Das Jahr 2015 stand ganz im Zeichen der Gedenkfeier „70 Jahre Sieg über den Nationalsozialismus“: Zeitzeugen erinnerten sich an die entsetzliche Zeit vom 22. Juni 1941 bis 9. Mai 1945, in der die Sowjetunion um Leben und Tod gegen die Nationalsozialisten kämpfte. Seite an Seite mit anderen sowjetischen Nationalitäten haben die Sowjetdeutschen alles für den Sieg gegeben – sowohl an der Front als auch im Hinterland.

Vor allem im Vorfeld von runden Gedenktagen wie der des Jahres 2015 kommt stets die Frage auf, ob es denn berechtigt sei, in hohen Tönen über den Beitrag der Sowjetdeutschen zum Sieg über die Nationalsozialisten zu sprechen. Eines darf dabei nie vergessen werden: Während der Angriff der Nazis auf die UdSSR selbstverständlich für alle Nationalitäten der Sowjetunion verheerend war, litten die Sowjetdeutschen besonders stark unter dem Krieg, denn sie wurden doch als „mitschuldig“ angesehen.

Am 28. August 1942 setzte das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR mit einem entsprechenden Erlass die Zwangsdeportation der in der Wolga-Region lebenden Sowjetdeutschen fest. Die gesamte deutsche Bevölkerung, die in den Wolga-Region ansässig war, wurde somit in andere Gebiete umgesiedelt, während sämtliche Kriegsoffiziere von der Front abgezogen wurden, um ihren Arbeitsdienst im Hinterland abzuleisten.

Die Sowjetdeutschen, ihre Teilnahme am Großen Vaterländischen Krieg sowie ihr Beitrag zum Sieg über die Nationalsozialisten sind auch heute noch kaum thematisierte Aspekte der sowjetischen Geschichte. Daher möchte ich nun die Initiative ergreifen und über historische Fakten in Verbindung mit den Sowjetdeutschen sowie über deren heldenhaften Taten im Großen Vaterländischen Krieg berichten.

Zu Beginn des Krieges wurden kaum Anläufe unternommen, Sowjetdeutsche in die Armee einzuberufen. Diejenigen, die mobilisiert wurden, waren ausschließlich Parteimitglieder. Mitte 1941 rekrutierte das Autonome Regionalkomitee der Wolgadeutschen auf Befehl Moskaus 50 Sowjetdeutsche für die Armee, von denen ausnahmslos alle Mitglieder der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) waren.

Dennoch befanden sich zu der Zeit Sowjetdeutsche an der Front, die bereits vor Kriegsbeginn in den Wehrdienst einberufen worden waren. Anfang 1941 waren das mehr als 33.000. Und auch wenn bereits im September 1941 mit dem Abzug der Sowjetdeutschen von der Front begonnen wurde, waren sie dennoch in den schwierigsten Kriegsmonaten – Sommer und Herbst 1941 – aktiv am Krieg beteiligt und konnten ihren Patriotismus, ihren Mut und ihre Tapferkeit sowie ihr militärisches Können unter Beweis stellen.

Das erste Bollwerk der Verteidigung, auf das die Nazis auf ihrem Feldzug trafen, war die Festung Brest, die unter anderem von unzähligen Sowjetdeutschen verteidigt wurde. Darunter waren der Kommandeur des Regiments Major A. Dulkait, der Oberstleutnant des Sanitätsdiensts E. Kroll, der Regimentsarzt W. Weber, der Oberstleutnant G.Schmidt, der Oberleutnant A.Wagenleitner, der Hauptfeldwebel des Fernmeldedienstes W.Maier, die Soldaten der Roten Armee A.Herzog, A.Herman, G.Röling, G.Killing, E.Miller und viele weitere. Ihre Heldentaten sind im dokumentarischen Buch von Sergei Smirnow „Sturm auf Festung Brest“ festgehalten.

Bereits am 26. Juni 1941, dem vierten Kriegstag, wurde eine solche Heldentat von der Besatzung der Bombenflieger vollbracht, dessen Flugzeugführer Hauptmann Nikolai Franzewitsch Gastello – ein Moskauer Sowjetdeutscher – war. Während des Kampfes wurde das Flugzeug der Besatzung von einem feindlichen Geschoss getroffen und fing Feuer. Als die Besatzung erkannte, dass das Feuer nicht einzudämmen war, lenkte sie das brennende Flugzeug direkt in die Panzerkolonne der deutschen Truppen. Nikolai Gastello wurde daraufhin posthum – als einem der ersten Soldaten – der Ehrentitel „Held der Sowjetunion“ verliehen.

Nach offiziellen Angaben wurde insgesamt zehn Sowjetdeutschen der Titel „Held der Sowjetunion“ verliehen – Nikolai Franzewitsch Gastello, Generalmajor Sergei Sergejewitsch Wolkenstein, Woldemar Karlowitsch Wenzel, den Kommandeuren der Partisanenbrigaden Aleksandr German und Robert Klein, Eduard Erdman, dem Kommandeur des ersten Garde Fliegerregiments der Baltischen Flotte, Oberleutnant Erik Goptner, den Soldaten des Aufklärungsdienstes Richard Sorge und Rudolf Abel sowie dem Generalmajor der Landstreitkräfte Nikolai Ochman.

Eine hohe Stellung während der Kriegsjahre hatte der General der Luftwaffe Aleksander Wladimirowitsch Bormann (1902-1982) inne, der nicht nur ein hervorragend ausgebildeter Pilot war, sondern auch als Vertreter des Kommandeurs der Flugabwehr an der Front tätig war. Des Weiteren war er der Kommandeur der Luftwaffe an der Südwest-Front und nahm an der Schlacht von Stalingrad, an der Nordkaukasischen Operation sowie an den Schlachten um Budapest, Wien und Prag teil.

Die Sowjetdeutschen fanden unterschiedliche Wege, um trotz offiziellen Verbots an die Front zu gelangen: Viele änderten auf illegale Weise ihren Familiennamen oder machten falsche Angaben über ihre Volkszugehörigkeit. Nur wenigen von ihnen gelang es nach dem Ende des Krieges, ungestraft wieder ihre tatsächlichen Familien-, Vaters– und Vornamen zurückzuerlangen. Der Schriftsteller Konstantin Simonow erzählt in seinem Roman „Man wird nicht als Soldat geboren“ von einer solchen – wahren – Geschichte:

Es geht um den Wolgadeutschen Hoffmann, der trotz ausdrücklichen Verbots des Obersten Kommandos in seinem Regiment blieb, sogar in der Aufklärungskompanie tätig war und drei Tapferkeitsmedaillen erhielt.

Garde-Leutnant Natalia Fjodorowna Meklin (Krawzowa)

Garde-Leutnant Natalia Meklin (Krawzowa) (1922-2005) war eine Pilotin des 46. Nachtbombergarderegiments der 325. Nachtbomberdivision beim Einsatz an der Zweiten Weißrussischen Front. Vom Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR wurden ihr am 23. Februar 1945 der Ehrentitel „Held der Sowjetunion“ sowie der Lenin-Orden und die Medaille „Goldener Stern“ verliehen für ihre Tapferkeit, die sie im Kampf gegen den Feind bewiesen hat. Natalia Meklin wurde am 8. September 1922 in der Stadt Lubny im zentralukrainischen Bezirk Poltawa in einer Arbeiterfamilie geboren und wuchs in Charkow und Kiew auf.

In der Schule begeisterte sie sich für Gymnastik und Segelflug und belegte mehrmals den ersten Platz bei den Staatsmeisterschaften im Kleinkaliber– und Pistolenschießen.

1940 beendete sie die Mittelschule sowie die Lehre im Aero-Klub mit Auszeichnung ab, und wurde bald darauf Studentin am Moskauer Staatlichen Luftfahrtinstitut.

Ab Oktober 1941 war sie in den Reihen der Roten Armee. Anfang Oktober 1941 wurde bekanntgegeben, dass die berühmte Pilotin und Heldin der Sowjetunion Marina Raskowa Frauen für die Aufstellung eines Luftwaffenregiments rekrutierte. Natalia wurde ausgewählt.
Fast zwei Wochen verbrachte Natalia daraufhin mit anderen rekrutierten Frauen an der Militärakademie für Ingenieure der Luftstreitkräfte „Prof. N. J. Schukowski“: Sie fassten Uniformen, wurden in Gruppen aufgeteilt und am 16. Oktober – die Deutschen waren bereits knapp vor Moskau – per Güterzug nach Engels auf die Pilotenschule geschickt.

Nach sieben Monaten harter Ausbildung und unzähligen Trainingsflügen an der Militärtechnischen Schule der Luftstreitkräfte flogen die Pilotinnen dreier weiblicher Fliegerregimente – des Jagdfliegerregiments, des Sturzbomberregiments sowie des Nachtbomberregiments – an die Front. Die drei Regimenter waren während des gesamten Krieges im Einsatz, jedoch waren die Nachtbomber das einzige der weiblichen Regimenter, das dauernd unter dem Kommando der erfahrenen Zivilluftfahrtpilotin Jewdokija Berschanskaja operierte.

Das Einsatzgebiet des Nachtbomberregiments erstreckte sich ganze drei Jahre lang vom Terek bis nach Berlin. Die Pilotinnen bombardierten die Deutschen im Vorkaukasus, am Kuban, auf den Halbinseln Taman und Krim, in Weißrussland, Polen und Deutschland. Sie flogen nachts mit langsamen Leichtfliegern Po-2 und zerstörten unzählige Brücken, MG-Nester, Soldatengruppen, Flugzeuge und vieles mehr. Das Regiment fügte dem Feind hohe Verluste zu, weshalb die Deutschen die Pilotinnen „Nachthexen“ nannten.

Das Regiment selbst musste allerdings ebenso viele Verluste erleiden: Insgesamt verlor es 31 Pilotinnen, von denen fünf posthum den Titel „Held der Sowjetunion“ erhielten. Natalia Fjodorowna war Verfasserin der Hymne „Gwardejskij Marsch“ („Gardistenmarsch“) und die Fahnenträgerin des Regiments. Insgesamt schloss sie über die gesamte Kriegsdauer 982 erfolgreiche Flugeinsätze ab.

Nach dem Krieg absolvierte Natalia Meklin das Militärinstitut für Fremdsprachen (1948 bis 1953), arbeitete als Dolmetscherin in der Informationsabteilung der Hauptverwaltung beim Generalstab der Sowjetarmee und war anschließend bei einem Verlag, der sich auf Kriegsliteratur spezialisierte, als Redakteurin und Übersetzerin tätig.

1957 zog sie sich zurück und lebte bis zu ihrem Tod in Moskau. Sie war Ehrenbürgerin der polnischen Stadt Danzig (polnisch: Gdansk) und wurde mit unzähligen Auszeichnungen geehrt: dem Lenin-Orden, dem dreifachen Rotbannerorden, dem Orden des Vaterländischen Krieges erster und zweiter Klasse sowie dem Orden „Roter Stern“. Darüber hinaus erhielt sie den sowjetischen Orden „Ehrenzeichen“ und zwölf Medaillen. Nach ihrem Namen sind Schulen in den Städten Sewerodwinsk, Smolensk, Poltawa und Stawropol benannt. Im Jahr 1972 wurde sie Mitglied des Schriftstellerverbands der UdSSR.

An dieser Stelle wären die Namen unzähliger weiterer Persönlichkeiten erwähnenswert, die an der Seite von Natalia Meklin gekämpft und zum Sieg über die Nationalsozialisten beigetragen haben. Ich werde aber nur noch ber eine weiteresbemerkenswerte weibliche Nachtbomberin berichten:

Gardekapitänin Maria Iwanowna Runt

Gardekapitänin Maria Runt (1912-1992) war Parteiverbindungsoffizier des 46. Nachtbomberregiments der 325. Nachtbomberdivision. Sie wurde am 7. Februar 1912 in Samara geboren. Nach ihrem Schulabschluss 1929 studierte sie am Pädagogischen Institut Samara und unterrichtete anschließend fünf Jahre lang. Ab 1937 leitete sie eine Komsomol-Jugendorganisation an.

Ihre Teilnahme am Großen Vaterländischen Krieg begann im Februar 1942, als sie Parteiverbindungsoffizier des 46. Tamaner Gardefliegerregiments wurde. Sie begleitete das erfolgreiche Regiment bei sämtlichen Kriegseinsätzen von den Steppen zwischen der Wolga und dem Don über Polen bis nach Deutschland. 250 Soldaten des Regiments wurden mit Orden und Medaillen ausgezeichnet, was nicht zuletzt der Verdienst von Maria Runt war.

Bis Kriegsende war Maria Runt zum Gardekapitän aufgestiegen, ihr wurden der Rotbannerorden, die Orden „Roter Stern“, des Vaterländischen Krieges erster und zweiter Klasse und über 20 Tapferkeitsmedaillen verliehen – darunter die Medaillen „Für die Verteidigung des Kaukasus“, „Für die Befreiung von Warschau“ und „Für den Sieg über Deutschland“.

Als ständiger Parteiverbindungsoffizier blieb sie auch nach dem Krieg eine bedeutende Verbindungsperson für ihre Kriegskameraden. Außerdem war sie politisch unter Jugendlichen aktiv und wurde ein Mitglied des Komitees der Sowjetfrauen. Mehrfach wurde sie zur Abgeordneten der Stadt Samara gewählt. Dort stand sie deren Einwohnern oftmals bei schwierigen Entscheidungen zur Seite.

Nach dem Krieg nahm sie ihre Tätigkeit im Bereich der Pädagogik wieder auf, wurde Kandidat der philologischen Wissenschaften (1960) und arbeitete anschließend 26 Jahre als Dozentin für russische und fremdsprachige Literatur, wobei sie unzählige Arbeiten über das Schaffen russischer Schriftsteller verfasste.

Ihre letzten Lebensjahre widmete sie dem Verein weiblicher Kriegsveteranen sowie der Veteranen des Afghanistan-Krieges. Auf ihre Initiative hin konnten außerdem die notwendigen Mittel zur Errichtung des Denkmales „Heldin der Sowjetunion“ für Olga Sanfirowaja aufgetrieben werden – eine Kriegskameradin von Runt.

Runt starb im April 1992. Nach ihr wurde die 105. Schule im Stadtkreis Samara benannt. […]

Die Fortsetzung dieses Beitrags lesen Sie in den nachfolgenden Ausgaben.

Swetlana Jasowskaja Übersetzung: Sabrina Kaschowitz

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