aktjubrentgen“ fertigt Medizin- und Röntgentechnik, die in Kasachstan und darüber hinaus Anwender findet.

Aktöbe – zu deutsch „Weißer Hügel“ liegt im Nordwesten, nur etwa 80 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Den größten Bevölkerungsanteil stellen denn auch ethnische Russen.

Vom Hirsehelden zur Tagesordnung

Rosa Kemalowa ist die Stellvertreterin des Akims des Gebiets Aktöbe. Selbstbewusstsein spricht aus ihrer Erscheinung und Sätzen wie „Wir sind hier im entwickelten und wirtschaftlich starken Nordwesten.“ Dass Bertolt Brecht mit seinem später von Paul Dessau in Töne gesetzten Gedicht „Die Erziehung der Hirse“ dem aus dem Gebiet Aktöbe stammenden Agrarhelden Schyganak Bersijew ein Denkmal gesetzt hat, führt Kemalowa als Indiz für seit langem bestehende deutsch-kasachische Bindungen an. (Bersijew hatte in den zwanziger Jahren mit speziellen Anbaumethoden den Ertrag bei Hirse vervielfacht und während des 2. Weltkrieges den Weltrekord von 165 Zentner pro Hektar erreicht.) Bei derartigen Präliminarien hält man sich allerdings nicht allzulange auf. Das wirtschaftliche Potenzial sei noch nicht ausgeschöpft, sagt Kemalowa und meint damit deutsche Investitionen.

Gute Zusammenarbeit trotz geringer Nachfrage

Die staatliche Schubanow-Universität sei besonders stark in Mathematik und Naturwissenschaften, erklärt Prorektorin Saira Aiseipowa. In der Fremdsprachenabteilung studieren etwa 70 Studenten mit Englisch als erster und Deutsch als zweiter Fremdsprache. Die Nachfrage nach Deutsch sei derzeit gering. Nichtsdestotrotz böte man hier grundsätzlich Deutsch als erste Fremdsprache an, auch wenn das für die Universität Nachteile habe. Aiseipowa lobt die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und dem DAAD. Viele Lehrerinnen hätten die Möglichkeit zu Praktika in Deutschland genutzt.

Hans Jürgen Keilholz versucht eine Bresche für seine Muttersprache zu schlagen: Jeder Taxifahrer würde Englisch sprechen; Deutsch mache den Unterschied. Deutschland sei schließlich das stärkste Land der EU. „Alle Führungskräfte sprechen Deutsch. Wir wollen Qualität vor Quantität.“

Gleichzeitig lobt der Generalkonsul die verbreitete Kenntnis mehrerer Sprachen bei den Kasachen. Die sei faszinierend im Vergleich zu den anderen zentralasiatischen Ländern. Eva Portius weist darauf hin, dass ein Studieneinstieg in Deutschland auch über Englisch als Brücke erfolgen kann. Sprachkenntnisse stünden nicht im Vordergrund. Hans Jürgen Keilholz ergänzt: „Es geht nicht in erster Linie um Liebe zu Deutschland, die uns natürlich angenehm ist, sondern um Kooperation.“

Studieren kann man da und dort

Die Mittelschule Nummer 11 in Aktöbe gibt es seit Anfang der siebziger Jahre. Hier wird vertiefter Deutschunterricht angeboten. Mit Ralf Lellek ist nach etwa zweijähriger Pause auch wieder ein deutscher Muttersprachler – mittlerweile der dritte in Folge – im Lehrkörper vertreten. Der Delegationsbesuch wird mit der Vergabe der aktuell erlangten Deutschen Sprachdiplome (DSD) verknüpft. Insgesamt elf sind es in diesem Jahr.

Hier wird klar, dass Deutschland für viele junge Kasachen eben nicht die erste Wahl ist, wenn es um Studium oder Arbeit im Ausland geht. Keine der entsprechend befragten DSD-Diplomandinnen gibt Deutschland als Wunschstudienort an. England und Russland werden genannt – oder „Ich weiß nicht.“ „Was können wir gemeinsam für Deutsch in Kasachstan tun“, ist denn auch die Frage, die im Raum stehen bleibt, als die Delegation sich zum nächsten Programmpunkt begibt.

Selbsthilfe ist die beste Hilfe

Beim wiederum von Rosa Kemalowa moderierten Presseempfang im Gebäude des Gebietsakimats geht es konkret zu. Ein türkischer Unternehmer habe sich unlängst über die kasachische Bürokratie beschwert, erzählt ein Fernsehjournalist vom Telekanal „Astana“, und möchte wissen, wie deutsche Unternehmen in Kasachstan das sehen. „Gewöhnlich beschweren sich kasachische Firmen über die kasachische Bürokratie“, meint Hans Jürgen Keilholz; „aber die Regierung arbeitet daran, spätestens seit Massimow im Amt ist.“ Nicht ohne Grund seien im vergangenen Jahr die umstrittenen Kontrollen der Finanzbehörden ausgesetzt worden. Deutschland habe mit dem gut funktionierenden Deutschen Wirtschaftsklub (DWK) und der Delegation der Deutschen Wirtschaft zum probaten Mittel der Selbsthilfe gegriffen. Eine deutsche Konsultationsfirma verdiene sogar Geld, indem sie Unternehmen beim Hürdenlauf durch die Institutionen begleite. Der Wirtschaftsklub stünde im Übrigen seit dem vergangenen Jahr auch kasachischen Firmen offen.

Welche Garantien kasachische Firmen hätten, die mit deutschen Unternehmen Geschäfte machen, möchte ein Vertreter der örtlichen Handelskammer wissen. Ihm sei ein Fall bekannt, in dem ein kasachisches Unternehmen geschädigt worden sei, weil der deutsche Geschäftspartner seine Verpflichtungen nicht vertragsgemäß erfüllt habe. Derartige Probleme gebe es auf beiden Seiten, meint Keilholz und betont, dass die deutsche Wirtschaft nicht staatsgelenkt, sondern in eigener Verantwortung handeln würde. Eine Tradition des staatlichen Eingreifens gebe es in Deutschland nicht. Die Konsultation des DWK vor dem Eingehen einer Geschäftsbeziehung mit unbekannten Partnern sei ein möglicher Weg.

„Wiedergeburt“ nicht schmerzfrei

Der Chef der örtlichen Gebietsorganisation der Deutschen „Wiedergeburt“, Walter Lemmle, hat sich für seine Gäste etwas einfallen lassen. Es hat etwas Surrealistisches, wie er mit Hans Jürgen Keilholz und dessen Dolmetscherin Almagul Schakijewa an einem durch Theaterscheinwerfer erhellten Tisch auf einer ansonsten in Dunkel gehüllten Bühne sitzt.

Später wird hier oben der russlanddeutsche Chor „Veilchen“ einige Lieder in deutscher Sprache zum Besten geben. Die Sprache, in der Lemmle von der Bewahrung und Förderung von Sprachen Kultur und Brauchtum der Deutschen durch sein Zentrum erzählt, ist Russisch.
Besonders Visa- und andere Reiseangelegenheiten scheinen den anwesenden Gästen unter den Nägeln zu brennen. „Warum werden die Visaanträge nicht mehr vor Ort von der „Wiedergeburt“ erledigt?“ „Weil es zu viele Ungereimtheiten gab – oder deutlicher: zuviel Betrug“, sagt Andreas Schorle, Leiter der Konsularabteilung des Generalkonsulats Almaty. Erleichterung schaffen wird voraussichtlich ein Honorarkonsulat in Atyrau. Derzeit müssen Visa in Almaty beschafft werden.

Eine ältere Dame fragt nach bundesdeutschen Umsiedlungsprogrammen für in Kasachstan lebende Deutsche nach Russland. Hans Jürgen Keilholz lässt der verneinenden Antwort die kurze Anekdote von einem einst von Kasachstan nach Russland ausgereisten Deutschen folgen: Dieser hätte sich beschwert, dass er dort die öffentlichen Verkehrsmittel als ehemaliger Trudarmist nicht kostenlos nutzen könne. Wären Sie in Kasachstan geblieben, könnten Sie das weiter tun, habe ihm Keilholz damals geantwortet.

Als „frommen Wunsch“ bezeichnet der Generalkonsul Walter Lemmles These, mehr Deutsche wären vor Ort geblieben, wären ihnen bessere Bedingungen geboten worden. Aus der Ukraine seien „die Leute wie blind weggelaufen, trotz der Millionen, die dort in Fabriken und Bäckereien gesteckt wurden“.

Nagelneu und riesengroß

Die im vergangenen Jahr fertig gestellte zentrale Moschee des Gebietes Aktöbe basiert auf einem Projekt des tatarischen Architekten Aiwar Sattarow, zu dessen Referenzen die Mitarbeit an der Kasaner Kul-Scharif-Moschee zählt. Die zweitgrößte Moschee Kasachstans bietet regulär 1.000 männlichen und 500 weiblichen Gläubigen Platz. An Feiertagen sollen gar bis zu 4.000 Menschen hineinpassen. Interessantes Detail: Der 7 Meter hohe Kronleuchter wurde in Böhmen gefertigt.

Hier, in Sichtweite einer ebenfalls noch brandneuen orthodoxen Kirche, endet die Botschaftsreise – quasi auf den Spuren von Dmitri Medwedjew und Nursultan Nasarbajew, die dem Neubau erst im Dezember 2008 ihre Aufwartung gemacht hatten.

Von Ulrich Steffen Eck

19/06/09

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