Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat den Weg für Studiengebühren frei gemacht. Doch eine schnelle Durchsetzung könnte dem Bildungsstandort Deutschland mehr schaden als nützen

Mitunter haben auch Wissenschaftsministerinnen schlechte Tage. Mittwoch, der 26. Januar 2005, wird der deutschen Bundeswissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn allerdings als besonders schlechter Tag in Erinnerung bleiben – als der Tag, an dem das Bundesverfassungsgericht ihr bundesweites Verbot eines gebührenpflichtigen Erststudiums beerdigte. Das Urteil sei ein „Sieg auf der ganzen Linie“ frohlockte der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber.

Formal hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil lediglich darüber entschieden, dass Bulmahn als Bundesministerin nicht das Recht hatte, Studiengebühren zu verbieten. Inhaltlich wird die Entscheidung die deutschen Hochschulen wohl so stark verändern wie keine Reform zuvor. Mehrere CDU-regierte Bundesländer haben bereits angekündigt, schnellstmöglich Studiengebühren einzuführen. Geht es nach Bayerns Wissenschaftsminister Thomas Goppel, werden die Studenten an den Hochschulen des Freistaats schon ab Herbst „maximal 500 Euro“ pro Semester berappen müssen. Auch Hamburg, Niedersachsen, das Saarland, Hessen und Baden-Württemberg wollen bald nachziehen. Insgesamt werden rund 718 Tausend Studenten betroffen sein. Experten rechnen mit Mehreinnahmen von 600 bis 700 Millionen Euro für die Länder.

Ob das Urteil als schwarzer Tag oder als Sternstunde in die deutsche Hochschulgeschichte eingehen wird, ist noch ungewiss. Dass Bewegung Not tut, ist jedoch unumstritten. Überfüllte Hörsäle, miserabel ausgestattete Bibliotheken, Personalmangel – die deutschen Unis leiden an ihrer Finanzmisere, aber auch an der kontinuierlichen Selbstblockade ihrer Verwaltung. Wo Professoren sich mehr für die Pflege ihres wissenschaftlichen Rufes interessieren, und die studentische Vertretung so manches Mal in ideologischen Grabenkämpfen von gestern oder schlichtem Desinteresse versinkt, bleibt wenig Raum für Verbesserung.

Studiengebühren, so hoffen deren Verfechter, könnten die verkrusteten Strukturen aufbrechen und deutsche Hochschulen zu neuer Blüte bringen. Vor allem Baden-Württemberg versuchte hier in der Vergangenheit immer wieder den Durchbruch. Die Lösungen, Einschreibe- und Strafgebühr für Bummelstudenten waren jedoch mehr als halbseiden, zumal sie nicht den Universitäten zugute kamen, sondern im Landeshaushalt versickerten. Die Legitimation der Gebühren bei den Studenten förderte das nicht gerade.

„Wir werden mit den Gebühren die Studienbedingungen an unseren Hochschulen verbessern, so dass Studenten eher angezogen werden“, verteidigte der baden-württembergische Wissenschaftsminister Peter Frankenberg seine Gebührenpläne noch am Tag des Urteils. Denn das Urteil mag zwar die Kritik an den Gebühren geschwächt haben, ausgelöscht hat es sie aber nicht. So mahnte Wissenschaftsministerin Bulmahn, Gebühren müssten sozialverträglich gestaltet sein, „sonst studiert bald nur noch die finanzielle Elite in Deutschland.“ Solide durchdacht sind die Gebührenmodelle in diesem Punkt bislang nämlich nicht. „Jetzt eine Gebühr zu erheben ohne solide Darlehensmodelle für Studenten und ohne die Universitäten zu Wissenschaftsunternehmen zu reformieren, würde die ganze Idee nur blockieren“, warnte dementsprechend Wolfgang Herrmann. Der Präsident der Technischen Universität München befürchtet, dass die Länder die Gebühren benutzen, um ihren eigenen Anteil an der Hochschulfinanzierung zurückzufahren.

Doch selbst wenn sie dies nicht tun, könnten Studiengebühren erstmal abschreckend wirken. Denn die Akademikergehälter in Deutschland sind nicht so hoch, dass die Aussicht darauf das finanzielle Risiko eines Studiums aufwiegen könnte. Die mögliche Folge: die Studentenzahlen sinken – ein schwerer Schlag für den Dienstleistungs- und High-Tech-Standort Deutschland. Oder aber Studenten weichen bei der Wahl ihrer Uni auf Länder aus, in denen das Studium gebührenfrei ist. Dieses realistische Szenario geisterte dann auch durch die Staatskanzleien der SPD-Ministerpräsidenten. Eine „Notwehrsituation“ sah der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck aufziehen und forderte prompt einen neuen Finanzausgleich zwischen Ländern mit und ohne Gebühren. Die Erfolgsaussichten sind eher mager, denn Gebührenverfechter wie Baden-Württembergs Peter Frankenberg wollen über unterschiedliche Gebühren den Wettbewerb zwischen den Hochschulstandorten gerade anheizen. Ein schnelles Ende in diesem Streit ist also nicht abzusehen.

Langfristig werden wohl auch die Gebührengegner sich bewegen müssen, wollen sie nicht die Verlierer solcher Wanderungsbewegungen werden. Die Ökonomisierung der Hochschulbildung in Deutschland ist nicht mehr aufzuhalten. Dumm nur, dass deren Konsequenzen wenig durchdacht sind. Der Student als Kunde ist eine schöne Idee, aber wie soll er seine Ansprüche gegenüber einer Professorenschaft durchsetzen, die keine Sanktionen zu fürchten hat? Und woher sollen die notwendigen Bildungskredite kommen, ohne die nur Besserverdienende in Zukunft studieren werden können? Bisher haben die Banken allenfalls Ideen für entsprechende Darlehen, aber wenig konkrete Konzepte. Und was wird mit Fächern wie Slawistik oder Byzantinistik, bei deren Absolventen fraglich ist, ob sie ihre Kredite je zurückzahlen können?

Am Schluss könnte der gesamte Bildungsstandort Deutschland der Verlierer sein. Dann nämlich, wenn die Wahl zwischen überfüllten gebührenfreien und schwerfälligen gebührenpflichtigen Unis eine dritte Alternative attraktiver werden lässt: das Studium im Ausland, wo es Gebühren schon lange gibt und das Preis-Leistungsverhältnis meist klar ist. Eine solche Entwicklung wäre tatsächlich ein schwarzer Tag für die deutsche Universität.

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