Zuerst haben sie Deutschland um den Verstand gebracht, dann Europa, Russland, und jetzt sind auch die kasachischen Jugendlichen verrückt nach ihnen: die deutsche Band Tokio Hotel. Tausende Fans in Kasachstan holen sich die Teenieband auf Postern in ihre Zimmer, warten auf Auftritte der Band, und tragen T-Shirts mit den Gesichtern von Bill, Tom, Georg und Gustav. Einige kasachische Fans lernen sogar extra Deutsch, um die Texte besser zu verstehen. Kein Wunder, dass die Fans enttäuscht waren, als Almaty aus dem Tourneeplan gestrichen wurde.

Seit diesem Frühjahr gibt es einen Tokio-Hotel-Fanklub in Almaty. Die Jugendlichen haben sich im Internet gefunden und entschieden sich zu treffen. Einfach um über die Gruppe zu reden. Auf die erste Versammlung kamen 30 junge Menschen. Unter ihnen waren auch die drei Schwestern Margo, Anait und Gajane. Zusammen hatten sie die Idee, einen Fanklub zu organisieren. „Ramstein hat meine Vorstellung von der deutschen Sprache geprägt, aber Tokio Hotel hat sie wieder völlig verändert. Ich konnte mir nie vorstellen, dass man so schön und zärtlich auf Deutsch singen kann”, erzählt Margo über ihre erste Bekanntschaft mit der Band.

„Für Bill von der Brücke springen“
Den Aufbau des Fanklubs verfolgen die Schwestern mit ganzem Ernst und viel Engagement. Jeder, der Mitglied werden will, muss seine Motivation durch einen klubeigenen Fragebogen auf eine harte Probe stellen lassen. Eine Frage lautet beispielsweise: „Was kannst Du für die Gruppe tun?“ Wenn die Antwort lautet: „Für Bill von der Brücke springen”, beschäftigt sich die Klubpsychologin mit den Jugendlichen. „Aber das passiert selten”, betont Margo, die Leiterin des Fanklubs. Sie ist 25 und arbeitet als Architektin.
Aktuell hat der Klub 380 Mitglieder. Mit jedem Fantreffen werden es mehr. Der jüngste Fan im Klub ist elf – der älteste 28. Margo versucht, Zeit für alle zu finden. Doch das ist kaum möglich, denn die Fans kommen jede Woche mit neuen Fragen und Vorschlägen auf sie zu. Jedes neue Mitglied kriegt ein Fan-Abzeichen. Daran erkennen sich die Fans untereinander. Aber eigentlich sind dafür gar keine besonderen Zeichen nötig. T-Shirts mit den Gesichtern von Bill und Co, Frisuren a la Bill, Pircings oder manchmal schwarzes Make-up sprechen für sich.
Mit der Begeisterung für Tokio Hotel ist auch die Emo-Subkultur von den USA über Russland nach Kasachstan gekommen. Emo ist eine wesentlich emotionalere Abspaltung des Hardcore-Punk. In den Texten geht es vor allem um Gefühle wie Liebe, Trauer und Verzweiflung. Die Tokio-Hotel-Fans sind nicht alle Emos, aber viele von ihnen schon. Um dass zu betonen, ziehen sie sich schwarz-pink an. „In Russland und Kasachstan wird Emo aber nicht richtig verstanden, deshalb haben manche Angst vor Emos”, berichtet Margo. Sie selbst ist auch Emo, bekennt aber, dass sie pink nicht so gern mag.

Streitereien mit Antifans
Manche Fans versuchen sogar, die Band-Zwillinge nachzuahmen. Daniela und Lena ziehen sich an und schminken sich wie Bill und Tom. Oft schockieren sie damit ihre Mitmenschen. Denn nicht alle in Almaty begegnen der Fankultur auf tolerante Weise. Zweimal schon hat der Fanklub Tokio-Hotel-Partys gefeiert. Als „Eintrittskarten” dienten die Klubabzeichen, damit die Antifans draußen blieben. Solche gibt es in Almaty auch, und sie stören die Fantreffen. Auf Flugblättern mit durchgestrichenen Tokio-Hotel-Zeichen äußern sie ihren Protest. Die Fans bemühen sich, sie zu ignorieren, denn Streitereien mit Antifans sind im Klub verboten. Genauso ist es nicht erlaubt, Wände und Mauern in der Stadt zu beschmieren. Eine Haltestelle zum Beispiel, wurde bereits mit einer Liebeserklärung für Bill und die ganze Gruppe beschrieben. „Wer die Regeln nicht achtet, wird bestraft. Klubmitglieder, die sich auf den Partys beispielsweise betrinken, bekommen sofort ihre Strafe”, versichert Margo.

Deutsch lernen für Bill und Co.
“Wir haben angefangen, Lieder auswendig zu lernen, obwohl sich früher viele von uns nicht vorstellen konnten, Deutsch zu lernen. Aber echte Fans tun fast alles für ihre Lieblingsband”, betont Margo. Einige lernen in der Schule Deutsch, andere haben begonnen, einen Sprachkurs zu machen. So auch Aigerim, die Deutschunterricht im Goethe-Institut nimmt. “Ich will ihre Texte besser verstehen und die Interviews ohne Übersetzung lesen. In der Muttersprache äußern sie ihre Gefühle direkter”, macht sie ihre Motivation zum Sprachlernen deutlich.
Natürlich haben die Fans das Konzert von Tokio Hotel in Almaty herbeigesehnt. Diejenigen, die den Konzertausfall in Almaty nicht verschmerzen konnten, haben eine gute, aber relativ teuere Lösung gefunden. Sie fuhren nach Moskau, um dort den Auftritt von Tokio Hotel zu sehen. „Wir sind stolz, dass wir so viele Jugendliche zusammengesammelt haben“, lächelt Margo. Die Fans und vor allem Margo als Klubleiterin hoffen, dass der Klub auch weiter erfolgreich existiert und täglich neue Menschen anzieht. Ganz nach dem Motto eines erfolgreichen Liedes der Band: “Wir sterben niemals aus!”

05/10/07

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