In Kasachstan gilt es als cool, wenn man CDs von russischen Rockbands wie „Leningrad“ oder „Nautilus“ im Regal stehen hat. Genauso stehen aber auch kasachische Bands, böse Rapper wie 50Cent und neue Band-Formate aus der „Fabrika“ der Schlagersängerin Alla Pugatschowa hoch im Kurs

Morgens, halb zehn in Almaty: In der Marschrutka, einem Kleinbus, dröhnt „Moskau, Moskau“ von Dschingis Khan, direkt danach kommt ein Song von dem Jamaikaner Sean Paul. Nur eine Fahrt mit den öffentlichen Verkehrmitteln, und man hat eines begriffen: Die Musik in Almaty und Kasachstan ist ein exotisches, nur schwer definierbares Gemisch.

In Almaty gibt es alles, was das Musikerherz begehrt. Alte Rockclubs und solche für Beatles-Fans, riesige neue Tanzpaläste, auch Diskos genannt, Popmusik in den Einkaufszentren und auf den Straßen. Junge Leute sieht man selten ohne Kopfhörer im Ohr, der MP3-Player oder CD-Player ist immer dabei.

Natürlich hört man immer dieselben Songs aus dem Radio und man sieht dieselben Videos, egal um welche Zeit man die zwei Musikkanäle anmacht, die es in Almaty gibt. Aber auf den Straßen der Stadt laufen viele Punks, Hip-Hop-Fans und Rockanhänger, so dass man versteht, dass Fernsehen und Radio allein nicht das wahre Almaty wiedergeben. Auch die düstere Stilrichtung Glamrock, im Volksmund als Gruftiemusik bekannt, tritt auf den Straßen ans Tageslicht.

Was hören die jungen Menschen und die Junggebliebenen? Früher konnte man getrost sagen, die meisten Menschen hören Pop und wenig Rock. Vor zehn Jahren war die Musik seicht und sehr poppig. Heutzutage ist die Musik sehr viel abwechslungsreicher. Es sind schräge Bands, und zunehmend wird auch die Rockmusik immer mehr aus den Kellern gehoben. Stilrichtungen wie Grunge („Nirvana“), Hardrock („Metallica“) oder Glamrock („Evanesence“) finden ihre Fans und wachsen immer weiter. Es gilt als cool, wenn man CDs von russischen Rockbands wie „Leningrad“ oder „Nautilus“ im Regal stehen hat. „Sie sprechen mir aus der Seele“, hört man dann auf die Frage, wieso die jungen Menschen diese Bands hören.

Das Fernsehen übersieht diese Vielfalt, denn die zwei Musikkanäle „Muz-TV“ und „Hit-TV“ haben anscheinend nur etwa 20 Videos im Repertoire. So sieht man das fröhliche Video von Shanna Friske mit dem vielsagenden Titel „La-la-la“ etwa 50mal am Tag oder R´n´B-angehauchte „Platschut nebessa“ von Banda mit einer hohen Wahrscheinlichkeit an die 30mal. Dafür kann es schon mal vorkommen, dass nacheinander eine kasachische Band wie „N-N-Bek“, Phil Collins aus der Zeit, als er noch Haare hatte, und der böse Rapper 50Cent gespielt werden. Bunter geht es kaum. Diese brutale Stil-Mischung erweckt das Gefühl, dass nicht die Zuschauer für die Videos abstimmen, sondern dass der Redakteur seine persönliche Plattensammlung zur Verfügung gestellt hat.

Hauptsächlich wird im Fernsehen Partymusik gespielt, abgewechselt von herzzerreißenden Chansons. Musik aus Europa und Amerika ist im Fernsehen auch vertreten, aber sie stellt klar eine Minderheit dar.

In Kasachstan gibt es ebenfalls ein Pendant zu Dieter Bohlen und den Popstars-Shows in Deutschland und Europa: Alla Pugatschowa. Die Dame selbst ist die bekannteste Sängerin und ein gefeierter Star in Russland und Zentralasien. Heutzutage sucht sie neue Talente aus den Dörfern der GUS-Staaten zusammen und trimmt sie auf Superstars. So entstehen neue Gruppen am laufenden Band. Das Ganze nennt sich passend „Fabrika“ und hat mittlerweile fünf Staffeln hervorgebracht.

Viele Sänger und Sängerinnen sind seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, aktiv. Die meisten Namen von den Interpreten sind gleichermaßen Eltern wie Kindern ein Begriff. Das ist in Europa und den USA keineswegs der Fall. So etwas wie musikalische Eintagsfliegen scheint es in Kasachstan nicht zu geben.

Die Menschen, vor allem junge Mädchen, interessieren sich sehr für Musik und Celebrities. Eine Orientierung an den amerikanischen Popstars, wie sie in Deutschland verbreitet ist, ist auch in Kasachstan deutlich zu spüren. Kleidung und Kosmetik der US-Stars werden werbeträchtig in glänzenden Zeitschriften und auf Plakatwänden präsentiert. Die Jungs und Mädels singen die Songs nach, auch wenn sie die englische Sprache oft nicht verstehen.

Doch bei allem Neuen bleibt die alte Zeit nicht vergessen. Songs aus der Zeit, als die Sowjetunion noch bestand oder langsam zerbröselte, hört man überall. Sänger, die schon tot sind (Viktor Zoj, Igor Talkow), werden auf den Basaren, in den Diskos und zu Hause gespielt. Eine Retrowelle erfasst das Land, ob es aus Nostalgie ist oder gerade weil die Lieder so schön peinlich sind wie zum Beispiel „Belyje Rosy“ von Laskowy Mai.

Zu der englischen und russischen Musik kommt in dieser Region der Welt noch die kasachische dazu. Die kasachischen Bands und Interpreten singen und komponieren Popsongs, Rockmusik, Jazz, Schlager, ja sogar Glamrock auf Kasachisch gibt es bereits. Kulturelle Mischungen wie die Gruppe „A-Studio“, die bereits seit Jahrzehnten aktiv ist, sprechen beide kasachische und russische Musikliebhaber an. Die Mitglieder sind Kasachen und sie singen auf Russisch, dazu spielen sie kasachische und etwas spanisch angehauchte Musik.

Also kann man die junge Musikkultur in Kasachstan getrost mit der Fahrt in Marschrutkas vergleichen: überraschend anders und unglaublich bunt, aber sehr gut.

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia