Eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, stellt derzeit viele Länder vor Herausforderungen. Zehn Tage lang schauen sich Studierende der Sonderpädagogik aus Deutschland das kasachstanische System an. Ein Lokalaugenschein an der Sonderschule Nr. 2 in Almaty.

Wie funktioniert Inklusion in Kasachstan? Dieser Frage gehen Exkursionsteilnehmer der Universität Rostock unter der Leitung von Katja Koch derzeit in dem zentralasiatischen Land nach. Zehn Tage verbringen Studierende und Dozenten der Sonderpädagogik hierfür in Almaty, besuchen verschiedene Förderschulen, lokale Nichtregierungsorganisationen und treffen sich mit Studierenden der Abai-Universität und der Deutsch-Kasachischen Universität.

Für Mitorganisator Stephan Kehl, der selbst zwei Jahre in Karaganda Deutsch unterrichtet hat und über Exklusionsrisiken von Menschen mit Behinderung in Kasachstan und Usbekistan und deren Unterstützungsmöglichkeiten promoviert, ist es wichtig, dass die Studierenden auf dieser Reise neue Perspektiven erhalten.

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„Durch den Einblick in ein anderes System der Sonderpädagogik möchte ich, dass sie sich Fragen stellen, die in ihrem gewohnten Studien– und Arbeitskontext in Deutschland nicht aufkommen würden. Es ist wichtig, dass sie das deutsche System nicht als selbstverständlich nehmen, sondern Bekanntes hinterfragen“, erklärt er.

Inklusion in Kasachstan

Kasachstan, wo der Wandel vom sowjetischen System hin zu einem modernen inklusiven System in vollem Gange ist, bietet hierbei ein spannendes Forschungsumfeld. Waren Kinder mit besonderen Bedürfnissen und Behinderungen im gesellschaftlichen Leben der Sowjetunion isoliert, wird heute von staatlicher Seite versucht, sie zu integrieren und zu fördern. Gesetzlich vorgesehen ist, dass an regulären Schulen pro Schulklasse bis zu zwei Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf integriert werden können.

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Dennoch wird der Begriff Inklusion in Kasachstan anders ausgelegt als in Deutschland. Während es in der Bundesrepublik das Ziel ist, alle Kinder – egal ob mit oder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf – in einer Klasse gemeinsam zu unterrichten, können in Kasachstan förderbedürftige Kinder auch dauerhaft zuhause unterrichtet werden. Das heißt, eine Schule gilt selbst dann als inklusiv, wenn Kinder mit besonderen Bedürfnissen gar nicht in die Schule gehen, sondern die Lehrer zu ihnen nach Hause kommen.

Modellschule in Almaty

Obwohl sich der Inklusionscharakter in allen Schulen widerspiegeln soll, gibt es auch spezielle Sonderschulen. Eine von ihnen ist die staatliche Sonderschule Nr. 2 in Almaty, die den Bedürfnissen von Kindern mit Cerebralparese gerecht werden möchte. Cerebralparese ist eine durch eine frühkindliche Hirnschädigung hervorgerufene Bewegungsstörung. Der Schweregrad der Beeinträchtigungen ist individuell. Dementsprechend ist auch das Lehrangebot ausgerichtet, das sich generell jedoch am landesweiten Lehrplan orientiert, um den Übergang in den Beruf oder die Universität nach der zehnten Klasse zu ermöglichen.

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Drei unterschiedliche Curricula werden angeboten: ein Curriculum für rein körperbehinderte Kinder ohne Lernschwierigkeiten, ein zweites für Kinder mit Lernbehinderung und ein drittes für Kinder mit geringeren intellektuellen Fähigkeiten. „Die genaue Übersetzung der russischen Diagnosen in deutsche Kategorien ist allerdings schwierig“, bemerkt Stephan Kehl.

Trotz der Fokussierung auf körperbehinderte Kinder werden an der Sonderschule Nr. 2 gerade einmal 191 Kinder vor Ort unterrichtet, da das Gebäude selbst nicht barrierefrei ist. 233 Kinder werden zuhause unterrichtet. Neben dem normalen Unterricht helfen Angebote wie Nähen, Filzen und Töpfern, aber auch das sportliche Angebot der Schule den Kindern gezielt dabei, ihre motorischen Fähigkeiten und ihr räumliches Vorstellungsvermögen zu stärken. Ergänzt wird dies durch verschiedene aufeinander abgestimmte Therapiemaßnahmen.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

„Eine Gesellschaft, in die jedes Individuum ohne Wenn und Aber mit seinen Bedürfnissen einbezogen werden soll, braucht es in Kasachstan eine Weiterentwicklung des bisherigen Systems und vor allem auch der Mentalität der Gesellschaft“, sagt eine Expertin, die zum Thema inklusive Gesellschaft arbeitet. Die Inklusion förderbedürftiger Kinder in den regulären Schulalltag müsse ein langfristiges Ziel sein.

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Bisher gebe es, ihrer Meinung nach, noch zu viele Hindernisse, vor allem in größeren Städten. In kleineren Städten hingegen findet eine „zufällige Inklusion“ schon länger statt, „da die Distanzen in Kasachstan den Besuch einer speziellen Förderschule nicht möglich machen. Kinder mit besonderen Bedürfnissen besuchen reguläre Klassen und das Miteinander hat zur positiven Entwicklung aller Kinder beigetragen“.

Die deutschen Studierenden der Sonderpädagogik sind vom Modellcharakter der Sonderschule Nr. 2 überrascht. „Ich bin beeindruckt, wie strukturiert und gut ausgestattet die Schule ist. Allerdings frage ich mich, inwieweit das auch auf andere Schulen zutrifft“, meint eine Studierende nach dem Besuch. Sie würde gerne sehen, wie es in anderen Einrichtungen aussieht.

Sabine Hoscislawski

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