Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff hatte auf seinem Großen Zapfenstreich, wie er zum Abschied eines Bundespräsidenten üblich ist, bestanden. Demonstranten übertönten jedoch mit lautstarkem Protest große Teile der Veranstaltung, und knapp die Hälfte der geladenen Gäste sagte ab: Berechtigter Protest gegen unberechtigte Symbolik?

Der Große Zapfenstreich zeigte, wie sehr sich das Blatt gegen das ehemalige Staatsoberhaupt gewendet hatte: Bis vor zwei Monaten stand die Mehrheit der Bevölkerung lauf Umfragen noch hinter ihrem Bundespräsidenten und betitelte die Vorwürfe als eine von den Medien veranstaltete Hetze gegen Wulff. Im Folgenden verhärteten sich jedoch die Vorwürfe, und nachdem die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung seiner Immunität beantragt hatte, um gegen ihn ermitteln zu können, trat Wulff lieber von seinem Amt zurück. Doch damit rissen neue Themen für die fortwährende Diskussion um seine Person nicht ab. Auch der nach seinem Rücktritt bewilligte Ehrensold von jährlich 200.000 Euro fand viele Gegner. Zum Großen Zapfenstreich vergangene Woche fanden sich dann beinahe mehr Demonstranten als Gäste ein, was einen ruhigen Ablauf der Zeremonie verhinderte. Bei dem Großen Zapfenstreich handelt es sich um eine Militärzeremonie der Bundeswehr anlässlich der Ehrung bestimmter Personen, zum Beispiel aus dem Amt scheidender Bundespräsidenten und Bundeskanzler oder auch anlässlich des Abschlusses eines wichtigen Manövers. Über soziale Netzwerke mobilisierten sich mehrere hundert Demonstranten im Vorfeld zu Wulffs Zapfenstreich, um während der Veranstaltung durch Vuvuzelas auf sich aufmerksam zu machen. Diese Trompeten sind für ihre Lautstärke so berüchtigt, dass sie in Deutschland während einiger öffentlicher Veranstaltungen verboten worden sind.

Zwar war der Veranstaltungsort um das Schloss Bellevue weiträumig abgesperrt, doch waren die Demonstranten aufgrund der Lautstärke ihrer Tröten bis in den Schlossgarten zu hören. Neben dem Lärm wiesen auch viele leer gebliebene Stühle darauf hin, dass die Veranstaltung nicht von allen wohlwollend gesehen wurde.

Unter den circa 200 Gästen befanden sich zwar Bundeskanzlerin Angela Merkel und der offizielle Gastgeber, Bundesratspräsident Horst Seehofer als amtierendes Staatsoberhaupt, doch das Bundeskabinett kam nur in sehr kleiner Besetzung, während die Vertreter der evangelischen und katholischen Bundeskirchen sowie Rot-Grün geschlossen fehlten. Auch Wulffs noch lebende Amtsvorgänger folgten der Einladung zu seinem Zapfenstreich nicht. Zu groß waren die Zweifel an der Berechtigung der Zeremonie, die von Wulffs Gegnern als unangemessen glanzvoll zelebrierter Abgang aus seinem Amt gesehen wurde.

Auch wenn Wulffs Abschied durch den kleineren Gästekreis bescheidener über die Bühne ging als geplant – eine öffentlichkeitswirksame Ehrung seiner Person blieb es doch. Diese und die ihm zugestandenen Vergütungen wie der Ehrensold, ein Büro und Personal stehen im dunklen Licht der Vorwürfe der Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung. Außerdem sorgt Wulffs inkonstantes Verhalten für Missfallen, war er es doch, der gleich am Anfang seiner Amtszeit dafür plädiert hatte, die Symbolik des Amtes des Bundespräsidenten zu verringern – inklusive des Ehrensoldes. Dieser Vorschlag scheint nun vergessen.

In seiner Abschiedsrede bedauerte Wulff die kurze Amtszeit und warb erneut für „Vielfalt, Weltoffenheit, Freiheit und sozialen Ausgleich – das macht unser Land aus und stark.“ Er wünsche „Deutschland von ganzem Herzen eine politische Kultur, in der die Menschen die Demokratie als wertvoll erkennen und sich gerne für die Demokratie einsetzen (…).“

Doch wo steht die politische und demokratische Kultur Deutschlands angesichts der Proteste gegen die Zeremonie zu Ehren des geschiedenen Bundespräsidenten? Haben sich die Demonstranten durch das Stören des Zapfenstreichs für unsere Demokratie eingesetzt? Die Vorwürfe gegen Wulff beziehen sich schließlich nicht auf Taten, die er während seiner Amtszeit als Bundespräsident begangen hat, sondern stehen mit seinem Amt als Ministerpräsident Niedersachsens in Verbindung.

Des Weiteren ist er nicht zurückgetreten, weil bewiesen worden wäre, dass er sich strafbar gemacht hätte. Der Grund war das Misstrauen, das seiner Person entgegengebracht wurde. Ein Pfeiler unseres Rechtsstaats ist die Unschuldsvermutung gegenüber Beschuldigten. Ein weiterer Grundsatz ist aber auch die Vertretung des Volkes durch Politiker, die von ihm gewählt werden. Das Amt des Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt steht schon lange in Kritik bezüglich dieses Anspruches auf die Repräsentation des Volkes. Laut Umfragen wünschen sich nach der Affäre um Wulff knapp 80% der Deutschen eine Direktwahl des Bundespräsidenten durch die Bundesbürger. Bisher wird das Staatsoberhaupt noch von der Bundesversammlung gewählt.

Wenn Menschen also ihrem Ärger über eine nicht von ihnen direkt gewählte politische Person Luft machen wollen und sich nicht würdevoll von ihm repräsentiert fühlen, wie viel Rücksicht müssen sie da auf rein symbolische und rituelle Akte, wie es der Große Zapfenstreich als preußische Tradition ist, nehmen? Sie sollten es jedenfalls, wenn sie die Gebote des würde- und respektvollen Umgangs miteinander in einer Demokratie achten möchten. Gleiches mit Gleichem zu vergelten gilt da nicht.

Konstruktives Engagement für unsere Demokratie muss auf einem Mittelweg zwischen politischer Passivität und dem Eintreten auf Politiker, die bereits am Boden liegen, stattfinden. Sollte Wulff sich nicht gemäß seiner Pflichten im Rahmen seiner politischen Ämter verhalten haben, so ist sein Rücktritt ein folgerichtiger Schritt gewesen, und so sollten sich auch die Aufhebung seiner Immunität und ein Gerichtsverfahren anschließen. Sein Fehlverhalten rechtfertigt jedenfalls nicht das Stören der von ihm gewünschten Zeremonie und sein somit eher kläglicher Abgang von der politischen Bühne.

Wenn er unschuldig sein sollte, stehen ihm seine symbolischen und materiellen Vergütungen zu. Sollte er diese nicht verdienen, wird sich Wulff ob seiner Gier und seines respektlosen Verhaltens gegenüber dem Volk umso mehr schämen.

Quellen: tagesschau.de, dapd (Redemanuskript laut Bundespräsidialamt), zeit.de, zdf.de

Von Melanie Frank

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