Das Deutsche Theater ist auch für Sehbehinderte zugänglich. Zusammen mit der „Arschan-Stiftung“ hat sich das Theaterkollektiv auf ein Experiment eingelassen: Einem sehbehinderten Publikum ein Theaterstück vorzuführen.

„Das Augenpaar eines Mannes. Er sieht nach links, nach rechts, geradeaus. Um sein rechtes Auge schließt sich ein Fadenkreuz. Das Fadenkreuz reißt auf. Die verschwommene Silhouette eines Mannes. Er hält sich die Hände schützend vors Gesicht. Rennende Beine auf nassem Asphalt. Weiße Linien formieren sich zu einem Fingerabdruck. Tatort.“ Das ist die Audiodeskription des immer gleichen Vorspannes einer bekannten Krimiserie, die fast jeden Sonntag im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wird.

Dem Beispiel des öffentlich rechtlichen Fernsehens ist nun auch das Deutsche Theater Kasachstan gefolgt. Zusammen mit der „Arschan-Stiftung“ hat es ein Theaterstück mit Audiodeskription für Sehbehinderte auf die Bühne gebracht. Zu diesem Experiment kamen auf Initiative der Stiftung sehbehinderte Zuschauer in den Grande-Sal der KIMEP-Universität, um sich die Inszenierung des Theaterstückes „Contact@Net“ von Darja Stocker anzusehen. Dabei handelt es sich um eine eigene Adaption des Deutschen Theaters.

Ob es wirklich auch gelungen ist, eine Theateraufführung mit Audiodeskription in Kasachstan zu zeigen, darüber sollten die Zuschauer entscheiden. Sie sind auf Einladung der „Arschan-Stiftung“ gekommen und haben vor der Bühne Platz genommen. Einige von ihnen tragen dunkle Sonnenbrillen, einige sitzen still da und horchen.

Aus Kopfhörern, die an ihren Sitzen installiert wurden, kommt der für sie wichtige Kommentar, der sie begreifen lässt, was auf der Bühne geschieht. Nun übernimmt die Stimme von Aselina Omarowa die visuelle Wahrnehmung der Zuschauer. Sie beschreibt, was auf der Bühne zu sehen ist: Rika sitzt am Küchentisch, frühstückt, neben ihr sitzt ihre Schwester Leila. Die Mutter betritt die Küche. Dass die drei Figuren streiten, entnehmen die Zuschauer dem emotionalen Spiel der Schauspieler.

„Wir haben uns schon lange darauf vorbereitet. Es ist gar nicht so einfach, auszusuchen, was übersetzt werden muss“, gesteht Natascha Dubs, die künstlerische Leiterin des Theaters. Einen Monat hat es gedauert, um allein das Geschehen auf der Bühne in die Sprache der Audiodeskription zu übersetzen. Dabei half Gulbarschyn Balgoschina. Sie ist Direktorin der Nationalen Bibliothek für Sehbehinderte und kennt sich sehr gut aus mit der Wahrnehmung eines sehbehinderten Menschen.

Off-Stimme wird zum Zuschauerauge

Einer der Zuschauer ist Alexander Sopelkin. Er trägt eine schwarze Sonnenbrille und geht trotz seiner Sehbehinderung gerne ins Theater. Er sei regelmäßig im Deutschen Theater, weil er angefangen hat, Deutsch zu lernen. Aus dem Deutschen Theater kennt er auch schon die Technik der Übersetzung. In der Tat ist das Verfahren mit Übersetzungen nicht ganz neu. In vielen Vorstellungen des Deutschen Theaters hat es sprachliche Übersetzungen gegeben, da die Inszenierungen komplett auf Deutsch aufgeführt wurden.

Daher war es für die Aktivistin Marina Khegai von der „Arschan-Stiftung“ keine große Frage, mit welchem Theater sie das Experiment mit den Audiodeskriptionen probieren wollte. „Wir hatten eigentlich gehofft, dass heute noch andere Theaterdirektoren bei unserer technischen Premiere in Kasachstan dabei sind“, bedauert sie.

Kasachstan hat UN-Konvention unterzeichnet

Die Stiftung setzt sich seit Jahren dafür ein, Kultur für Sehbehinderte zugänglich zu machen und kooperiert seit fünf Jahren mit der KIMEP-Universität. Hier auf dem Campus am Abai-Prospekt sind schon einige innovative Projekte entstanden. „Derartige Initiativen werden immer mehr von staatlicher Seite unterstützt“, weiß Balgoschina. Erst kürzlich hat Kasachstan die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert. Demnach haben Menschen mit Behinderung das Recht eine Arbeit, Bildung und Informationen zu erhalten, und darüber hinaus das Recht auf eigenständige Mobilität sowie politische Partizipation.

Das Experiment Audiodeskription ist gelungen: „Ich glaube, jeder kennt das, wenn es Streit in der Familie gibt. Ich glaube, dass es sich um ein Problem handelt, dass jeder junge Mensch kennt. Das haben die Schauspieler sehr gut herüber gebracht“, fasst Zuschauer Almas den Inhalt des Stückes zusammen. Stellenweise sei der Kommentar etwas zu leise gewesen. Ansonsten habe ihn das Schauspiel emotional gepackt.

Von Dominik Vorhölter

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